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Soforthilfe für Hartz-IV-Empfänger
Bentele (VdK): "100 Euro wären gerechtfertigt"

In der Coronakrise sei die finanzielle Belastung für Hartz-IV-Empfänger noch einmal gestiegen, sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, im Dlf. Durch Masken, Desinfektionsmittel oder Homeschooling hätten sich die Ausgaben weiter erhöht. Sie fordert deshalb eine Soforthilfe von 100 Euro.

Verena Bentele im Gespräch mit Philipp May |
Verena Bentele (l), Präsidentin des Sozialverbandes VdK
Verena Bentele fordert eine Soforthilfe von 100 Euro für Hartz-IV-Empfänger (dpa/ Britta Pedersen)
Kaum ein Land ist großzügiger bei der Unterstützung seiner Bürgerinnen und Bürger während der Pandemie als Deutschland. Aber kommt die Hilfe auch überall an? Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, sieht hier viele Bevölkerungsgruppen im Nachteil: Zwar sei die digitale Teilhabe mit einem "sehr geringem Betrag" in den Hartz-IV-Sätzen berücksichtigt worden. Vor ein großes Problem stelle viele Betroffene aber die Kinderbetreuung oder das Homeschooling. Dort gebe es "immer noch keine ausreichenden Lösungen", so Bentele im Dlf. Die Kinder seien in der Krise schlecht ausgestattet. Es bestehe die Gefahr, dass die Kluft zwischen Arm und Reich noch größer werde.
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Auch Rentnern mit geringen Einkommen gehe es finanziell nicht gut. Denn hier seien 450-Euro-Jobs zum Beispiel in der Gastronomie als Zusatzeinkommen weggebrochen, sagte Bentele. Sie wünsche sich über die aktuellen Hilfen hinaus auch ein Nachdenken darüber, wie zum Beispiel Solo-Selbstständige etwa etwa in die Arbeitslosenversicherung integriert werden könnten. Man müsse darüber sprechen, wie die sozialen Sicherungssysteme nach der Krise aufgestellt werden sollen.
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Das komplette Gespräch zum Nachlesen:
Philipp May: Hat die Bundesregierung an alle gedacht?
Verena Bentele: Es kommt immer ein bisschen drauf an, in welchem Bereich. Wenn wir zum Beispiel mal das Thema Impfen nehmen, würde ich mal sagen, ist nicht an alle gedacht. Wer mir immer noch zu kurz kommt, gerade auch jetzt im Start der Impfkampagne, ist eben zum Beispiel die Gruppe der pflegenden Angehörigen. An die wird gerade deutlich weniger gedacht als zum Beispiel an die Pflegekräfte in Einrichtungen, die natürlich auch einen ganz, ganz wichtigen Job machen, aber ein Dreiviertel der Pflegebedürftigen wird zum Beispiel zu Hause gepflegt. An die wird noch nicht so intensiv gedacht, wie ich mir das wünschen würde. Wirtschaftlich gesehen finde ich wirklich, jetzt ist die Zeit, um über auch eine stabile Absicherung unserer sozialen Sicherungssysteme mal nachzudenken. Zum Beispiel soloselbstständige Menschen, die eben vorher vielleicht als Messebauer gearbeitet haben, für all die ist natürlich jetzt erst mal was Positives in unserem wirklich gut funktionierenden Sozialstaat, dass der Zugang zur Grundsicherung erleichtert ist. Aber negativ ist natürlich, dass diese Personengruppe vorher nicht in die soziale Absicherung wie eben zum Beispiel die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat und deswegen jetzt eben auch keine anderen Ansprüche hat als zum Beispiel die Grundsicherung. Da wünsche ich mir, um wirklich auch alle in so einer Krise gut absichern zu können, dass wir da noch mal über unsere sozialen Sicherungssysteme sprechen, wie wir sie auch nach der Krise aufstellen wollen.

