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Ukrainischer Klub in Warschau
Shakhtar Donezk - ein Klub im Exil

Der ukrainische Spitzenklub Shakhtar Donezk trägt seine Heimspiele in der Champions League kriegsbedingt in Warschau aus. Auch um den Schein der Normalität zu wahren. Doch die viele Reiserei schlaucht.

Von Peter Sawicki | 15.10.2022
Der ukrainische Klub Shakhtar Donezk vor seinem Spiel in der Champions League gegen Real Madrid in Warschau
Heimspiel in Polen: Der ukrainische Klub Shakhtar Donezk vor seinem Spiel in der Champions League gegen Real Madrid in Warschau (IMAGO / Rafal Oleksiewicz)
90 Minuten vor dem Anpfiff wird es am Stadion im Südosten Warschaus voll. Tausende Zuschauer reihen sich vor den Eingangsschleusen ein, Ordner in gelben Westen kontrollieren Tickets. Einige Fans verpflegen sich noch zügig an Wurstständen.
Dafür, dass ein Champions-League-Spiel ansteht, ist die Stimmung verhalten. Kaum Fangesänge, keine Trommeln. Dabei ist Titelverteidiger Real Madrid zu Gast. Doch auch der Gastgeber spielt in der Fremde. Shakhtar Donezk, ukrainischer Spitzenklub, trägt seine europäischen Heimspiele kriegsbedingt in Polen aus. Dieser polnische Fan unterstützt die Ukrainer:
„Seit meiner Kindheit mag ich Shakhtar. Schon immer mochte ich seinen brasilianischen Stil. Ich hasse Politik, ich hasse Krieg. Es ist besser, wenn die Spieler auf dem Platz stehen, anstatt im Schützengraben zu sitzen.“

Real Madrid und seine Stars ziehen eher

Es gibt auch polnische Fans, die explizit aus politischen Gründen mit dem 13-fachen ukrainischen Meister solidarisch sind. Doch die meisten machen keinen Hehl daraus, warum sie da sind: „Wir sind wegen Real hier. Wenn Spieler wie Benzema, Alaba oder Vinicius nach Polen kommen, ist das ein großes Ereignis.“
„Eindeutig wegen Real. Ich mag das Team. Wegen Shakhtar ist kaum jemand hier. 80-90 Prozent sind für Real Madrid.“
Ukrainische Fans sind selten zu finden. Shakhtar ist ein Klub im Exil. Seit Beginn des Ostukraine-Kriegs 2014 hat er nicht mehr in seiner eigentlichen Heimat gespielt.
Ukrainische Fans halten beim Champions-League-Spiel zwischen Shakhtar Donezk und Real Madrid in Warschau die urkainische Fahne in der Hand
Die Ukrainer Ihor und Andriy unterstützen ihren Club Skhtar Donezk, der seine Champions-League-Spiele in Warschau austrägt. (Deutschlandradio / Peter Sawicki)
Ihor ist mit seinem Bruder Andriy aus der Türkei angereist. Sie kommen aus Saporischschja, die Familie ist nach der russischen Invasion im Februar geflohen. Sie sind in orange gekleidet, der Klubfarbe Shakhtars, und halten eine Ukraine-Fahne hoch:
„Wir sind wohl die einzigen Shakhtar-Ultras hier. Ich erinnere mich an Spiele in der Donbass Arena in Donezk. Wir haben damals Chelsea und Arsenal besiegt. Unser Traum ist, dort wieder hingehen zu können.“

