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Vor 125 Jahren
Der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder geboren

Unter den US-Schriftstellern galt nach 1945 die größte Aufmerksamkeit des deutschen Publikums Thornton Wilder und Ernest Hemingway. Während man Hemingway bewunderte, hat man Wilder geliebt. Vor allem von seinem Theaterstück "Wir sind noch einmal davongekommen" fühlte man sich in der frühen Nachkriegszeit direkt angesprochen.

Von Christian Linder | 17.04.2022
Der US-amerikanische Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger Thornton Wilder (1897-1975).
Der US-amerikanische Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger Thornton Wilder (1897-1975). (imago / UIG)
"Wir sind noch einmal davongekommen." Dieser Titel eines 1946 inmitten der Ruinenlandschaft Deutschlands aufgeführten Theaterstücks von Thornton Wilder wurde schnell zur Erkennungsparole.
Das Stück blendete drei Katastrophenszenen ineinander, aus der Eiszeit und den Zeiten nach der Sintflut und eines großen Krieges: 
Frau: "Wer ist denn da noch, der uns das Letzte wegessen soll?"
Mann: "Da ist der Mann, der alle Gesetze macht: der Richter Moses."
Frau: "Richter können uns jetzt doch nicht helfen!"
Mann: "Und wenn das Eis schmilzt? Und wenn wir noch einmal davonkommen?"

Das Leben geht weiter

Dass das Leben weiterging – überall in Wilders Werk tauchte diese damals gern angenommene Botschaft auf:
"Die Natur schläft nie. Die Entwicklung des Lebens steht nie still. Die Schöpfung ist noch nicht zu Ende."

Ansteckender Optimismus

Für solchen als ansteckend empfundenen Optimismus wurde Wilder vom deutschen Publikum geliebt. Dieser Optimismus prägte auch sein Lob der Demokratie, das er 1957 in seiner Dankrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche anstimmte:
"Demokratie ist nicht nur das Streben nach einer sozialen Gleichheit der Menschen, sondern auch das Bemühen, ihnen die Gewissheit zu geben, dass sie in Gottes Gnade gleich sind … Dieses Bemühen wird einige Zeit erfordern. Man nenne Menschen fünftausend Jahre lang Hunde, und sie werden kriechen."

In Asien auf deutschen Missionsschulen

Da sprach ein Schriftsteller, der nicht nur aus der neuen Welt Amerikas kam, sondern sich auch als Bewohner einer sehr alten Gedanken-Welt offenbarte.
Geboren wurde Wilder am 17. April 1897 in Madison in Wisconsin als Sohn eines Zeitungsverlegers. 1906 ging der – streng calvinistische – Vater als Konsul nach China, so dass der junge Thornton in Hongkong und Shanghai deutsche Missionsschulen besuchte.
Studien führten ihn in den 1920er-Jahren nach Rom, in dessen Nähe er bei archäologischen Forschungen die Überreste einer versunkenen etruskischen Stadt entdeckte. Auch grub er einige humanistische Leitideen der antik-abendländischen Philosophie wieder aus und baute auf ihnen sein Werk. Schreiben als Reisen durch Zeit und Raum. Wie kann man nach vorne leben, fragte er, wenn man weiß, dass man sterben muss? Obwohl:  
"Man ist nie wirklich fähig zu glauben, dass man sterben wird ..."

Gegenwart und Zukunft

Diese Geisterstimme gehörte in dem Stück "Das Meer wird seine Toten herausgeben" der ehemaligen Kaiserin von Neufundland. Ein vom Meeresgrund ebenfalls an die Wasseroberfläche aufgestiegener Mann antwortete:
Mann: "Ich hatte immer den Augenblick des Ausgelöschtwerdens gefürchtet, und doch war der meine weniger schmerzhaft als ein Kopfweh."
Frau: "Ja, wir wissen nun, dass der wirkliche Schmerz uns in den Zeiten befällt und plagt, die seit damals vergangen sind."
Dass der Mensch nur so viel Zukunft hat, wie er auch Vergangenheit besitzt – ein Grundgedanke Thornton Wilders auch in seinem Stück "Unsere kleine Stadt". Es führte zugleich die Schwierigkeit vor, die Gegenwart der Vergangenheit im alltäglichen Leben überhaupt zu erkennen. Als Problemlösung schlug er in dem Roman "Die Brücke von San Luis Rey" vor:  
"Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe – das einzig Bleibende, der einzige Sinn."

Professor in Chicago und Harvard

Solche heute etwas plakativ wirkenden, aber immer dekorativ vorgestellten Ansichten haben manchen Kritiker von einem "leichten Staubgeruch eklektizistischer Gelehrtenpoesie" sprechen lassen. Ein Gelehrter war der 1975 gestorbene Wilder tatsächlich, lange sogar Professor in Chicago und Harvard, aber Einwände dieser Art konnten Wilders Popularität nicht schmälern.
Sein in der Paulskirchen-Rede auch politisch begründeter Optimismus wirkte zu unwiderstehlich: "Die Demokratie hat eine große Aufgabe, nämlich neue Mythen, neue Metaphern, neue Bilder zu schaffen und den neuen Stand der Würde aufzuzeigen, in den der Mensch getreten ist."