"Nicht sehr gut" geht es Rentnern mit niedrigen Rentnen

May: Also alle Freiberufler in die Sozialversicherungssysteme beziehungsweise ins deutsche Sozialversicherungssystem. Ich kann mir vorstellen, da werden aber auch viele Freiberufler protestieren, weil sie genau das nicht wollen.
Bentele: Das kann ich mir auch vorstellen, aber wir haben ja jetzt alle die Diskussionen der letzten Monate mitbekommen, nach einem Unternehmerlohn zum Beispiel, und da wäre die Diskussion natürlich auch ein bisschen einfacher, wenn eben alle auch in die Sozialsicherung einbezahlt hätten. Deswegen, nur als ein Beispiel, sollten wir darüber auf jeden Fall diskutieren. Eine Personengruppe, der es im Moment natürlich auch tatsächlich nicht sehr gut geht, sind Rentner mit sehr niedrigen Renten. Es haben ganz viele vorher einen 450-Euro-Job gehabt, einen Minijob, und den mussten sie aufgeben, zum Beispiel in der Gastronomie oder in anderen Bereichen, die jetzt nicht mehr funktionieren. Für diese Rentnerinnen und Rentner. Oder auch natürlich für Grundsicherungsempfänger, die jetzt erhöhte Kosten haben durch Masken, Desinfektionsmittel, vielleicht durchs Homeschooling der Kinder, für all die ist jetzt wirklich einfach die finanzielle Absicherung noch schwieriger. Da haben wir uns eben mit anderen zusammen an einer Kampagne beteiligt, 100 Euro sofort an Grundsicherungsempfänger zu bezahlen.
May: Also Grundsicherung Hartz-IV-Empfänger.
Bentele: Genau, Hartz-IV-Empfänger, damit die zum Beispiel Obst und Gemüse, das teurer geworden ist, oder wie gesagt Desinfektionsmittel, Masken sich besser leisten können.

"Leben ist wirklich teurer geworden"

May: Aber ist das Leben für Hartz-IV-Empfänger in der Pandemie tatsächlich teurer geworden als in normalen Zeiten?
Bentele: Ja, durch diese Sonderausgaben vermuten oder befürchten eben viele wie wir auch im VdK, dass das Leben wirklich teurer geworden ist, weil zum Beispiel manche Hilfsorganisationen wie Tafeln nur noch eingeschränkter arbeiten können, weil es wie gesagt die Sonderausgaben gibt für Masken, Desinfektion, weil man eben auch mehr zu Hause ist, deswegen vielleicht auch mehr heizt. Es gibt schon Gründe, warum die Ausgaben jetzt eben auch höher sind. Deswegen würde ich schon sagen, wären da diese 100 Euro mehr, die wir gefordert haben, auch gerechtfertigt. Es gibt natürlich Menschen, die sagen, das Leben ist doch günstiger geworden für uns alle, weil wir nicht mehr so oft einen Kaffee trinken gehen, nur ehrlicherweise, ich wohne jetzt in München, und wenn ich einen Kaffee trinken gehe, kostet der mich fast vier Euro. Und das würde jemand, der Grundsicherung bezieht, sowieso kaum machen.

