Samstag, 20. April 2024

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Berlusconi-Pläne zu ProSiebenSat.1
Die Angst vor der Übernahme

Silvio Berlusconi hat schon lange Interesse an ProSiebenSat.1. Nun heißt es, Italiens Ex-Ministerpräsident habe die alleinige Kontrolle des TV-Konzerns angemeldet. In Deutschland will das die Politik bislang verhindern. Aber wie lange geht das noch?

Text: Michel Borgers | Thomas Lückerath im Gespräch mit Mirjam Kid | 19.12.2022
Silvio Berlusconi - lachend zwischen zwei weiteren Männern
Silvio Berlusconi - als Politiker wieder in Regierungsverantwortung, aber die TV-Geschäfte führt inzwischen sein Sohn (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Gregorio Borgia)
Läuft ProSiebenSat.1 Gefahr, zur „Abspielstation“ für Formate italienischer Berlusconi-Sender zu werden? Gerade zwei Monate ist es her, da hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder davor bei den Medientagen München gewarnt. Berlusconis Konzern MediaForEurope, kurz MFE, ist bereits seit 2019 Anteilseigner des börsennotierten Medienunternehmens aus Unterföhring bei München.
Damals erwarb sein Unternehmen Mediaset erste Anteile an PoSiebenSat.1. Mediaset heißt inzwischen MFE. Seit November ist die Beteiligung auf 22,72 Prozent angewachsenen. Wie nun aus einer Mitteilung der österreichischen Wettbewerbsbehörde bekannt wurde, hat Berlusconis Medienholding den "Erwerb von faktischer alleiniger Kontrolle an ProSiebenSat.1 Media SE" angemeldet.
Weder der deutsche noch der italienische Medienkonzern haben sich bislang geäußert zu den Berichten. Und was sie am Ende genau bedeuten, ist selbst für Experten noch nicht abzusehen.

Experten-Kommission KEK: Noch keine Anzeige

Fest steht: Beim Bundeskartellamt soll bisher noch kein Antrag vorliegen. Und noch ist auch bei der in Deutschland bundesweit zuständigen Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) keine entsprechende Anzeige eingegangen, wie der Deutschlandfunk aus dem Umfeld der KEK erfuhr.
Dort hieß es auch, dass man größere Veränderungen bei bundesweiten Anbietern, wie etwa einem größeren Anstieg von Aktienanteilen, vorab eigentlich prüfen müsse, „ob eine vorherrschende Meinungsmacht entsteht“. Noch aber laufe im Fall von ProSiebenSat.1 ein solches Verfahren nicht.
Die KEK setzt sich aus Sachverständigen des Rundfunk- und Wirtschaftsrechts sowie Direktorinnen und Direktoren der Landesmedienanstalten zusammen. Die Sachverständigen werden aus der Politik berufen, sind aber nicht weisungsgebunden.

Eine Frage der Besitzverhältnisse

Die Pläne aus Italien beschäftigen schon lange die bayerischen Medienwächter. Bereits bei der Ankündigung von MFE im März, den Anteil auf 25 Prozent zu erhöhen, hatte Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), auf „größere Einfluss-Möglichkeiten auf das Unternehmen“ hingewiesen. Das sei „medienrechtlich relevant“, deshalb werde man versuchen, im Rahmen des neuen bayerischen Mediengesetzes versuchen Einfluss zu nehmen, kündigte Schmiege im Deutschlandfunk an .

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Das Gesetz war damals gerade geändert worden und gelte als eine „Lex Berlusconi“, erklärt Medienjournalist Thomas Lückerath vom Branchendienst DWDL. Die Gesetzesänderung soll eine Übernahme durch MFE verhindern. Wie genau, sei jedoch unklar, sagte Lückerath im Deutschlandfunk.
Die Sorge vor dem Namen Berlusconi sei groß in Deutschland. Dabei sei dieser mittlerweile nicht mehr die aktiv treibende Kraft im Tagesgeschäft. Deshalb würde er auch davor warnen, ein "Monstrum aufzubauen, dass jemand Einfluss aufs Nachrichtengeschäft nimmt“, so Lückerath. Hinzu komme, dass Nachrichten im Programm von ProSiebenSat.1 ohnehin eine vergleichsweise kleine Rolle gegenüber der Unterhaltung einnehmen.

