Studie zu planetaren Grenzen
Die Menschheit ruiniert ihre Lebensgrundlage

„Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht.“ Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie zu den planetaren Grenzen. Bei sechs von neun definierten Bereichen, die für den Erhalt der menschlichen Existenz wichtig sind, sind die Grenzen schon überschritten.

    Digital bearbeitetes Bild der Erde aus dem Weltall mit Nacht über Europa und Tag über Asien
    Laut der jüngste Studie zu den Planetaren Grenzen verliert die Erde ihre Widerstandskraft (imago / Ikon Images / Ian Cuming)
    Seit 14 Jahren untersucht ein internationales Forschungsteam den Zustand der Erde und analysiert anhand von neun Teilbereichen, wie belastbar sie noch ist. Das heißt, inwieweit sie der Menschheit noch eine sichere und verlässliche Lebensgrundlage bietet.
    Nun haben die Forschenden das Ergebnis ihres jüngsten Gesundheitschecks der Erde veröffentlicht – es ist alarmierend.

    Überblick

    Was sind die planetaren Grenzen?

    Das Konzept der planetaren Grenzen wurde ursprünglich von einem 28-köpfigen Team internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Resilienzforscher Johan Rockström am Stockholm Resilience Centre entwickelt. Die Forscherinnen und Forscher, darunter der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen und der ehemalige Leiter des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans-Joachim Schellnhuber, stellten es erstmals 2009 vor.
    Darin definieren sie quantitative Grenzen für neun Teilbereiche der menschlichen Zivilisation, die eingehalten werden müssen, damit die Lebensgrundlagen der Menschheit erhalten bleiben.
    Die Forscherinnen und Forscher selbst sprechen auch von Leitplanken für „neun Dimensionen, die für die Gesundheit und Überlebensfähigkeit unserer menschlichen Zivilisation entscheidend sind“. Werden diese Leitplanken missachtet und durchbrochen, erhöht dies das Risiko für weitreichende abrupte oder irreversible Umweltveränderungen.
    Das heißt: Das Überschreiten einer planetaren Grenze bedeutet nicht zwangsläufig, dass drastische, sofort sichtbare Veränderungen eintreten, sie „markiert jedoch eine kritische Schwelle für erheblich steigende Risiken“.
    Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verdeutlichen dies anhand eines Vergleichs: „Wir können uns die Erde als einen menschlichen Körper vorstellen und die planetaren Grenzen als eine Form des Blutdrucks. Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko“, erläutert Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen. Sie ist Hauptautorin des Generalupdates der planetaren Grenzen, das am 13. September 2023 in der Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlicht wurde.
    Die Studie ist nach 2015 die zweite Aktualisierung des Konzepts der planetaren Grenzen seit seiner Vorstellung und überprüft erstmals alle neun Teilbereiche, die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Planeten bestimmen. Angemerkt werden muss, dass das Konzept der planetaren Grenzen nicht unumstritten ist, dies gilt insbesondere für die Definition der Grenzen.
    Für die Neubewertung dieser planetaren Grenzen nutzte das Forschungsteam nun zum einen aktuelle Studien, zudem simulierte es die Entwicklung der Erde mit Modellen des Erdsystems und auch der Biosphäre für mehrere hundert Jahre in die Zukunft. Als Vergleichsbasis diente ihnen die Phase zwischen der letzten Eiszeit und dem Beginn der Industriellen Revolution.

    Zum welchem Ergebnis kommt die neue Studie?

    Die nun veröffentlichte Studie zu den planetaren Grenzen analysiert wie die beiden vorangegangenen 2009 und 2015 den Zustand der Erde anhand der neun definierten Teilbereiche. In Anlehnung an den Vergleich der Erde mit einem menschlichen Körper könnte man sagen: Es handelt sich im um einen Gesundheitscheck unseres Planeten, bei dem nicht nur der Blutdruck gemessen wird, sondern auch die Blutwerte genommen, ein EKG geschrieben und eine Ultraschalluntersuchung aller Organe vorgenommen wird.
    Das Ergebnis des jüngsten Checkups zeigt: „Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht“, so der Co-Autor der Studie, Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Konkret kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass sechs der neun planetaren Grenzen bereits überschritten sind, zum Teil deutlich.
    Beim vorangegangenen Checkup 2025 waren nur vier Grenzen überschritten – doch die Erde verliert weiter an Widerstandsfähigkeit.
    „Der Druck auf den Planeten nimmt weiter zu, dabei werden lebenswichtige Belastungsgrenzen überschritten“, sagt Rockström. „Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen.”

    Welche planetaren Grenzen sind bereits überschritten?

