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50. Todestag
Autor Günter Eich: "In Gedichten verstecke ich mich"

Günter Eichs Gedichtband "Abgelegene Gehöfte" von 1948 begründete den Ruhm der deutschen Nachkriegsliteratur mit. Seit den 50ern wurde der in Brandenburg geborene Schriftsteller vor allem mit seinen Hörspielen bekannt.

Von Christian Linder | 20.12.2022
Der deutsche Schriftsteller Günter Eich lehnt an einem Regal und blättert in einem Buch. Aufnahme von 1953.
Neben Gedichten schrieb der deutsche Schriftsteller Günter Eich ab Anfang der 1950er-Jahre auch viele Hörspiele. (picture-alliance / dpa)
Welche Lakonie:

Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen ...

Inventur" überschrieb der Verfasser diese Zeilen, 1945 hingekritzelt auf ein Fetzen Papier in einem amerikanischen Kriegsgefangenen-Lager am Rhein, unter freiem Himmel, in einem Erdloch.

Die Bleistiftmine
Lieb ich am meisten:
Tags schreibt sie mir die Verse,
die nachts ich erdacht.

Der Kriegsgefangene hieß Günter Eich, und seine Verse in dem 1948 erschienenen Buch "Abgelegene Gehöfte" begründeten den Ruhm der deutschen Nachkriegslyrik. Seit seinem 1951 urgesendeten Hörspiel "Träume" auch einem breiten Publikum bekannt, war Eich einer der Autoren der Stunde geworden, der seine Oppositionshaltung 1959 in seiner Dankrede zur Verleihung des Georg Büchner-Preises unmissverständlich zusammenfasste:
"Wenn unsere Arbeit nicht als Kritik verstanden werden kann, als Gegnerschaft und Widerstand, [...] dann schreiben wir umsonst, dann sind wir positiv und schmücken das Schlachthaus mit Geranien." 
Trotz solcher markanten öffentlichen Stellungnahmen drängelte Günter Eich privat eher in die Stille und Anonymität:

Aus Briefen kannst du mich nicht lesen
und in Gedichten verstecke ich mich.

Zugleich war er in seinem Schreiben aber wie jeder Autor natürlich auch von der Lust angetrieben, in seinem Versteck doch erkannt zu werden. So fanden sich im Gedichtband "Abgelegene Gehöfte" einige schon in den 1930er-Jahren entstandene Gedichte, die auf Eichs Herkunft hinwiesen. Geboren 1907 im brandenburgischen Lebus an der Oder, hatte er früh, während des Studiums von Jura und Volkswirtschaft, aber auch der Sinologie, Gedichte zu schreiben begonnen. Naturlyrik, deren Motive auch später immer mal wieder auftauchten:

Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!"

Mit Gebrauchstexten durch die Zeit der Nationalsozialisten
1930 konnte Eich sogar einen ersten Gedichtband veröffentlichen und wurde freier Schriftsteller in Berlin. 1933, nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, stellte er sich im Rundfunk unter und schrieb Gebrauchstexte, Hör-Bilder vorwiegend als Adaptionen historischer Stoffe. Glück des Zufalls, dass er damals zum Rundfunk gekommen war und nach 1945 an diese Erfahrungen anknüpfen konnte? Günter Eich:
"Nachträglich stellt sich doch heraus, dass das nicht nur ein Zufall war, denn allmählich bin ich dahintergekommen, dass ich ein akustisch aufnehmender Mensch bin. Ich lebe mehr vom Ohr als vom Auge her."
Mit diesem besonderen Talent schrieb Eich ab Anfang der 1950er-Jahre viele und nun auch auf eigenen Stoffen beruhende Hörspiele und prägte die große Nachkriegsära dieser Radiokunst. Daneben entstanden weitere Gedichte, gesammelt in Bänden wie "Botschaften des Regens" oder "Anlässe und Steingärten", in denen er seinen Standort zu bestimmen versuchte, wie in dem – hier von ihm selbst gelesenen – Gedicht "Verspätung":

Da bin ich gewesen
und da,
hätte auch
dorthin fahren können
oder zuhaus bleiben.
Ohne aus dem Hause zu gehen,
kannst du die Welt erkennen.
Laotse begegnete mir
früher als Marx.
Aber eine
gesellschaftliche Hieroglyphe
erreichte mich im linken Augenblick,
der rechte war schon vorbei.

Gedicht von Günter Eich
"Maulwürfe" überschrieb er seine Schlussworte, Prosagedichte voller Lust an anarchischer Spielerei, deren Botschaft noch einmal erinnerte an ein frühes Gedicht, das er nach der Ursendung seines Hörspiels "Träume" von 1951 dem Stück hinzugefügt hatte:  

Singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.

Nach Günter Eichs Tod am 20. Dezember 1972 in Salzburg ging sein letzter Wunsch, auf dem Friedhof von Bern neben dem Grab des russischen Anarchisten Michail Bakunin beerdigt zu werden, nicht in Erfüllung. Verstreut wurde seine Asche am Bieler See.