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Schattenseiten der Beipackzettel für Finanzprodukte

Ein Produktinformationsblatt ist für jedes einzelne Wertpapier verpflichtend, also etwa für jede der rund 800 in Deutschland börsengehandelten Aktien. Das Deutsche Aktieninstitut ist in einer Studie über die Folgen für Anleger auf Schattenseiten der Beipackzettel gestoßen.

Von Michael Braun | 06.11.2012
    Es gibt ihn sei drei Jahren, seit gut einem Jahr verpflichtend. Der Beipackzettel für Finanzprodukte ist klar gegliedert: Das Anlageprodukt wird benannt und beschrieben, die Risiken werden aufgezählt, die Kursrisiken, das Emittentenrisiko, das etwa dann entstehen kann, wenn eine Bank oder Fondsgesellschaft insolvent wird. Auch das Fremdwährungsrisiko wird thematisiert: wichtig für Anlagen in ausländischer Währung, die optisch viel Rendite bringen, nach dem Umtausch in Euro aber im Extremfall sogar einen Verlust produzieren können.

    Es war die Erfahrung mit Wertpapieren der Lehman-Bank, die diesen Beipackzettel hervorgebracht haben, zur Information der Anleger, notfalls auch zur Warnung. Es gibt ihn nicht nur für einzelne Anlageklassen, für Anleihen, Aktien, Fonds. Das Produktinformationsblatt ist verpflichtend für jedes einzelne Wertpapier, also etwa für jede der rund 800 in Deutschland börsengehandelten Aktien. Das Deutsche Aktieninstitut hat den Eindruck, damit sei des Guten zuviel vorgeschrieben worden. Christine Bortenlänger, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied, des von börsennotierten Aktiengesellschaften getragenen Instituts:

    "Das kann man mit Sicherheit sagen. Wir sind ja sehr für Anlegerschutz, für Anlegerinformation. Aber hier ist definitiv über das Ziel hinaus geschossen worden. Das Produktinformationsblatt, so wie es jetzt für die Aktie gefordert ist, verhindert eher die gute Beratung für Anleger in die Aktie."

    Schon bei der Einführung der Produktinformationsblätter und der Pflicht, jedes Beratungsgespräch schriftlich zu dokumentieren, hatte es Kritik an der guten Absicht gegeben. Der Präsident des Sparkassenverbandes Hessen-Thüringen, Gerhard Grandke etwa, hatte gewarnt, die beabsichtigte Information könne in einer Papierflut ertrinken:

    "Es muss vernünftig beraten werden. Das muss auch dokumentierbar sein. Aber wenn jeder Kunde für jedes Konto einen ganzen Band von gedruckten Seiten bekommt, dann hilft das nicht zur Transparenz. Das können die Leute nicht lesen, nicht verarbeiten. Damit wird dann einem Gesetz oder Richtlinien Rechnung getragen, aber nicht den wirklichen Verhältnissen von Kundentransparenz."

    Das Aktieninstitut hat nun herausgefunden, dass oft Beratung unterbleibt, nicht angeboten wird, weil die Vorschriften der Anlagebratung nicht erfüllbar scheinen. Es hat 1657 Banken und Sparkassen angeschrieben. 215 haben geantwortet, vor allem Genossenschaftsbanken und Sparkassen, auch Geschäftsbanken. Die rücklaufenden Antworten spiegelten die Struktur des deutschen Bankenmarktes wider, schreibt das Aktieninstitut in seiner heute früh veröffentlichten Studie. Während fast alle Banken für Investmentfonds, Anleihen und Zertifikate die Beipackzettel bereitstellten, entstünden bei Einzelaktien große Lücken. Nur 74 Prozent Umfrageteilnehmer könnten auf Beipackzettel für Einzelaktien zurückgreifen. Dabei seien die 30 Aktien des Deutschen Aktienindexes vollständig zu fast 58 Prozent abgedeckt. Für die 50 mittelgroßen Aktien im M-DAX hätten nur 15 Prozent der Institute eine vollständige Palette von Beipackzetteln vorliegen. Die restlichen gut 700 noch kleineren Aktien und die Auslandsaktien seien noch schlechter abgedeckt. Deshalb, so Frau Bortenlänger, schränke jede zweite Bank wegen Lücken bei den Produktinformationsblättern die Aktienberatung ein – und das gerade jetzt, wo die Zinsen niedrig und Sachwerte gefragt seien:

    "Unser Renditedreieck zeigt, dass die Renditen für Aktien, gerade wenn man sie mittel- und langfristig hält, insofern derzeit so besonders attraktiv sind, weil sie eben deutlich über dem Zinssatz* liegen und damit das einzige Produkt sind, das in der aktuellen Situation Vermögenserhalt garantieren."

    Das Aktieninstitut hält es deshalb für geboten, die Regelungen zum Beipackzettel für Wertpapiere zu überarbeiten. Einer für alle reiche, der in allgemeiner Form über die Chancen und Risiken der Aktienanlage aufkläre. Ansonsten böten Unternehmens- und Branchenberichte in den Medien sowie internetbasierte Finanzportalen genügend Informationsmöglichkeiten.

    * Die O-Ton-Geberin legt Wert darauf, dass sie sich an dieser Stelle versprochen hat. Gemeint sei nicht der Zinssatz, sondern die Inflationsrate.