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Die Bundesregierung habe bei den Corona-Hilfen rasch gehandelt, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, im Dlf. Doch besonders hart seien untere und mittlere Einkommen betroffen. Hier bedürfe es nun mehr Mut. Beispielsweise könne beim Kurzarbeitergeld nachjustiert werden.
May: Aber dennoch geht es bei Hartz IV ja auch darum, soziale Teilhabe zu ermöglichen, die ja momentan tatsächlich für alle wegfällt. Verstehen Sie mich nicht falsch, man kann ja immer über die Erhöhung von Hartz-IV-Sätzen reden, die Frage ist dann nur, wird jetzt tatsächlich das Leben in der Pandemie teurer?
Bentele: Die digitale Teilhabe wurde jetzt in der Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze auch berücksichtigt, aber mit einem sehr geringen Betrag, und genau das ist der Punkt: Wer dann eben auch mehr telefoniert und vielleicht keine sogenannte Flatrate hat, hat natürlich auch dadurch höhere Kosten. Und wirklich ein Punkt, den ich intensiv immer wieder auch ansprechen möchte, ist das Thema Homeschooling oder Betreuung von kleineren Kindern zu Hause, die jetzt eben deutlich mehr ist, wenn Kitas geschlossen sind, wenn Schule zu Hause stattfindet. Da gibt es eben immer noch keine ausreichenden Lösungen, wie auch gerade für solche Familien, in denen die Technik eben nicht perfekt ist, die Ausstattung, wie da eben auch geholfen werden kann. Also wenn der Lockdown länger dauert noch, dann ist hier wirklich dringend von den Ländern, von den Kultusministerinnen und -ministern was zu machen, dass von den Schulen zum Beispiel Leihgeräte an bedürftige Familien ausgegeben werden.

"In deutlich größerem Umfang Technik anschaffen"

May: Wie ist das zu machen? Wir müssen ja davon ausgehen, dass der Lockdown länger dauert – wenn ich das Interview, das wir um 7:15 Uhr geführt haben mit der Virologin Melanie Brinkmann, dann muss man davon ausgehen. Wie ist das zu machen beispielsweise mit den Leihgeräten, wenn beispielsweise die Schulen noch nicht mal Geräte für sich selber haben?
Bentele: Guter Punkt. Ich finde, natürlich hätte man dafür eine Lösung suchen sollen und können und müssen – ich rede sehr viel im Konjunktiv jetzt, wir haben ja die Pandemie schon seit März –, und da hatten natürlich schon meines Erachtens die Kultusministerinnen und -minister jetzt auch eine Menge Zeit, sich da Lösungen zu überlegen. Es kann auch nicht die Lösung sein, das den Familien und damit ja den Kindern selbst auf dem Rücken der Kinder auszutragen und den Familien es selbst zu überlassen. Da eben noch mal wirklich in deutlich größerem Umfang auch Technik anzuschaffen für natürlich die Schulen selbst, aber eben auch für Familien, die da keinen Zugang haben, ist schon für mich eine Verpflichtung, um jetzt nicht die Spaltung der Gesellschaft noch größer werden zu lassen. In Deutschland ist eh so das Bildungschancen sehr von den Einkommensverhältnissen der Eltern abhängen, und wenn wir jetzt eben auch noch sehen, wie schlecht die Ausstattung vieler Kinder in der Krise ist, ist das auch für uns natürlich als Sozialverband, der ja natürlich nicht sonst viel mit dem Thema Rente beschäftigt, ein Riesenthema, weil das sind ja die Menschen, die zukünftig auf unserem Arbeitsmarkt arbeiten und dann auch irgendwann eine Rente bekommen. Deswegen ist das natürlich auch für uns ein Thema, wie eben auch Kinder den Anschluss weiter halten können und ihn nicht verlieren.
May: Glauben Sie, dass das die größte Gefahr ist der Krise, dass eben dieser Riss zwischen Arm und Reich größer geworden ist durch die Krise?
Bentele: Absolut, das ist für mich wirklich die größte Gefahr. Wie gesagt, in Deutschland läuft vieles ja glücklicherweise schon sehr viel besser, weil wir zum Beispiel Hartz IV haben, weil wir jetzt eben auch Unterstützungsmöglichkeiten anbieten, weil unser Staat mit Instrumenten wie dem Kurzarbeitergeld Unterstützungsmöglichkeiten anbietet. Da haben wir in Deutschland wirklich schon sehr, sehr gute Instrumente, aber der Riss zwischen Arm und Reich wird jetzt in der Krise immer größer für viele. Eben Soloselbstständige, für viele Minijobber, für all die ist es jetzt wirklich extrem hart. Und wenn da dann die Grundsicherung der einzige Weg bleibt, auch zukünftig wäre das richtig schlimm.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.