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Schuldenstreit mit Athen
Deutscher Außenhandel sieht Griechenland-Krise gelassen

Die gegenwärtigen Finanzprobleme Griechenlands haben offenbar keinen großen Einfluss auf die deutsche Wirtschaft. Das Handelsvolumen mit Griechenland sei zu klein, als dass es die deutsche Wirtschaft tangieren würde, sagte der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner, im DLF.

Anton Börner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 09.07.2015
    Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton Börner.
    Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton Börner. (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Außenhandelspräsident Börner erklärte, die Unternehmen in Deutschland hätten sich auf die Lage in Griechenland eingestellt. "Wir sind mit vielen Ländern im Geschäft, die Probleme haben", sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA).
    Zugleich rief er die Gläubiger auf, im Schuldenstreit hart zu bleiben. "Man darf Griechenland nicht nachgeben", sagte er. Und er warnte vor einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Dies würde Europa, sein Ansehen und das Vertrauen in die Gemeinschaft massiv schädigen. Das Signal wäre, dass man die Euro-Verträge nicht ernst nehmen würde.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Von einem letzten Angebot war schon häufiger die Rede, auch von letzten Fristen. So wie es aussieht, soll und muss aber in dieser Woche die Entscheidung fallen: Soll Griechenland in die Pleite gehen, kommt der sogenannte Grexit, oder sollen die Europäer noch einmal Milliarden in die Hand nehmen, um Athen im Euro zu halten? Die griechische Regierung hat gestern beim Rettungsschirm ESM Gelder beantragt, die über die nächsten drei Jahre helfen sollen. Doch es ist keinesfalls sicher, dass diese Hilfe gewährt wird, denn die Voraussetzungen dafür sind streng und noch ist die Liste an Maßnahmen nicht bekannt, die Athen dafür bereit ist zu ergreifen.
    Anton Börner ist Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen, und ich habe ihn vor der Sendung gefragt, was denn die Unternehmer sagen, die mit Griechenland zu tun haben. Ist der Handel jetzt völlig zusammengebrochen?
    Anton Börner: Wir sind da ja nicht überrascht von der Entwicklung. Das kam ja nicht von heute auf morgen, sondern das ist ja ein Prozess, der schon über fünf Jahre oder fast sechs Jahre anhält. Insofern gut, wir leben mit der Realität, das sind wir gewöhnt. Wir haben uns darauf eingestellt, und ich glaube, grundsätzlich ist das Volumen, das wir mit Griechenland machen, einfach zu klein, als dass es die deutsche Wirtschaft in irgendeiner Weise negativ tangieren würde.
    Heckmann: Aber die Unternehmen, die mit Griechen Handel treiben, vor welche Probleme sind die gestellt?
    Börner: Ich sage mal, wir sind ja als globalisierte Wirtschaft mit vielen Ländern auch im Geschäft, die Schwierigkeiten haben. In der Regel gibt es zwei Wege: Entweder hat man eine Hermes-Deckung, also eine Kreditversicherungsdeckung (die Kreditversicherungen mit Griechenland sind zurzeit, bis jetzt jedenfalls noch nicht gekündigt). Das Zweite ist, dass man gegen Vorkasse liefert.
    Heckmann: Und darauf werden sich die meisten Unternehmen zumindest kaprizieren. Herr Börner, Sie sagten gerade, die Auswirkungen der Griechenland-Krise sind überschaubar, weil ja der Handel, das Handelsvolumen relativ gering ist. Dennoch: Wenn es jetzt zu einem Grexit kommen würde, welche Folgen hätte das für die deutsche Wirtschaft?
    "Das Recht steht über allem"
    Börner: Ich glaube, man muss einmal etwas konstatieren, was für die gesamte EU und natürlich für die Eurozone ganz essenziell wichtig ist, dass bei uns der Primat des Rechts über dem Primat der Politik steht. Das heißt, man kann nicht, wie man sich das so als Politiker vorstellt, die Wirklichkeit gestalten, sondern wir sind eine Wertegemeinschaft, die auf dem Recht basiert. Das ist ganz wichtig, weil wenn wir das verlassen, dann ist das der Beginn eines Vertrauensschwundes, der ganz Europa massiv in Schwierigkeiten bringen würde, und das ist etwas, was uns natürlich gewaltig sorgt, weil Wirtschaft kann nur dann funktionieren, wenn der Rechtsrahmen indiskutabel ist. Das heißt, das Recht steht über allem. Und jetzt kommen wir zu Griechenland.
