Freitag, 19. April 2024

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Schwarze Null und Coronakrise
„Deutschland hat Leistungsbilanzüberschüsse zu Lasten der Anderen aufgebaut“

Dass Deutschlands Staatsfinanzen vergleichsweise gut dastünden, sei auf Kosten anderer Euro-Länder gegangen, sagte der Ökonom Heiner Flassbeck im Dlf. Um die Coronakrise zu bewältigen, müssten Währungsunion und Wirtschaft nun aber gemeinsam vorgehen – mit Beträgen in Billionenhöhe.

Heiner Flassbeck im Gespräch mit Philipp May | 23.03.2020
23.03.2020, Berlin: Das Reichstagsgebäude, Sitz des Deutschen Bundestags. Trotz der Coronakrise will der Bundestag am Mittwoch zu einer Sitzung zusammenkommen. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen hat die Bundesregierung das öffentliche Leben erheblich eingeschränkt. Foto: Carsten Koall/dpa | Verwendung weltweit
Lange Zeit galt die Maxime des ausgeglichenen Haushaltes in der deutschen Politik. Dieses Prinzip ist im Zeichen der Coronakrise gefallen. (dpa / picture alliance / Carsten Koall)
Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenpaket zur Stützung der Wirtschaft in der Coronakrise beschlossen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will dazu neue Schulden in Höhe von 156 Milliarden Euro aufnehmen. Die Politik der Schwarzen Null, also keine neuen Staatschulden aufzunehmen, ist somit passé. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat aber bereits angemahnt, dass nach der Coronakrise aber wieder auf einen ausgeglichenen Haushalt zu achten sei. Das seine falsche Herangehensweise, sagtet der Ökonom Heiner Flassbeck im Dlf und mahnt zu mehr gemeinsamen europäischen Vorgehen. Flassbeck war bis 2012 Chefökonom der UNO-Handels- und Entwicklungsorganisation UNCTAD.
Philipp May: Ist das alles angemessen?
Heiner Flassbeck: Na ja, das ist in der Dimension sicher angemessen. Die Bundesregierung hat jetzt begriffen, wie schwer der Einbruch sein wird. Er wird unglaublich groß, gewaltig sein, und entsprechend muss man gewaltig da gegenhalten. Um das klar zu sagen: Rezession ist der falsche Ausdruck. Wir haben hier einen Einbruch in der Wirtschaftstätigkeit, wie es ihn noch nie gegeben hat und wie es ihn in diesem Tempo auch noch nie gegeben hat, und deswegen ist es wichtig, dass all die Maßnahmen, von denen die Bundesregierung redet, jetzt sofort auf den Weg gebracht werden.
Mir ist das noch alles ein bisschen zu kompliziert. Es gibt viele Einzelregeln. Man sollte meines Erachtens eine furchtbar einfache Regel aufstellen, die da heißt: Jeder Mensch in Deutschland, der jetzt Corona-bedingt Einnahmeausfälle hat, bekommt vom Staat das, was er in den letzten drei Monaten oder sechs Monaten verdient hat. Das kann man leicht nachweisen. Das kann auch ein Unternehmer nachweisen in der Regel. Das sollte ihm für drei Monate garantiert werden. Dann muss man nicht über Mieten und all das reden. Dann kann man ganz einfache Beschlüsse fassen und die müssen ruckzuck in den nächsten Tagen durchgezogen werden.
Heiner Flassbeck , aufgenommen am 10.10.2014 auf der 66. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
Heiner Flassbeck war von 2003 bis 2012 Chefökonom der UNO-Handels- und Entwicklungsorganisation UNCTAD. Zuvor war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Oskar Lafontaine und Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). (picture alliance / Frank May)
May: Das klingt aber nach noch mehr Geld. Reicht das denn? Können wir uns das leisten?
Flassbeck: Das ist vielleicht noch ein bisschen mehr Geld, aber das wäre jedenfalls Sicherheit und das wäre auch keine Ungleichbehandlung. Denn es ist ja durch nichts zu rechtfertigen, dass einige Menschen wie Pensionäre oder Beamte einfach ihr Geld weiter bekommen und der Arbeiter, der zufällig in einem Betrieb arbeitet, den man schließt, der bekommt nichts oder bekommt nur Kurzarbeit, 60 Prozent. Das ist nicht sehr viel. Und dann muss man wieder nachbessern.
Wir müssen uns ja darauf konzentrieren, das zunächst mal für drei Monate alles zu überbrücken, oder vier. Das ist egal! Und dann kann man weitersehen. Aber das wäre eine einfache, einfach zu handhabende Regel. Für die Unternehmen kann das dann Bürgschaften bedeuten, da muss das nicht Zuschüsse bedeuten, aber für die Arbeitnehmer sollten es einfach Zuschüsse sein. Dann wüsste man, wo man dran ist. Jeder weiß, okay, ansonsten bricht hier nichts zusammen, sondern ich kann so weiterleben, wie ich es bisher getan habe – mit all den Einschränkungen.
