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Sanktionen gegen Russland
"Ich halte das für hochgefährlich"

Der Ökonom Max Otte sieht weitreichende Folgen der Sanktionen gegen Russland: Die Blockbildung zwischen dem Westen und Russland könne nicht gut sein für die Weltwirtschaft – und insbesondere den deutschen Mittelstand.

Dirk Müller im Gespräch mit Max Otte | 21.03.2014
    Dirk Müller: Er ist so populär wie nie zuvor, Wladimir Putin. Aber nicht nur im eigenen Land, sondern auch auf der Krim, und das ist ja inzwischen sein Land. Auch im Osten der Ukraine, das könnte vielleicht auch noch sein Land werden, dann nämlich, wenn das alles, was der Westen macht, keine Folgen zeigt, wenn er sich nicht beeindrucken lässt. Noch lässt sich die russische Führung von ihrem Weg offenbar nicht abbringen, bringt ebenfalls Einreiseverbote auf den Weg, auch für US-Senator John McCain. Der erwidert da ganz lapidar: "Dann fällt mein Osterurlaub in Sibirien eben aus." Der Westen weiß nicht so recht, wohin Putins Weg noch führen wird und wohin dieser Weg führen soll.
    Die Europäer legen diesmal besonderen Wert darauf und wollen und sollen sich einig sein. Vielleicht bringt die aktuelle Krim-Krise die sonst so oft streitende EU auf Gemeinschaftskurs. Bislang sieht das so aus, dass das diesmal klappen könnte. Zu diesem neuen Konsens gehört ein Abkommen mit der Ukraine und noch einmal schärfere Sanktionen. Allerdings sind dies nach wie vor keine wirtschaftlichen Strafmaßnahmen.
    Wirken die Sanktionen? Beginnen sie, zu wirken? Darüber wollen wir nun sprechen mit dem Wormser Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte. Er managt selbst einen Anlagefonds. Guten Tag!
    Max Otte: Guten Tag, Herr Müller.
    Müller: Herr Otte, spüren Sie schon etwas?
    Otte: Ja, natürlich! Aber die Wirkung ist auf der einen Seite gegen Russland gerichtet. Russland wird was spüren. Aber wir gestalten das internationale System insoweit um, dass wir immer mehr Konflikte machen, immer mehr Wirtschaftssanktionen. Das hat natürlich insgesamt negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und das werden wir erst in einiger Zeit so wirklich merken.
    Müller: Es gibt die Wirtschaft, es gibt die Politik, oft spielen sie miteinander beziehungsweise kooperieren miteinander. Muss jetzt die Politik mithilfe der Wirtschaft so vorgehen, wie sie vorgeht?
    Otte: Ich halte das für hochgefährlich. Ich meine, man kann das Referendum auf der Krim sehen, wie man will. Im Westen wird das sehr kritisch gesehen. Die Krim ist ur-russisches Gebiet gewesen. Es war natürlich nach dem Zerfall der GUS-Staaten Ukraine. Aber die Situation da ist viel, viel komplexer und Russland ist langsam eingekreist, und man hat auch im Westen versucht, Russland schon lange aus dem Westen rauszuhalten, aus Europa rauszuhalten. Ich habe Putin hierzu einmal gehört. Diese Blockbildung, die haben wir schon etwas länger, und das ist jetzt eine weitere Verschärfung der Blockbildung und das kann für die Weltwirtschaft nicht gut sein.
    Müller: Es geht ja im Moment fast schon mehr um kosmetische Signale. Es sind Personen betroffen im Führungskreis, im russischen Führungskreis, im ukrainischen Führungskreis beziehungsweise im Führungskreis der Krim. Dann umgekehrt haben die Russen erste Sanktionen gegen amerikanische Politiker umgesetzt beziehungsweise auf den Weg gebracht. Das ist alles im Grunde noch nicht viel, das ist alles noch nicht so richtig nachrechenbar. Aber reicht schon dieses Signal, um alles durcheinanderzubringen?
