Mittwoch, 24. April 2024

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Sturm auf Mossul
"Wenn wir uns nicht wehren, wird das ganze Land vom IS zerstört"

Vier Wochen nach Beginn der Großoffensive auf die Millionenstadt Mossul ist die Lage in den bereits befreiten Gebieten weiter angespannt. Die Terrormiliz IS hat ganze Landstriche mit Minen verseucht und die Angst vor Scharfschützen oder Sprengfallen ist überall präsent. Dort, wo die gewaltbereiten Islamisten geflohen ist, ist der Krieg noch lange nicht vorbei.

Von Anna Osius | 14.11.2016
    Ali Abbas, ein kurdischer Peshmerga, steht am letzten Checkpoint vor Mossul im Irak.
    Der Häuserkampf in Mossul wird lang und blutig werden, ist sich der kurdische Peshmerga Ali Abbas sicher. (ARD / Anna Osius)
    Das Straßenschild zeigt an, dass der Weg sich teilt. Links geht es nach Bagdad und Kirkuk, neben dem rechten Pfeil steht nur ein Wort: Mossul. Wir sind auf der Straße Richtung IS. Das Auto holpert durch Schlaglöcher auf einer staubigen Piste. Stopp an einem Checkpoint, einem von dutzenden.
    Wo wollt ihr hin, wollen die bewaffneten Soldaten wissen, warum. Sie kontrollieren jeden genau. An einer Mauer kleben Fotos mit Namen, Plakate mit Trauerflor: Hier erinnern die Kämpfer an ihre gefallenen Kameraden.
    Fahrt durch ein karges Land, verdorrte Steppe bis zum Horizont. Hin und wieder einzelne Gebäude, verlassene Ortschaften. Hier herrschte bis vor Kurzem noch die Terrormiliz Islamischer Staat. Verkohlte Autowracks am Straßenrand, zerschossene Häuser. Stumme Zeugen der heftigen Gefechte, die hier tobten. Wir passieren Erdwälle, ausgehobene Schützengräben.
    Tausende flüchten aus Mossul in die befreiten Gebiete
    Dann geht es zunächst nicht weiter. Der IS hat auf seiner Flucht die Brücke gesprengt, die über einen Fluss führte, nur noch massive Betonpfeiler ragen aus dem trüben Wasser. Die Ersatzbrücke der kurdischen Peshmerga ist nur einspurig befahrbar – und gerade kommen sie von der Front in Mossul zurück: Panzer auf Tiefladern, schweres Gerät, Armeefahrzeuge. Erst als die Soldaten vorbei sind, können wir weiter.

    Links der Straße sieht man hinter hohen Zäunen die Zelte eines Flüchtlingslagers. Tausende sind dort in den vergangenen Tagen angekommen. Es ist eines der nächsten Flüchtlingslager hinter der Front.
    Flüchtlingslager nahe der Stadt Mossul im Irak.
    Tausende Bewohner sind bereits aus Mossul geflüchtet. (ARD / Anna Osius)
    Vor uns ist die Straße wieder gesperrt. Riesige Spezialfahrzeuge der US-Armee, martialisch wirkend, wie Raumfahrzeuge, Roboterartig.
    Kampf gegen die Minen des IS
    Ein US-Soldat in voller Kampfmontur und Sonnenbrille winkt uns zur Seite – hier dürfen wir nicht weiter. Der Grund ist schnell zu sehen: Das Sonderkommando der Amerikaner hat sich auf Minenräumung spezialisiert – zwischen den Fahrzeugen liegt ein ganzer Haufen von Sprengfallen, die sie aus nur einem Feld geholt haben – ein bisschen erinnert ihr Anblick an einen Stapel Konservendosen. Tödliche Fallen in diesem Krieg – der IS hat ganz Landstriche mit Minen verseucht – die Opfer sind nicht selten Kinder. Dort, wo der IS geflohen ist, ist der Krieg somit noch lange nicht vorbei.

    Am letzten Checkpoint vor Mossul treffen wir Ali Abbas. Der kurdische Peshmerga überprüft jeden genau - nicht weit von hier hat die irakische Armee ihre Basis für den Häuserkampf in Mossul, die Angst vor Anschlägen des IS ist groß. Nur wenige Kilometer sind es noch von hier bis zur Stadtgrenze der Großstadt – Detonationen sind zu hören.
    Ein Sonderkommando von US-Soldaten bei der Minenräumung nahe der Stadt Mossul im Irak.
    Ein Sonderkommando der Amerikaner hat sich auf Minenräumung spezialisiert und ist nahe der Stadt Mossul im Einsatz. (ARD / Anna Osius)
    "Der Kampf hier ist sehr hart, auch weil wir zu wenige Waffen haben", so Ali. "Wir bräuchten dringend mehr und bessere Waffen aus Deutschland. Die Fahrzeuge des IS sind alle gepanzert, da kommt nichts durch außer moderne Waffen. Wir haben hier auch ein großes Problem mit Minen, hier sind so viele, gestern sind erst wieder vier Kameraden gestorben, wir haben keine guten Maschinen, um sie zu entschärfen."
    "Es wird lange brauchen, bis Mossul befreit ist"
    Während Ali mit uns spricht, schaut er sich immer um. Seine Blicke sannen den Horizont, jede Bewegung um ihn herum. Ist es sicher hier? Man sagt uns ja. Und gleichzeitig räumt Ali ein: Bei der Weite des Landes könne das niemand hundertprozentig kontrollieren. Nachts kämen sie aus ihren Löchern, sagt Ali. Scharfschützen, unterirdische Tunnel, Sprengfallen – der Hinterhalt sei die Stärke des IS in diesem Krieg. Der Häuserkampf in Mossul, der jetzt in vollem Gange ist, dürfte lang und blutig werden, da ist sich Ali sicher:
    "Die irakische Armee kommt nicht sehr schnell voran, denn der IS hat viele Tunnel, Scharfschützen und Selbstmord-Attentäter. Es wird lange brauchen, bis Mossul befreit ist."

    Andere Soldatengruppen kommen dazu, diskutieren. Hier mischen sich die verschiedenen Verbündeten – kurdische Peshmerga, irakische Regierungstruppen, schiitische Milizen – Akteure, die sich untereinander eigentlich wenig schätzen. Vor allem die schiitischen Milizen sind umstritten in diesem Krieg – sie haben in der Vergangenheit durch Gräueltaten von sich Reden gemacht.
    Brennende Ölquellen in den befreiten Gebieten nahe der irakischen Stadt Mossul.
    In den befreiten Gebieten nahe der irakischen Stadt Mossul brennen Ölquellen. (ARD / Anna Osius)
    "Ich kämpfe hier mit voller Überzeugung"
    Ein schwarz Vermummter ohne Uniform und mit schweren Waffen kontrolliert die Autos. Ein Soldat trägt Jeansjacke, ein anderer Flipflops. Auch das ist Realität in diesem Krieg gegen den IS. Ali wünscht sich nur eines: Dass die Dschihadisten schnell aus Mossul und Rakka vertrieben werden:
    "Ich kämpfe hier mit voller Überzeugung – ich tu es für meine Brüder und Schwestern, meine Eltern, unsere Würde – das ist unser aller Land. Wenn wir uns nicht wehren, wird das ganze Land vom IS zerstört, so wie jetzt Mossul. Deswegen bin ich froh und stolz, beim Sturm gegen den IS dabei zu sein."