Donnerstag, 25. April 2024

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Soldatengedenkstätte
"Hier können Familien gemeinsam trauern"

Ist die neue Bundeswehrgedenkstätte bei Potsdam zu weit im ländlichen Gebiet? Nein, meint Stabsfeldwebel Lutz Wendt. Es handele sich um einen Rückzugsort für Angehörige und Freunde der Gefallenen - für das öffentliche Gedenken gebe es andere Denkmäler.

Lutz Wendt im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.11.2014
    Ein Kreuz mit der Aufschrift "Den Toten zur Ehr" auf der Gedenkstätte "Wald der Erinnerung".
    Die neue Gedenkstätte "Wald der Erinnerung" befindet sich auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam. (picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    Martin Zagatta: Mehr als 100 Soldaten der Bundeswehr sind bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen. An sie wird ab heute mit einer Gedenkstätte erinnert in einem sogenannten Wald der Erinnerung in einer Kaserne nahe Potsdam. Dass diese Gedenkstätte, die heute eingeweiht wird, dass die so abgelegen ist, sorgt aber auch schon für heftige Kritik, das sei beschämend, sagt etwa der frühere Wehrbeauftragte Reinhold Robbe: Statt im Zentrum von Berlin einen prominenten Platz zu schaffen, würden die Kriegsopfer versteckt. Ist diese Kritik berechtigt? Lutz Wendt, Stabsfeldwebel bei der Bundeswehr, war mehrfach in Afghanistan im Einsatz, hat dort auch einen Anschlag überlebt, dabei aber Kameraden und seinen besten Freund verloren. Er hat es sich dann zur Aufgabe gemacht, sich um Hinterbliebene zu kümmern und um die Erinnerung an die getöteten Soldaten, und er findet es gut – das hat er mir vor der Sendung gesagt –, dass diese Gedenkstätte etwas abgelegen liegt.
    Lutz Wendt: Ich denke mal, dass das eine ganz wichtige Geschichte ist, nicht nur für die Soldaten, sondern vor allem für die Familien, in erster Linie für die Familien. Ich bin auch der Meinung, dass das nicht für die Soldaten geschaffen worden ist, sondern für die Angehörigen.
    Zagatta: Da gibt es aber jetzt die Kritik an der Gedenkstätte, dass die so abgelegen sei, das sagt etwa der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe, der frühere, das sei sogar beschämend: Statt im Zentrum von Berlin einen prominenten Platz zu schaffen, würden die Kriegsopfer derart versteckt. Können Sie diese Unzufriedenheit nachvollziehen?
    Wendt: Nein. Vor anderthalb Jahren habe ich auch noch diese Meinung gehabt, damals noch in Afghanistan. Aber jetzt im Nachhinein, nach anderthalb Jahren und nach sehr viel Arbeit mit den Hinterbliebenen auch, sehe ich die Sache anders.
    "Witwen wollen einen Platz zum Trauern"
    Zagatta: Was hat sich da verändert?
    Wendt: Wenn man mit den Witwen spricht und redet, sie wollen ja nicht in der Öffentlichkeit stehen. Sie wollen, dass es nicht vergessen wird, und sie wollen einen Platz haben, wo man auch trauern kann.
    Zagatta: Aber wieso ist den Hinterbliebenen dann eine solche Gedenkstätte eigentlich so wichtig? Also, trauern könnten sie ja auch an den Gräbern der Soldaten.
    Wendt: Das ist richtig, es gibt ja auch die ganzen Gedenksteine in den Kasernen, wo Soldaten gefallen sind. Aber ich habe das selber erlebt, ich bin jetzt auch versetzt worden, an diesen Standorten: Die Leute gehen alle weg, die haben eine Rotation, die verschwinden immer nach und nach. Und nachher ist nur noch der Stein da oder diese Gedenkstätte und die Witwe oder die Familie, aber keiner, der da einen Bezug hat zur Familie. Aber hier, an so einer zentralen Stelle, hier können sich auch die Witwen und die Familien mal treffen und gemeinsam trauern.
    Zagatta: Wieso braucht man dann eine zweite Gedenkstätte? Denn es gibt ja seit einigen Jahren schon ein Ehrenmal am Bendlerblock, am Verteidigungsministerium in Berlin. Wo ist denn da jetzt der große Unterschied, warum braucht man zwei solcher Gedenkstätten?
    Wendt: Tja, das eine ist ja, sagen wir mal, die zentrale Sache, die Sie am Anfang angesprochen haben, da am Bendlerblock, das wäre ja die Geschichte in der Öffentlichkeit. Und wenn man, wie gesagt, mit den Familienangehörigen mal redet, das wollen sie gar nicht. Sie wollen, dass das nicht vergessen wird, und ich sagte vorhin schon, ich finde das sehr gut, dass das so gemacht worden ist. Denn mit diesem Baum, das ist schon eine schöne Sache. Ich bin sehr gespannt.
    "Trauer gehört nicht in die Öffentlichkeit"
    Zagatta: Aber so richtig öffentlich ist das ja am Bendlerblock auch nicht. Das ist auch nicht mitten im Zentrum vor dem Reichstag, wie es ja gefordert wurde. Der frühere Wehrbeauftragte Robbe sagt sogar, dass man jetzt da an einen so abgelegenen Ort geht, das sei ein Schlag ins Gesicht für die Angehörigen. Hören Sie solche Stimmen von dem einen oder anderen auch?