    Otte: Das ist richtig. Es ist tatsächlich in der Form noch verkraftbar für die Wirtschaft und es ist ein Signal. Aber es ist natürlich auch ein Signal der weiteren Konfrontation, ein Signal der Eskalation, genauso wie letztlich das Vorrücken der NATO bis an die russische Grenze. Das macht die Situation natürlich immer gefährlicher und immer unberechenbarer und es kann auch sein, dass das wirtschaftlich weiter eskaliert.
    Müller: Jetzt haben wir den russischen Aktienindex, den wir seit Tagen verfolgen. Der geht weiter Richtung Keller. Werden die Russen das nicht aufhalten können?
    Otte: Nein. Natürlich kann man einen Aktienindex in der Form nicht aufhalten, wenn da auf den internationalen Märkten Verkaufsdruck ist. Wir haben uns im Übrigen aus den politischen Gründen auch schon länger vom russischen Aktienmarkt ferngehalten, obwohl die Aktien dort eigentlich billig bewertet sind, obwohl das Risiko irgendwo schon im Preis drin war. Aber jetzt ist der Markt extrem niedrig bewertet und man versucht, weiter Russland ein bisschen von den internationalen Kapitalmärkten abzuschneiden.
    Müller: Sie haben das schon früher erkannt.
    Otte: Ja, was heißt erkannt? Aber es gibt halt einfach Risiken und wenn die da sind, dann geht man damit etwas vorsichtiger um. Ich habe das keinesfalls prognostiziert. Wir haben nur gesagt, dass es da politische Risiken gibt und dass man die entsprechend mit einbezieht in sein Kalkül.
    Müller: Jetzt haben wir verschiedene Zahlen heute Morgen noch bei der Recherche gefunden, unter anderem 170 Milliarden. Das ist die Summe, womit russische Banken bei den westlichen Banken in der Kreide stehen, beziehungsweise russische Unternehmen. Dann 20 Milliarden bei den deutschen Banken. Das ist doch auf der anderen Seite ein Druckpotenzial vonseiten der Russen in Richtung Westen, dass diese Milliarden nicht verloren gehen?
    Sanktionen treffen überproportional Deutschland
    Otte: Ja, das meine ich auch. Russland ist ja wirtschaftlich nicht ohnmächtig, durch den Rohstoffreichtum und so weiter. Wenn man hier auf Wirtschaftssanktionen setzt, dann nimmt man eine Verschlechterung in der Weltwirtschaft insgesamt in Kauf und insgesamt ein schlechteres Klima, und die Weltwirtschaft ist wirklich nicht gesund. Da spielt man auch ein bisschen mit dem Feuer. Im Übrigen gehen diese Sanktionen wie viele andere auch überproportional zulasten Deutschlands. Wenn Amerika Sanktionen beschließt, ist Deutschland das Land, das diese mit am meisten zu tragen und zu zahlen hat, denn unser Mittelstand, also das Rückgrat unserer Wirtschaft, ist zurecht stark in Russland engagiert und die wird es treffen, und das muss man sich auch mal überlegen seitens der deutschen Politik und da kamen noch nicht viele Bedenken.
    Müller: Das sind 6000 deutsche Unternehmen, 6000 deutsche Firmen, die da engagiert sind, 300.000 Arbeitsplätze, die direkt damit im Zusammenhang stehen. Das heißt, diese Komponente, diese 6000 deutschen Firmen, wer auch immer davon jetzt nun betroffen ist, die werden das definitiv spüren?
    Otte: Selbstverständlich. Wir wissen ja nicht, wo diese Sanktionen enden. Aber diese Firmen werden eine Verschlechterung spüren, und es ist in der Tat so, dass wir im Moment ökonomische Blockbildung betreiben, und das geht vom Westen aus. Und ob man so leichtfertig mit der Weltwirtschaft spielen sollte, angesichts dieser Tatsache – sicherlich ist die Krim, das Krim-Referendum ernst zu nehmen und das ganze ein gravierender politischer Vorfall, aber dass man die Weltwirtschaft in Blöcke aufteilt und die Blockbildung vorantreibt, das wage ich doch sehr zu bezweifeln. Das hatten wir nach 1929 auch zum Teil und das hat uns nicht viel weitergebracht.