Die viele Reiserei schlaucht

Ein paar Meter weiter hebt Nazar aus Iwano-Frankiwsk, der seit einem Jahr in Polen studiert, die Bedeutung des Spiels hervor:
„Das ist für unser Land mehr als Fußball. Am Montag wurde die ganze Ukraine bombardiert. Derzeit halten alle ukrainischen Klubs und Fans zusammen, ob aus Kiew oder Donezk. Das gab es noch nie.“
Am Tag zuvor steht die Pressekonferenz im Zeichen der massiven Raketenangriffe. Vor den Mikrofonen sitzen Trainer Igor Jovicevic und Torwart Anatoliy Trubin. Sie würden für alle Ukrainer spielen, sagen sie, und beschwören die Einheit des Teams. Jovicevic fasst den jungen Trubin oft väterlich an der Schulter. Man sei mental stark, doch die Saison, so der kroatische Trainer, sei schwierig:
„Wir leben in Lwiw in der Westukraine, haben dort unsere Ligaspiele, pendeln für den Europacup hierher. Wir sitzen oft im Bus, das macht müde. Freie Tage haben wir kaum, weil wir so viel reisen müssen. Gegenüber anderen Teams ist das ein Handicap.“

Die ausländische Stars sind weg

Wegen des Krieges haben ausländische Stars Shakhtar verlassen, vor allem Brasilianer. Jovicevic will ein neues, junges Team aufbauen. Doch er äußert sich vor allem zu den Raketenangriffen – und zwar deutlich:
„Meine Botschaft ist – helfen Sie uns, dass der Krieg endet. Sie haben gesehen, was passiert ist. Das ist grausam. Fußball löst zwar positive Emotionen aus. Aber hier geht es um Leben. Auch wir möchten ruhig schlafen, ohne Angst vor Bomben. Helfen Sie uns!“
Als im Stadion die Champions-League-Hymne erklingt, halten fast alle Zuschauer Pappstücke in Rot und Weiß sowie Blau und Gelb hoch – den Nationalfarben Polens und der Ukraine.
Die Stimmung nimmt dann vor allem in der zweiten Hälfte Fahrt auf, als Shakhtar gegen den Favoriten in Führung geht, leidenschaftlich kämpft und sogar Chancen hat, zu erhöhen. Wenige Sekunden vor Abpfiff schafft Real aber noch den Ausgleich.

Der Klub kämpft gegen das Separatisten-Image

Jaroslaw Binczyk, 30 Jahre Sportjournalist bei der Zeitung Gazeta Wyborcza, hält das 1:1 für ein gutes Ergebnis. Jede positive Berichterstattung über die Ukraine sei für das Land politisch förderlich, meint er. Parallel, so der Experte, arbeite Shakhtar daran, das eigene Image in der Heimat verbessern:
„Seit dem Krieg in der Ostukraine hängt dem Klub noch ein wenig ein Separatisten-Image nach. Klubbesitzer Rinat Achmetow, der reichste Ukrainer, tut jetzt aber viel, um das Gegenteil zu beweisen. Er stellt viel Geld für die Armee, Veteranen und Flüchtlinge zur Verfügung.“
Möglich sei dies letztlich auch deshalb, weil Shakhtar seine Champions-League-Spiele in Polen austragen könne, so Journalist Binczyk. Generell habe die Partie gegen Real gezeigt, dass die polnische Gesellschaft an der Seite der Ukraine stehe:
„In der Ukraine rechnet man das Polen hoch an. Und allein diese Aktion im Stadion. Die rot-weißen und blau-gelben Kartons waren zwar auf den Plätzen verteilt. Aber sie mussten auch erst in die Höhe gehoben werden. Und die Fans haben es getan.“
Nach Mitternacht feiern noch einige Shakhtar-Fans ihr Team vor dem Stadion. Auch Andriy, der mit seinem Sohn aus Österreich angereist ist, wo die Familie lebt. An den polnischen Fans übt er leichte Kritik – ist aber zufrieden, und schaut nach vorne:
„Ich bin überrascht, dass viele polnische Fans für Real waren. Zumal Polen die Ukraine im Krieg unterstützt. Aber es ist alles ok. Shakhtar kämpft wie unsere Soldaten, nur auf dem Fußballplatz. Ich bin sicher – dieses Shakhtar hat eine große Zukunft.“