"Indirekt kommt das alles von der EZB"
May: Und wer soll das zahlen?
Flassbeck: Der Bund. Ich sage, das ist nicht viel mehr als das, was man ohnehin tut. Machen wir uns nichts vor! Dieses Geld, was da jetzt aufgebracht wird, kommt von den Kapitalmärkten, aber indirekt kommt das alles von der Europäischen Zentralbank, denn die wird ja die Zinsen niedrig halten für die Staatsanleihen. Und wir müssen auch immer bedenken: Das muss ja für ganz Europa gemacht werden. Wenn Herr Scholz sagt, wir stehen gut da, dann finde ich das sehr, sehr bedenklich. Das ist ein dummer Satz, den sollte er mal lassen. Man muss sich fragen, wie stehen wir alle da, wie steht die gesamte Währungsunion da.
Eine Frau arbeitet am 05.07.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) in einem Homeoffice.
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May: Aber es stimmt doch!
Flassbeck: Es stimmt, aber auf Kosten der anderen. Wir haben ja riesige Leistungsbilanzüberschüsse gehabt die letzten Jahre und das haben die anderen ja uns vorfinanziert, und da sollte man jetzt nicht stolz sein auf irgendetwas, sondern sollte dafür sorgen, dass die Währungsunion insgesamt funktioniert. Solch eine Regel sollte für die gesamte Währungsunion gelten. Das ist das, was Währungsunion impliziert in Europa, und nicht, wir machen jetzt und was in Italien passiert, interessiert uns nicht.
May: Kann sich Deutschland nicht glücklich schätzen, dass man in den letzten Jahren trotz viel Kritik an der schwarzen Null festgehalten hat?
Flassbeck: Nein, überhaupt nicht! Überhaupt nicht! Da ist nichts glücklich zu sein dran. Deutschland hat Leistungsbilanzüberschüsse aufgebaut zu Lasten der anderen europäischen Länder in der Europäischen Währungsunion und da ist nichts glücklich dran. Das war eine große Fehlentwicklung, die da stattgefunden hat, und aufgrund dessen hat Deutschland jetzt bessere Staatsfinanzen oder scheinbar gesündere Staatsfinanzen. Aber diese Regeln dürfen jetzt alle keine Rolle mehr spielen. Ob jemand 60 Prozent Schulden am Bruttoinlandsprodukt hat oder 80 oder 120, ist vollkommen egal im Moment.
Es muss in ganz Europa, in der ganzen Währungsunion zumindest, dafür gesorgt werden, dass solche Stabilisierungsmaßnahmen greifen. Da ist die Dimension natürlich noch viel größer. Da reden wir tatsächlich über 1000, 1500 Milliarden oder etwas in dieser Größenordnung. Das ist alles machbar, verstehen Sie. Da geht die Welt nicht unter von.
"Das Geld muss aufgebracht werden"
May: Corona-Bonds zum Beispiel, Euro-Bonds anders genannt.
Flassbeck: Das kann über staatliche Bonds, nationale Bonds, Corona-Bonds, ist alles egal! Aber das Geld muss aufgebracht werden. Man kann das alles machen, da geht die Welt überhaupt nicht von unter und da geht auch die Wirtschaft nicht zugrunde dabei. Am Ende werden die Staatsschulden, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, sehr hoch sein, aber das sollte uns dann nicht interessieren. Die stehen in den Büchern und da stehen sie noch für 100 oder 1000 Jahre. Da geht die Welt überhaupt nicht unter von und wir müssen da unsere Vorurteile korrigieren.
Händler stehen am 02.03.2020 an der Wall auf dem Parkett der Wall Street in New York und blicken auf die Aktienkurse auf den Bildschirmen.
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May: Herr Flassbeck, dennoch, weil die Zahlen ja für den normal denkenden Menschen einfach so schwindelerregend sind, bleibe ich jetzt einmal ganz kurz bei deutschen Zahlen, die seit heute auf dem Markt sind, auf dem Meinungsmarkt, um es mal so zu formulieren.
Das ifo-Institut fürchtet, dass die Kosten der Eindämmung alles übersteigen, was aus Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen bekannt ist. Das haben Sie ja auch schon gerade gesagt. Ein Schrumpfen von bis zu 20 Prozent der Wirtschaftsleistung steht da im Raum. In Euro ausgedrückt: Nur für Deutschland mehr als 700 Milliarden Euro, die weg sind. Ist das einfach so verkraftbar, weil das ist nur Buchgeld irgendwo?