    Müller: Jetzt wollte ich hier noch mal nachfragen, Herr Otte. Wir haben Jahrzehnte in Blöcken und in Blockbildung gedacht. Gibt es noch Wirtschaftsblöcke?
    Otte: Die USA sind dabei, ganz stark einen amerikanischen Block zu schmieden, auch Europa quasi den USA anzupassen, das europäische Finanzsystem dem der USA anzupassen. Hier wird ganz stark eine neue Blockbildung betrieben.
    Müller: Obwohl die Durchlässigkeit des Kapitals, der Finanzmärkte immer größer wird?
    Otte: Ja, die Finanzmärkte sind durchlässig, aber letztlich folgen die Finanzmärkte in den Jahrhunderten des Kapitalismus immer den Finanzzentren und in den Finanzzentren sitzen dann doch besonders mächtige Finanzhäuser, die dann vielleicht keine Verschwörung machen, das will ich nicht sagen, aber die dann doch tonangebend sind, wo sich dann doch auch gewisse Kommunikationsmacht ballt, wo auch gewisse Entscheidungsmacht geballt ist. Diese abstrakten Finanzmärkte, die müsste man auch mal ein bisschen disaggregieren und sich anschauen, wie die Mechanismen genau laufen und wo die Entscheidungen genau laufen.
    Müller: Verliert Deutschland, wenn man sich zu sehr in Richtung Washington oder der Finanzmärkte in New York anpasst?
    Otte: Das tun wir ja schon die ganze Zeit und wir verlieren auch schon die ganze Zeit. Das ist richtig. Wir hatten in Deutschland, wie überhaupt in ganz Kontinentaleuropa, ein etwas anders strukturiertes Finanzsystem, ein kreditorientiertes System, das uns 150 Jahre lang sehr gut geholfen hat, und das geben wir auf mit Riesenschritten, und das ist nicht unbedingt nur zu unserem Vorteil.
    Müller: Ist die Bundesregierung opportunistisch?
    Otte: So genau stecke ich in dem Kopf von Frau Merkel nicht drin. Ich habe sie bislang noch nicht sprechen können. Frau Merkel ist sicherlich eine Bundeskanzlerin, die mit hoher Intelligenz die taktischen Möglichkeiten auslotet. Ob sie aber einen eigenen Standpunkt hat, ob sie das, was ich heute hier im Interview gesagt habe, zumindest im Hinterkopf auch so ähnlich sieht, das weiß ich nicht. Da müssten Sie dann mal ein Interview mit ihr vereinbaren.
    Müller: Haben wir schon versucht, ist ein bisschen schwierig im Moment. Wie tickt Wolfgang Schäuble in dem Punkt?
    Otte: Zu Wolfgang Schäuble möchte ich eigentlich gar nicht viel sagen. Er wird mir immer unverständlicher. Ich glaube schon, dass er mittlerweile doch sehr lange im Amt ist und dass manche seiner Entscheidungen nicht mehr so ohne Weiteres nachvollziehbar sind, für mich zumindest.
    Müller: Geben Sie uns ein Beispiel, damit wir das noch besser verstehen können, was Sie meinen?
    Otte: Na wenn er so mit aller Vehemenz auf der Euro-Rettung besteht, dann hat das aus europäischer Perspektive vielleicht seinen Sinn. Aber er müsste vielleicht auch ein bisschen mehr sich überlegen, wie die Interessen austariert sein müssen, dass sein eigenes Land nicht unter die Räder gerät.
    Müller: Vielleicht findet Wolfgang Schäuble einen Euro-Block gut.
    Otte: Wolfgang Schäuble hat 1994 mit Karl Lamers ein Papier vorgelegt, "Europa a la carte", wo man ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten wollte, das wäre eigentlich für Europa eine fantastische Lösung gewesen, ist dann aber von Kanzler Kohl zurückgepfiffen worden und vertritt jetzt mit großer Vehemenz die andere Meinung, dass wir alle im Gleichschritt marschieren müssen.
    Müller: Heute Mittag im Deutschlandfunk der Wormser Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte. Danke für das Gespräch, einen schönen Tag noch.
    Otte: Guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.