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Syrien-Einigung
"Das ist die Nachricht des Tages"

Die USA und Russland haben sich auf einen Plan zur Durchsetzung einer Feuerpause in Syrien verständigt. Für den früheren Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses, Harald Kujat, lässt dies auf neue politische Gespräche hoffen. Die Nachricht des Tages sei aber, dass Moskau und Washington auch militärisch gemeinsam vorgehen wollten, sagte Kujat im DLF.

Harald Kujat im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.09.2016
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses.
    Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hofft nach der Syrien-Einigung auf neue politische Gespräche. (imago / Jürgen Heinrich)
    Eine Garantie, dass wieder normale Verhältnisse in Syrien eintreten, gebe es nicht, sagte der pensionierte General Harald Kujat im Deutschlandfunk. Die Einigung sei jedenfalls ein Hoffnungszeichen. "Wenn überhaupt eine Möglichkeit besteht, den Konflikt in den Griff zu bekommen, dann nur durch eine enge Zusammenarbeit von Russland und den Vereinigten Staaten."
    Auch die Situation in Afghanistan bewertete Kujat – 15 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 – pessimistisch. Die Situation habe sich seit dem Abzug der internationalen Kampftruppen dramatisch verschlechtert und es bestehe das Risiko, dass die Taliban in nicht allzu ferner Zeit die Macht wieder übernehmen. "Dies steht vielleicht nicht unmittelbar bevor, aber wir sind offensichtlich auf einer schiefen Ebene", sagte Kujat.
    Zwar sei der Einsatz nicht vergeblich gewesen und es habe auch positive Entwicklungen gegeben. Dann aber habe man das politische Ziel aus den Augen verloren. "Der Einsatz ist ja nicht militärisch gescheitert, sondern er ist vor allem politisch gescheitert."

