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Sozialgutachten
Sorge um sozialen Zusammenhalt

Zu viele Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor oder leben von der Mindestsicherung, beklagt der Paritätische Gesamtverband in seinem Jahresgutachten. Zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts schlägt er einen Acht-Punkte-Plan vor und fordert unter anderem eine Anhebung der Renten und des Mindestlohns.

Von Katharina Hamberger | 07.08.2018
    Reinigungskraft der MVG Münchner Verkehrsgesellschaft reinigt die U Bahn Station Marienplatz in München
    Rund 22,6 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor und verdienen weniger als 10,50 Euro in der Stunde. (imago/Ralph Peters)
    In seinem fünften Jahresgutachten sieht der Paritätische Gesamtverband durchaus positive Entwicklungen. So sei die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt von 43,6 Millionen im Jahr 2016 auf 44,3 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen, ebenfalls die der davon sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sei von 31 Millionen Menschen um knapp 700.000 gestiegen.
    Allerdings, so geht es aus dem Jahresgutachten des Verbandes hervor, seien nach wie vor rund 22,6 Prozent den Menschen im Niedriglohnbereich beschäftigt, verdienen also weniger als 10,50 Euro pro Stunde. Zudem würden knapp zehn Prozent der Bevölkerung von der Mindestsicherung leben – der Verband geht außerdem davon aus, dass die Zahl eigentlich noch größer sein müsste. Man rede in dem Fall nämlich nicht von den Leistungberechtigen:
    "Die aus Unwissenheit, Scham oder Stolz darauf verzichten, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Das sind nach wie vor circa 40 bis 60 Prozent der Berechtigten", so Ralf Rosenbrok, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes.
    Migrationsdebatten lenken von den Sorgen der Menschen ab
    Aus Sicht des Verbandes konzentriert sich die Politik aber nicht auf das Lösen dieser Probleme. Es fehle an politischen Maßnahmen und auch am Willen, und sie beschäftige sich nicht mit dem, was die Menschen bewege, nämlich den sozialen Fragen, so der Vorwurf des paritätischen Gesamtverbandes:
    "Wenn trotzdem immer wieder und am lautesten über Migration und Flucht gesprochen wird und wenn dabei Begriffe benutzt werden, die ich hier nicht zitieren werde, die aber inhaltlich falsch, sprachlich unangemessen und absichtsvoll diskreditierend sind, dann ist das nicht nur schäbig, es lenkt eben auch von den tatsächlichen und drängenden Sorgen und Anliegen der Menschen in Deutschland ab."
    Das gefährde den sozialen Zusammenhalt, resümiert Rosenbrok und unterlegt dies mit Daten des sozioökonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die der Paritätische Gesamtverband ausgewertet hat:
    "Dabei waren die Armutsbetroffenen mit 87,9 Prozent in großer Sorge um den sozialen Zusammenhalt, aber 89,6 Prozent, also geringfügig mehr, auch die nicht von Armut betroffenen Gruppen."
    Dass dies unabhängig von der Einkommenssituation sei, erklärt Rosenbrok unter anderem damit, dass alle Menschen in ihrem Umfeld ganz konkret mit sozialen Lagen konfrontiert seien.
    Acht Punkte für den sozialen Zusammenhalt
    Zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts schlägt der Paritätische Gesamtverband deshalb acht Punkte vor, unter anderem eine Mindestlohn von 12 Euro, eine Stärkung der Arbeits- und Rentenversicherung und eine höhere Grundsicherung von mindestens 571 Euro anstatt 416 Euro. Zudem fordert der Verband ein Zurück zu einem Rentenniveau von 53 Prozent. Die Kosten für die Umsetzung der Forderungen schätzt der Verband im zweistelligen Milliardenbereich:
    "Wenn wir alle unsere acht Forderungen, nicht nur symbolisch, sondern so, dass sie das Problem substantiell verringern oder lösen, angehen würden, dann würde das ungefähr auf 50 Milliarden pro Jahr hinaus laufen und dazu kämen noch ungefähr 15 Milliarden Steuerausfälle, wenn wir die Regelsetze heben, dann erhebt sich das Existenzminimum für Steuerung und dann fallen auch noch Steuern weg."
    Das seien 1,5 Prozent des Bruttosozialproduktes, so Rosenbrok. Aus seiner Sicht sei das aber bei der aktuellen Wirtschaftslage kein unüberwindbares Hindernis.