    "Die Auflagen für Griechenland werden schärfer werden"
    Heckmann: Wobei es, wenn ich da einhaken darf, in der Vergangenheit dort auch schon regelmäßig Regelverstöße gegeben hat.
    Börner: Ja. Das bedauern wir auch, oder sagen wir mal, das finden wir auch eigentlich entsetzlich. Und wenn das sich sozusagen durchfrisst und bei den Investoren auf der Welt so allgemein gesehen wird, mit Europa kann man eben nicht mehr auf der Basis des Rechts verhandeln oder wirtschaften, sondern die legen das mal so und mal so aus, wie es ihnen gerade im Moment passt, dann wird das Europa massiv schädigen, und das wird nicht nur unsere Währung schädigen, das wird unser Ansehen schädigen, das wird unseren Einfluss schädigen und natürlich dann entsprechend auch unsere Wirtschaftskraft.
    Das ist das, worauf wir am meisten Wert legen und sagen, ganz gleich was jetzt rauskommt, das Recht muss beachtet werden.
    Jetzt kommen wir zu dem Thema, was für Griechenland problematisch wird. Das alte Paket ist ja ausgelaufen am 30.6. Die Griechen haben das nicht gewollt. Das lief ja unter dem EFSF. Jetzt kann nur ein neues Paket auf der Basis des ESM beantragt werden, und diese Voraussetzungen im ESM sind deutlich strenger als bei EFSF. Das heißt, ganz gleich ob jetzt Griechenland Hilfe bekommt oder nicht, die Auflagen werden nicht weniger, sondern sie werden schärfer werden.
    Das ist jetzt die große Frage: Wird der Herr Tsipras mit dem Votum, was er ja am Sonntag bekommen hat, wo ja die Griechen gewählt haben, wir wollen nicht so streng diese Pakete umsetzen. Jetzt muss er hingehen und sagen, ich kriege wahrscheinlich ein Paket, das wird er auch kriegen, wenn er die Voraussetzungen des ESM erfüllt, und die werden noch strenger werden. Das ist die große Frage: Schafft er das oder schafft er das nicht?
    Heckmann: Das ist die große Frage, auch ob die Hilfen dann gewährt werden, ob die Maßnahmen, die ergriffen werden, für ausreichend gehalten werden. Dennoch gibt es auch Wirtschaftswissenschaftler, die sagen, wenn das nicht gewährt wird, wenn es zu einem Grexit kommen sollte, dann könnte das durchaus auch Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft haben. Gustav Horn zum Beispiel vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, der sagt, diese Krise, die könnte den Aufschwung in Deutschland abbrechen lassen, und es ist durchaus keineswegs unwahrscheinlich, dass es eine Ansteckung gibt auf andere Länder und eine Destabilisierung des Euroraums. Was halten Sie davon?
    Börner: Ich habe eine komplett andere Meinung. Erstens: Eine Ansteckung gibt es nur dann, wenn man der Welt signalisiert, wir nehmen das mit der Eurozone nicht so ernst, wie wir es in unserem Regelwerk hinterlegt haben.
    Dann ist das die Einladung für die Spanier, Podemos zu wählen. Es ist eine Einladung für die Italiener, Kredel zu wählen und Salvini zu wählen, vielleicht auch noch mal Berlusconi. Damit kriegen Sie, auch wenn Sie an die französische Parteienlandschaft denken, eine Einladung, entweder ultralinks oder auch Le Pen zu wählen, die ja auch aus dem Euro heraus will. Das heißt, ich bin fest überzeugt, dass wir die Zentrifugalkräfte, die Zerreißkräfte, die den Euro nicht haben wollen, in Europa stärken, wenn wir glauben, wir müssten das Recht beugen und den Griechen unter allen Umständen, koste es was es wolle, das geben, was sie sich vorstellen.