Flassbeck: Das ist schon verkraftbar, wie gesagt. Das Geld wird am Ende gedruckt, machen wir uns nichts vor. Das ist kein Geld, was irgendwo eingesammelt wird, sondern das Geld wird von der EZB zur Verfügung gestellt. Das ist zwar in Europa formal verboten, aber das ist eine unsinnige Regelung. Die wird jetzt aber sowieso umgangen, weil die Staaten nehmen sich das Geld pro forma vom Kapitalmarkt, aber die EZB finanziert den Kapitalmarkt. Machen wir uns nichts vor! Das ist verkraftbar. Das ist durchaus machbar.
May: Das heißt, wir werden das gar nicht merken?
Flassbeck: Nein, wir werden da nichts merken. Wir werden hinterher nur größere Zahlen in den Büchern stehen haben. Das ist überhaupt nicht dramatisch. Wenn das jetzt für fünf Jahre wäre, dann müsste man ganz anders reden, aber wir reden zunächst mal über drei oder vier Monate. Da kann man das durchaus machen.
Die ifo-Dimension ist absolut richtig. Ich habe schon vor drei Wochen gesagt, bei einer drei- bis viermonatigen Krise wird das 20 bis 25 Prozent kosten. Das ist absolut realistisch.
Wir müssen sehen – ich habe es schon am Anfang gesagt: Nichts, nichts, absolut nichts ist vergleichbar mit dem, was da passiert, und das passiert ja nicht nur in Deutschland, es passiert in ganz Europa, es passiert in großen Teilen der Welt. In den USA wird es ähnlich sein. Wir haben einen unglaublichen Einbruch und wir müssen unglaublich viel dagegenhalten, damit da nicht unsere ganzen politischen und wirtschaftlichen Systeme auseinanderbrechen.
"Es gibt keine Staatsschuldenkrise"
May: Das heißt, die nächste Staatsschuldenkrise, die ist nicht vorprogrammiert?
Flassbeck: Nein, das hat mit Staatsschuldenkrise nichts zu tun. Wir reden uns immer so Sachen ein. Es gibt keine Staatsschuldenkrise. Es gab eigentlich nie eine wirkliche Staatsschuldenkrise. Nur wenn wir die falschen Regeln haben, wie wir sie gegenüber Italien zum Teil hatten, dann gibt es Staatsschuldenkrisen. Aber es wird keine Staatsschuldenkrise geben. Japan macht eine solche Politik seit 30 Jahren mit einem Schuldenstand, der doppelt so hoch ist wie in Italien. Es gibt keine Staatsschuldenkrise.
Wir müssen einige unserer Vorurteile massiv korrigieren und wir werden begreifen müssen, dass es in dieser Situation vollkommen unumgänglich ist, dass der Staat diese Schulden macht und dass die Europäische Zentralbank - das sollten auch die Politiker mal sagen; das finde ich ganz bedenklich; sie sollten es klar sagen -, dass die Europäische Zentralbank das finanziert.
May: Es gibt schon Stimmen aus der Wirtschaft, die sagen, diese Medizin des Shutdowns im Prinzip der gesamten Wirtschaft, die ist zu bitter. Mit diesen rigorosen Maßnahmen richtet man am Ende mehr Schaden an als Nutzen. Wenn ich Ihnen jetzt zuhöre, dann klingt das fast so, als könnten wir das im Prinzip zwei, drei Jahre durchziehen – würde keinen Unterschied machen?
Flassbeck: Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, jetzt machen wir das mal für drei, vier Monate. Da kann man das ohne weiteres durchziehen. Wie lange man das dahinter noch durchziehen kann, ist eine offene Frage. Das will ich jetzt aber nicht diskutieren, sondern es geht ja um einen Zeithorizont, den auch die Virologen so festgelegt haben, zunächst mal, dass man drei, vier Monate diesen Shutdown machen muss.
Dann muss man natürlich weitersehen, wie es geht. Aber das ist durchaus machbar, obwohl die Dimensionen jetzt furchtbar erschreckend klingen. Die Dimensionen klingen, als sei es der Weltuntergang, aber es ist nicht der Weltuntergang, weil es ja eine bewusste Maßnahme ist, und dieser Maßnahme muss man bewusst jetzt eine Gegenaktion, eine Finanzierung gegenüberstellen. Dann ist es eben nicht der Weltuntergang.
May: Herr Flassbeck, wir haben eigentlich so gut wie gar keine Zeit mehr. Kann man sagen, nach der Finanzkrise sind aus Millionen Milliarden geworden, und jetzt werden aus Milliarden Billionen, und das ist der Unterschied?
Flassbeck: So darf man das sagen. Aber bitte nicht erschrecken davor.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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