    Das Konzept der planetaren Grenzen unterscheidet die Teilbereiche Klimawandel, Biosphäre, Süßwasser, Landnutzung, Biogeochemische Stoffkreisläufe, Neuartige Substanzen, Luftverschmutzung, Ozeanversauerung, Ozonschicht. In ihrem Generalupdate zu den planetaren Grenzen wies das internationale Forscherteam nach, dass bei sechs Teilbereichen die Grenzen bereits überschritten sind.
    Bekannt ist dies seit langem für den Bereich Klimawandel. Inzwischen hat die Menschheit die Atmosphäre global um rund 1,2 Grad Celsius erwärmt und steuert damit auf mehrere Kipppunkte im Klimasystem zu. Die Forscherinnen und Forscher betonen in ihrem Bericht, dass die Widerstandsfähigkeit der Erde jedoch von weit mehr als nur vom Klimawandel abhängt.
    „Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten“, sagt Ko-Autor Wolfgang Lucht vom PIK. „Und wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule.“
    Wie bei der globalen Erwärmung sei auch die Belastungsgrenze der Biosphäre, das heißt die Grenze, in der Biodiversität noch funktioniert, bereits deutlich überschritten, stellt das Forscherteam fest. Sie verweisen dabei unter anderem auf das Artensterben und die Zerstörung von Lebensräumen.
    Mithilfe einer neuen Variablen konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachweisen, dass die Belastungsgrenze der Biosphäre bereits seit Ende des späten 19. Jahrhunderts überschritten ist, als die Land- und Forstwirtschaft weltweit stark ausgeweitet wurde.
    Infografik zeigt die Planetare Grenzen und neun Leitplanken für die Zukunft.
    Planetare Grenzen: Neun Leitplanken für die Zukunft. (Angepasste Grafik, ursprünglich von Azote für das Stockholm Resilience Centre auf Basis von der Analyse in Richardson et al 2023)
    Und die Destabilisierung der Säule schreite weiter voran: „Indem wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden usw.“, erläutert Lucht, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK. All das kostet mehr und mehr Arten das Leben und führt zu einem Biodiversitätsverlust, der die Existenzgrundlage des Menschen bedroht. Wenn es zum Beispiel keine Bienen gibt, die Obstbäume bestäuben, wird es auch kein Obst mehr als Nahrungsmittel geben.
    Zudem verbraucht der Mensch zu viel Süßwasser. Bei diesem Teilbereich unterschieden die Forscherinnen und Forscher erstmals zwischen sogenanntem „grünen“ Wasser, das in landwirtschaftlichen und natürlichen Böden und Pflanzen enthalten ist, und „blauem“ Wasser, dem Oberfächenwasser in Flüssen, Seen, Bächen etc.
    In beiden Fällen sind die planetaren Grenzen bereits überschritten, außerdem bei der Landnutzung, den biogeochemischen Stoffkreisläufen und den neuartigen Substanzen.
    Das bedeutet: Die Menschheit holzt zu viele Wälder ab, nutzt zu viel Land für Landwirtschaft und Siedlungsbau und hat die Stoffkreisläufe für Phosphor und Stickstoff aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Konzentration beider Nähstoffe in den Böden ist zu hoch, vor allem als Folge des Düngens, zugleich wird Phosphor knapp.
    Die Grenze für sogenannte neuartige Substanzen quantifizierte das Forscherteam zum ersten Mal. Dieser Teilbereich beschreibt den Eintrag aller neuartigen, vom Menschen erzeugten chemischen Verbindungen in die Umwelt, zum Beispiel von Mikroplastik, Pestiziden oder Atommüll. Die Bewertung zeigt, dass die Belastungsgrenze auch in diesem Teilbereich weit überschritten ist.
    Derzeit noch im sicheren Bereich liegt nach den jüngsten Analysen die weltweite Aerosolbelastung der Atmosphäre, also die Verschmutzung der Luft etwas durch Feinstaub aus fossilen Heizungen oder Verbrennungsmotoren. Allerdings wird diese Grenze in manchen Regionen bereits regelmäßig überschritten, beispielsweise in Südasien. Die Ozeanversauerung liegt nach der Definition der Forscher gerade noch im grünen Bereich, der Ozonabbau in der oberen Atmosphäre inzwischen wieder.
    Gerade aus dieser Entwicklung zieht das Team eine Hoffnung auf Besserung auch für andere Probleme: In den 1990er-Jahren habe der Abbau der Ozonschicht die planetare Grenze überschritten. „Aber dank globaler Initiativen, die durch das Montrealer Protokoll erreicht wurden, wird dieser Grenzwert aktuell nicht mehr überschritten“, betont Richardson.

    Wie werden die Ergebnisse der Analyse bewertet?

    Auch wenn Belastungsgrenzen überschritten seien, gebe es noch Möglichkeiten, die Lage zu bessern, betont das Forscherteam. Es verweist in diesem Zusammenhang bei der Erderwärmung etwa auf Aufforstung.
    Sollte die Menschheit es schaffen, den CO2-Gehalt der Atmosphäre auf 450 Teilchen pro Million (parts per million, ppm) zu begrenzen - derzeit liegt er bei 417 - und zudem den Bestand des borealen und des tropischen Waldes nicht unter 60 Prozent der ursprünglichen Bewaldung sinken zu lassen, könnte die Erderwärmung deutlich gebremst werden: „Dann deutet die Simulation auf einen durchschnittlichen Temperaturanstieg über dem Land von 1,4 Grad bis zum Jahr 2100 hin“, heißt es.
    Allerdings halten etliche Klimaforscher das Erreichen des Zieles, die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Phase auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, für nicht mehr realistisch.
    Zugleich verweisen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler drauf, dass die planetaren Grenzen miteinander verknüpfte Prozesse innerhalb des komplexen biophysikalischen Systems Erde sind.
    Das bedeutet: „Ein globaler Fokus auf den Klimawandel allein reicht nicht aus, um die Nachhaltigkeit zu verbessern.“ Wichtig sei stattdessen das Verständnis des Zusammenspiels von Grenzen, insbesondere derjenigen des Klimas und der Biosphäre.
    Dies sei der Schlüssel für Wissenschaft und Praxis. Das heißt, nicht nur für die weitere Erforschung der Zusammenhänge der planetaren Grenzen, sondern auch für eine künftige Klima- und Wirtschaftspolitik sowie für das verantwortungsvolle Handeln wirtschaftlicher Akteure und von jedem Einzelnen in der Gesellschaft.
    Quellen: Stockholm Resilience Centre, Helmholtz Klimainitiative, Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, Sandra Pfister, Wulf Wilde