Mediengesetz: Einfluss Einzelner beschränken

Das neue bayerische Mediengesetz sei „mit scharfen Waffen ausgestattet“ worden hinsichtlich der Prüfpflichten bei Beteiligungsveränderungen, so Roland Bornemann, vormals Justiziar bei der BLM; dort ist er inzwischen ausgeschieden. Als Rechtsanwalt und Honorarprofessor in Mainz hat er die Vorgänge rund um ProSiebenSat.1 immer noch im Blick – stellt aber gegenüber dem Deutschlandfunk fest: Was genau dort aktuell vor sich gehe, sei ihm im Detail nicht bekannt. Am Ende müssten wohl Wertpapierexperten entscheiden.
Seiner Einschätzung nach müsse in Bayern grundsätzlich eine Binnenpluralität gewährleistet sein, entscheidend sei hierbei vor allem die Frage danach, wie viel Einfluss eine einzelne Person einnehmen kann. Und im Fall von Berlusconi handle es sich nicht nur um einen Medienunternehmer, sondern auch einen Politiker, der nun auch wieder an Regierungsgeschäften beteiligt sei, gibt Bornemann zu bedenken.
Berlusconi wolle aus Pro7 und anderen europäischen Sendern eine direkte Konkurrenz zu den US-Streamingdiensten formen, hieß es im März von dem Medienunternehmen. Bisher gibt es keine europaweite Regulierung, gibt Roland Bornemann zu bedenken: „Es gibt kein europäisches Medienkonzentrationsrecht im engeren Sinne.“ Zwar gelte das Kartellrecht auch für TV-Sender. Aber - so ist sich Bornemann sicher - die EU werde bei dem Thema nicht eingreifen.

Medienhüter: MFE zielt auf 29,9 Prozent der Stimmrechte

Wenn aus Europa nichts zu erwarten ist und die national zuständige KEK offiziell noch nicht im Bilde ist, bleibt noch die BLM. In einer aktuellen Stellungnahme der bayerischen Medienregulierer heißt es, MFE habe heute (19.12.2022) angezeigt, dass man „nunmehr plane“, die derzeitige Beteiligung an der ProSieben Sat.1 Media SE durch Transaktionen auf bis zu 29,9 Prozent des Grundkapitals und der Stimmrechte zu erhöhen.
MFE sei verpflichtet, "dies bereits vor dem Vollzug den zuständigen Landesmedienanstalten und durch diese der KEK rechtzeitig anzuzeigen", betont BLM-Präsident Thorsten Schmiege. Die MFE ziele "offensichtlich darauf ab, diese Verpflichtung nach dem Medienstaatsvertrag (MStV) zu erfüllen", also das rechtzeitige Anzeigen der eigenen Pläne. Die heutige Anzeige ziele "offensichtlich darauf ab, diese Verpflichtung nach dem Medienstaatsvertrag zu erfüllen". Auch beim Antrag in Österreich gehe es darum, rechtliche Vorlagen zu erfüllen.
Eine Beteiligungserhöhung auf bis zu 29,9 Prozent des Grundkapitals und der Stimmrechte würde zudem die Frage aufwerfen, ob dadurch ein Verstoß gegen das Gebot der Staatsferne vorläge. Die Entscheidung darüber treffe die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Medienanstalten, so die BLM zum weiteren Vorgehen. Das Bundeskartellamt habe bereits Anfang April den Erwerb von mehr als 25 Prozent der Anteile als wettbewerbsrechtlich unbedenklich eingestuft. Auf bis zu 29 Prozent käme MFE offenbar bereits jetzt über Optionen, auf die das Unternehmen Zugriff hat.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hatte zuvor die zuständigen Medienaufsichtsbehörden in Deutschland und Österreich aufgefordert, eine Übernahme zu verhindern. Eine faktische Übernahme von ProSiebenSat.1 durch Silvio Berlusconi würde die publizistische Ausrichtung der Sendergruppe nachhaltig stören, heißt es.

TV-Experte: ProSiebenSat.1 zeigt sich offener

Bei den aktuellen Nachrichten aus Österreich gehe es wohl vor allem um „Säbelrassen“ und „Aufmerksamkeit“ seitens Berlusconis Medienholding, schätzt Thomas Lückerath von DWDL. „Die MFE braucht weitere Anteile, und die muss ihnen jemand verkaufen.“ Dass diese Absichten noch mal deutlich würden, könne dabei helfen. In der Politik habe man sich zwar auf all das vorbereitet. Allerdings sei nicht ganz klar, wie eine Übernahme am Ende tatsächlich zu verhindern sei.
Und bei ProSiebenSat.1 selbst, wo man sich in der Vergangenheit noch sehr ablehnend gegenüber einer Übernahme geäußert habe, sei die Tonalität eine andere geworden. Unter einer neuen Geschäftsleitung werde das Szenario inzwischen nicht mehr abgeblockt, stellt Lückerath fest.