    Wendt: Nein. Nicht von den Angehörigen. Und ich habe wirklich sehr engen Kontakt zu sehr vielen Angehörigen. Und ich sagte, ich habe jetzt gerade auf dem Weg hierher mit einer Angehörigen telefoniert. Sie sagt, sie weint jetzt schon seit zwei Stunden im Auto auf dem Weg hierher. Da kann man sich mal vorstellen, wie nah das den Angehörigen noch geht, nach vier Jahren zum Teil - oder bei ihr ist das jetzt fast fünf Jahre her. Und das muss so sein, wie es da gemacht ist.
    Zagatta: Lässt sich die Bundeswehr damit nicht auch irgendwo aus der Öffentlichkeit heraus an den Rand der Gesellschaft drängen?
    Wendt: Nein. Trauer gehört nicht in die Öffentlichkeit, so sehe ich das. Trauer ist was Persönliches. Und ich finde das sehr gut.
    Zagatta: Und so eine Gedenkstätte vor dem Reichstag, wo auch dann jeder, der dort vorbeikommt, mal daran erinnert wird, was deutsche Soldaten auch geleistet haben? Also, in anderen Ländern ist man da stolz, da wird das zelebriert. Das braucht man in Deutschland nicht?
    Wendt: Doch, doch, das braucht man auch, das wird noch kommen, dass so eine Erinnerungstafel irgendwo mal sein wird, noch zentraler als sie jetzt ist schon im Bendlerblock. Das wird auf jeden Fall irgendwann mal sein. Aber jetzt in dieser Situation oder so weit, wie wir jetzt schon gekommen sind, wir fangen ja erst an mit solchen Geschichten, so sehe ich das immer. Also, ich begleitet das jetzt ja, im April werden es fünf Jahre. Und wenn ich sehe, was wir in den fünf Jahren in dieser Richtung alles gemacht haben, wie wir uns da weiterentwickelt haben. Wir reden ja von Sachen, die für uns völlig neu sind. Und ich denke mal, das ist der richtige Weg. Stolz sind wir auf unsere Kameraden auf jeden Fall und in der Zivilbevölkerung ist das genauso. In meinem persönlichen Umfeld, Freunde, Bekannte, ist das genauso.
    Zagatta: In der breiten Öffentlichkeit auch?
    Wendt: Ja, das kann ich so schlecht sagen, denn den Umgang mit der breiten Öffentlichkeit habe ich ja nicht so. Aber mir persönlich gegenüber sind da keine Beispiele bekannt geworden, wo jemand sagte, das geht zu weit oder so nicht. Nein.
    "Bin der Meinung, dass wir verdammt viel geleistet haben"
    Zagatta: Herr Wendt, noch einmal zurück zu der Bedeutung dieser Gedenkstätte für die Angehörigen! Dieser Wald wird ja auch unterteilt jetzt nach Einsatzgebieten, zuletzt also auch, wo Sie waren, Afghanistan. Wird dann so eine Gedenkstätte nicht auch zu einem Ort von Frust, an dem man sich fragt, ob deutsche Soldaten, ob da geliebte Menschen nicht völlig sinnlos oder völlig umsonst gestorben sind?
    Wendt: Das sehe ich völlig anders. So wie ich das jetzt gehört habe, sind ja selbst die Gedenksteine oder Ehrenmale von den einzelnen Lagern in Afghanistan hergebracht worden und aufgebaut worden. Und ich sehe das eher so, dass auch Soldaten, die da waren, hier herkommen werden in naher Zukunft und sich die Sachen einfach mal anschauen und dann wieder sich daran erinnern, was da war, wie es da war und was wir da geleistet haben, so sehe ich das.
    Zagatta: Ich frage das auch deshalb, weil man ja aus Afghanistan auch hört, dass sich, wenn die internationalen Truppen da einmal abgezogen sind vollständig, dass sich so viel gar nicht ändern wird. Die Nachrichten klingen ja nicht so optimistisch. Haben Sie da selbst als ehemaliger Afghanistan-Kämpfer diese Zweifel auch, wenn Sie da an Ihren toten Freund denken, oder lassen Sie so was erst gar nicht aufkommen an so einem Ort dann, kommt Ihnen dann so was gar nicht in den Kopf?
    Wendt: Gute Frage. Ich war jetzt letztes Jahr wieder in Afghanistan und habe afghanische Soldaten ausgebildet, und ich habe den Eindruck schon, dass da sich einiges bewegt hat, wenn ich das mit den ersten Einsätzen und jetzt vergleiche. Ich bin schon der Meinung, dass wir verdammt viel geleistet haben, was Aufbauarbeit angeht in diesem Land, was die Führung der Streitkräfte et cetera angeht und solche Geschichten, dass das Land sich mal irgendwann selber sichern kann oder die Demokratie aufbauen kann.
    Zagatta: Also dass Ihr Freund nicht umsonst gestorben ist?
    Wendt: Nein, das wäre für mich auch sehr, sehr schlimm, wenn ich das mal feststellen müsste, für mich persönlich. Und ich muss das ja auch seiner Frau und seinen Kindern verkaufen und nicht nur jetzt nach fünf Jahren, auch vielleicht in zehn oder 20 Jahren.
    Zagatta: Herr Wendt, ganz herzlichen Dank! Zu der neuen Gedenkstätte für gefallene Soldaten war das Stabsfeldwebel Lutz Wendt. Herr Wendt, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
    Wendt: Bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.