    Das ist ein Beginn eines Zerfallsprozesses, der uns die nächsten Jahre, nicht jetzt in zwölf Monaten, aber in den nächsten fünf Jahren massiv schädigen wird, und das fürchte ich viel mehr, als dass wir irgendwo eine Aufschwungdelle haben würden, die ich so überhaupt nicht sehen kann, weil ich auch die Größenordnung der griechischen Wirtschaft als Einflussfaktor für die deutsche Wirtschaft schon überhaupt nicht erkennen kann.
    "Griechenland muss seine Hausaufgaben machen"
    Heckmann: Wie groß ist die Gefahr, dass Spekulanten sich jetzt als Nächstes Spanien, Italien, vielleicht Frankreich vornehmen?
    Börner: Ich glaube, man muss sich mal von dem Geist, von dem Gedanken der Spekulanten lösen, sondern man muss sich auf den Stuhl eines Portfolio-Managers einer großen Lebensversicherung oder einer Pensionsversicherung setzen. Wenn die Italien-Anleihen haben - und Italien ist der drittgrößte Anleihemarkt der Welt - kann man sagen, alle haben Italien-Anleihen.
    Wenn die anfangen zu zweifeln, ob das mit Italien bei 133 Prozent Verschuldung zum Bruttoinlandsprodukt gut gehen kann, und anfangen, diese Papiere abzustoßen, weil sie das Gefühl haben, die sind nicht mehr ordentlich gepreist oder da bauen sich Verlustrisiken auf, die sie ja im Hinblick daraufhin betrachten müssen, dass sie Renten ausbezahlen müssen die nächsten Jahrzehnte oder Lebensversicherungen ausbezahlen müssen, dann ist es natürlich so, dass für Italien die Situation äußerst düster wird.
    Das ist noch mal der Punkt, warum man Griechenland keinesfalls nachgeben darf, sondern man muss sagen, ihr müsst eure Hausaufgaben machen, das ist genau kodifiziert, ihr wisst genau, was ihr tun müsst. Wenn ihr das tut, seid Ihr bei uns willkommen, dann werden wir euch helfen, dann werdet ihr es auch schaffen, siehe Spanien, siehe Portugal, siehe Irland. Man kann das schaffen, siehe die baltischen Staaten. Wenn ihr das aber nicht wollt, dann könnt ihr leider in unserer Familie nicht mehr bleiben, dann müsst ihr euch selber durchkämpfen.
    "Wir beobachten China mit großer Sorge"
    Heckmann: Seit Monaten beschäftigt uns das Thema Griechenland natürlich nachvollziehbarerweise auch hier im Deutschlandfunk. Aber, Herr Börner, ich möchte noch mal kurz blicken auf die Situation in Asien. Da spielen die Börsen derzeit verrückt. In China herrscht regelrechte Panikstimmung. Wie aufmerksam beobachten Sie diese Entwicklung?
    Börner: Wir beobachten natürlich China ganz aufmerksam, weil das einer der größten Spieler oder Teilnehmer an der Weltwirtschaft ist und mit uns vom Handel her oder vom Außenhandel her extrem eng verbunden ist.
    Wir beobachten das mit großer Sorge. Wir glauben aber, dass bei allen Verlusten, die da jetzt realisiert wurden, die chinesische Regierung so stark ist, das Schlimmste zu verhüten. Auch die chinesische Notenbank, man sieht das ja, schwemmt oder überschwemmt China mit Liquidität, und das ist immer das Beste, um eine Börse zu stabilisieren.
    Das Nächste was man sehen muss ist, dass die chinesische Börse noch nicht weltweit so vernetzt ist wie beispielsweise die amerikanische Börse. Insofern habe ich Hoffnung, dass sich das nicht zu einer großen dramatischen Krise auswächst.
    Heckmann: Anton Börner war das, der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen. Herr Börner, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Börner: Bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.