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Sturmerprobt und unterfinanziert

Am 30. April 1983 startete Deutschlands erste Privatuniversität mit 27 Medizinstudenten, deren Ausbildung vom ersten Tag an praxisorientiert war. Nach stürmischen Zeiten ist die Uni Witten-Herdecke in ruhigeres Fahrwasser geraten.

Von Andrea Groß |
    Die Lust an der Provokation ist Konrad Schily bis heute geblieben. Der 75-Jährige ist zurzeit in Norddeutschland unterwegs und deshalb nur telefonisch zu erreichen. Er habe bei der Gründung der Uni Witten viele Kröten schlucken müssen. Das würde er nicht mehr machen, wenn er noch einmal in der gleichen Situation wäre.

    "Der Schily musste damals erklären, dass er keine Studiengebühren nehmen würde. Sonst würde man ihm keine Zulassung geben. Dann hat der Staat von sich aus erklärt, staatliches Geld ist ausgeschlossen. Und weil ja keiner wissen konnte, woher das Geld kommen sollte, hat man dann gesagt, also du musst eine Bankbürgschaft beibringen."

    Keine der damaligen Auflagen hatte dauerhaft Bestand. Zwölf Jahre nachdem die Uni Witten-Herdecke ihren Betrieb aufgenommen hatte, flossen staatliche Zuschüsse, heute sind es viereinhalb Millionen Euro im Jahr. Die Studienbeiträge bewegen sich zwischen 30.000 Euro für die Wirtschaftswissenschaftler und mehr als 50.000 für die Zahnmediziner – jeweils für das gesamte Studium. Während seiner gesamten Amtszeit forderte Konrad Schily, dass man auch ohne Abitur studieren dürfe. Auch das sehen Ministerien mittlerweile nicht mehr so streng. Aber in den 1980er-Jahren war vieles noch anders. Der heutige Hochschulpräsident Martin Butzlaff gehörte zwar nicht zu den Studenten des ersten Jahrgangs. Die Pionierjahre der jungen Universität sind allerdings auch ihm noch lebhaft in Erinnerung.

    "Es stimmt. Die Ausbildung begann mit dem ersten Tag zunächst auf der Station, und um sechs haben wir uns am Pflegedienst beteiligt, um dann ab neun Uhr nach drei Stunden Pflege auf den Stationen zur Medizintheorie überzugehen."

    Die heutigen Medizinstudenten müssen nicht mehr ganz so früh aufstehen; die Praxisnähe ist aber immer noch oberste Priorität. Das gilt auch für alle anderen Fächer. Zehn Jahre lang wurden die Studenten der beständig wachsenden Uni in angemieteten Räumen im Wittener Stadtgebiet unterrichtet. Dann erst konnten sie ihr eigenes Gebäude beziehen. Die vielfältigen Turbulenzen, mit denen die Hochschule zu kämpfen hatte, waren damit nicht vorbei, resümiert Präsident Martin Butzlaff.

    "Die waren finanzieller Natur, dass das Geld nicht gereicht hat für diese enorm teure und aufwendige Ausbildung, die waren auch wissenschaftlicher Natur, dass man gesagt hat, es ist immer noch nicht breit genug, was an Wissenschaft geliefert wird, und der Wissenschaftsrat hat ja mindestens die gelbe Karte einmal erteilt."

    2005 befand der Wissenschaftsrat, dass die Privatuni zu wenig medizinische Forschung betreibt und auch die Lehre nicht ausreichend sei. Neun zusätzliche Professorenstellen forderte das Gremium und löste damit eine schwere Führungskrise in Witten-Herdecke aus. Die neuen Stellen kosteten Geld, also mussten neue Investoren her. Der aussichtsreichste Kandidat aber forderte harte Einschnitte in die Autonomie der Universität. Mithilfe der Studenten, Ehemaligen und einem weiteren Investor konnte 2008 eine Insolvenz in letzter Sekunde abgewendet werden. In der Situation war es gut, sagt Präsident Martin Butzlaff, dass die Uni so sturmerprobt ist.
    Mittlerweile hat auch der Wissenschaftsrat keine Bedenken mehr, und die Uni Witten ist aus den negativen Schlagzeilen raus. Das Fahrwasser ist ruhiger geworden und das gibt dem Präsidium Zeit, für die Zukunft zu planen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss die Zahl der Studierenden steigen. Den Studierenden machen diese Pläne ein bisschen Angst. Sie fürchten, dass eine individuelle Betreuung durch die Professoren dann nicht mehr möglich sein wird. Franka Kneier studiert Philosophie und Kulturreflexion und sie engagiert sich im Studierendenparlament. Von daher hat sie einen kritischen Blick auf ihre Uni. Ihr Geburtstagsglückwunsch macht aber klar, dass eine andere Hochschule für sie nicht denkbar ist.

    "Vor allen Dingen ein großes Danke, dass die letzten 30 Jahre da waren und dass hoffentlich noch 30 Jahre da sein werden. So, wie ich jetzt hier studiere, ist es das, was ich mir vorgestellt habe. Und ich genieße die Vielfalt, die wir hier haben, ich genieße es, viele gute Diskussionen und viele interessante Menschen hier zu haben. Und ich glaube, das ist das, was die Universität ausmacht."