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Martin Zagatta: Seit 15 Jahren, seit kurz nach den Anschlägen von New York sind internationale Truppen in Afghanistan im Einsatz, um die Terrorgruppe Al Qaida auszuschalten, um das Land zu befrieden. Der Kampfeinsatz war eigentlich schon abgeschlossen, derzeit sind noch ausländische Truppen, so etwa auch 800 oder 900 Bundeswehrsoldaten im Land, um die afghanische Armee auszubilden beziehungsweise zu beraten.
    - Harald Kujat war Generalinspekteur der Bundeswehr und auch Vorsitzender des Militärausschusses der NATO. Guten Morgen, Herr Kujat!
    Harald Kujat: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Zagatta: Herr Kujat, die Meldungen, die wir in den letzten Tagen aus Afghanistan erhalten haben, die klingen schrecklich. Bombenanschläge in der Hauptstadt Kabul, Überfälle, bei denen es Dutzende Tote gegeben hat. In 31 von 34 Provinzen herrscht wieder Krieg. Und allein im zurückliegenden Jahr sollen 11.000 Zivilisten getötet worden sein. Kann man da jetzt schon sagen, dass dieser Afghanistaneinsatz im Nachhinein gesehen gescheitert ist? Kann oder muss man das so hart sagen?
    Kujat: Ich habe das so hart schon vor einigen Jahren gesagt. Es zeichnet sich ja seit einigen Jahren bereits ab, diese Entwicklung. Es ist leider so, dass das so eingetroffen ist. Die Situation hat sich über die Zeit dramatisch verschlechtert. Und das Risiko besteht eben, auch das habe ich vor Jahren schon gesagt, dass die Taliban dort in nicht allzu ferner Zukunft die Macht übernehmen werden.
    Zagatta: Steht das jetzt bevor, nach diesen Meldungen, die wir hören?
    Kujat: Ich würde nicht sagen, dass es unmittelbar bevorsteht, aber wir sind offensichtlich auf einer schiefen Ebene, was die politische und sicherheitspolitische Entwicklung in Afghanistan betrifft, wie gesagt, seit vielen Jahren schon. Hinzu kommt, dass neben den Taliban ja auch inzwischen andere Terroristen Fuß gefasst haben. Insbesondere der sogenannte Islamische Staat hat dort inzwischen auch – versucht dort, seinen Teil an der Entwicklung abzubekommen. Das sind alles keine guten Nachrichten, es sind keine guten Entwicklungen.
    Zagatta: Und das, obwohl mehr als 2.000 Amerikaner getötet worden sind in diesem Krieg dort in Afghanistan, auch 55 oder 56 deutsche Soldaten. Herr Kujat, ich traue mich das ja kaum, zu fragen, weil das für die Hinterbliebenen ja furchtbar sein muss, aber sind diese Soldaten, sind auch die deutschen Soldaten umsonst gestorben?
    Kujat: In Afghanistan wurden vor allem politische Fehler gemacht
    Kujat: Es ist noch schwieriger, eine Antwort darauf zu finden, auf Ihre schwierige Frage. Nein, ich würde nicht sagen, dass die umsonst gestorben sind. Der Einsatz war nicht vergeblich. Es ist auch einiges erreicht worden, das darf man auch nicht unterschlagen. Es gab auch sehr positive Entwicklungen in diesem Land. Nur irgendwann haben wir das politische Ziel, das uns vor Augen stand, aus den Augen verloren, ganz offensichtlich. Der Einsatz ist ja nicht primär militärisch gescheitert. Wir haben auch militärisch Fehler gemacht, ganz ohne Zweifel, aber er ist vor allen Dingen politisch gescheitert. Und da haben wir in der Tat von Anfang an, glaube ich, die falsche Richtung eingeschlagen. Es ist vor allen Dingen auch nicht gelungen, die Nachbarstaaten mit in einen Stabilisierungs-, einen Friedensprozess einzubeziehen, insbesondere Pakistan. Pakistan hat eine ganz wichtige, aber negative Rolle gespielt. Es geht nicht nur um Afghanistan, was häufig vergessen wurde, sondern es ging um einen regionalen Konflikt, um regionale Terrororganisationen, die ja immer wieder ihren Rückzugsraum in Pakistan aufsuchen konnten, dort versorgt wurden, ausgebildet wurden. Also es hätte eine regionale Lösung gefunden werden müssen. Das ist uns nicht gelungen.
    Zagatta: Amerikanische Truppen sind ja im Zusammenhang mit diesem Kampf gegen den Terror, den George Bush erklärt hat, auch im Irak einmarschiert, um Massenvernichtungswaffen zu zerstören, Waffen, die man dann gar nicht gefunden hat. Ist das im Nachhinein gesehen ein Glücksfall, dass Deutschland sich an diesem Krieg zumindest nicht beteiligt hat?
    Kujat: Ja, das muss man in der Tat sagen. Wir müssen sehr sorgfältig überlegen, überhaupt, auch bei den vielen aktuellen Konflikten, die es in der Welt gibt – die Zahl hat ja dramatisch zugenommen. Diese Konflikte sind auf der einen Seite unabhängig voneinander, auf der anderen Seite haben sie doch viele Gemeinsamkeiten, sind irgendwie miteinander vernetzt. Wir müssen also sehr sorgfältig immer überlegen, ob ein deutsches Engagement politisch wie militärisch in unserem eigenen Interesse, in unserem nationalen Interesse ist. Das gilt ja ganz allgemein, in dem Fall Iraks ist die richtige Entscheidung getroffen worden damals von der Politik. Das kann man nur begrüßen. Auch im Irak ist ja die Entwicklung danach, nach diesem Krieg dann völlig falsch gelaufen. Und das Entstehen des IS ist natürlich mit eine Folge dieser Fehlentwicklung im Irak. Das muss man auch bei dieser Gelegenheit sagen. Also Sie sehen doch, die Dinge sind stärker miteinander vernetzt, als man das möglicherweise am Anfang eines solchen Konfliktes glaubt.
    Zagatta: Und der Krieg in Syrien zeigt ja, wohin das geführt hat. Sie haben eben unseren Bericht mitgehört unseres Korrespondenten, dass sich da die USA, die Außenminister der USA und Russlands in der Nacht auf einen Waffenstillstand geeinigt hätten, auf einen Friedensplan für Syrien. Solche Anläufe hat es ja schon mehrfach gegeben. Sind Sie da optimistisch, dass daraus was wird?
    Kujat: Man muss optimistisch sein
    Kujat: Na ja, man muss optimistisch sein. Man darf heutzutage nicht pessimistisch sein. Ich hoffe sehr, dass dies der erste Schritt ist, der letztlich wieder die politischen Verhandlungen ermöglicht, die dann auch zu einer politischen Lösung führen. Das war ja das Problem der letzten Wochen, dass sich die militärische Entwicklung, also die Fortschritte Russlands und Syriens, von den politischen Verhandlungen gelöst hatten und das Risiko bestand, dass es überhaupt nicht mehr zu einer politischen Lösung kommen würde, sondern dass wir sozusagen eine militärische Entscheidung erreichen würden. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass nun hoffentlich wieder diese beiden Prozesse parallel laufen, also die militärische Entwicklung und die politischen Verhandlungen. Und da ist es wiederum ganz wichtig, dass die Vereinigten Staaten und Russland gemeinsam vorgehen. Und das ist die Nachricht des Tages. Nicht nur bei der Suche nach einer politischen Lösung, sondern auch militärisch wollen sei gemeinsam vorgehen. Das ist ganz, ganz wichtig. Und ich denke, ist eine Voraussetzung, dass dort irgendwann doch wieder normale Verhältnisse eintreten können. Eine Garantie dafür gibt es natürlich bei den vielen unterschiedlichen Gruppierungen, die in Syrien ihre eigenen Ziele verfolgen, von außen eingreifen und auch von innen immer neue Gruppierungen bilden, terroristische, dschihadistische Gruppen, diese Garantie gibt es nicht, aber jedenfalls ist es ein Hoffnungszeichen.
    Zagatta: Das wollte ich Sie fragen. Sind denn die USA und Russland, wenn sie sich jetzt überhaupt einig werden, was ja erstaunlich ist, sind die dann noch in der Lage, für solche einen Waffenstillstand zu sorgen, oder ist die Lage in Syrien mittlerweile viel zu verfahren?
    Kujat: Sie ist sehr zerfahren, aber wenn überhaupt eine Möglichkeit besteht, die Dinge dort unter Kontrolle zu bekommen, dann nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Russland und den Vereinigten Staaten. Das ist im Übrigen auch ein Modell für die Beilegung des Krieges in der Ukraine. Nur, wenn sich die Vereinigten Staaten auch wiederum mit Russland an einen Tisch setzen und eine Lösung suchen, wird es auch eine Lösung geben. Das ist die Lehre aus diesem Syrien-Konflikt.
    Zagatta: Das heißt, das könnte heute ein sehr guter Tag sein. Sie haben zumindest etwas Hoffnung?
    Kujat: Ich habe Hoffnung. Wenn man in dieser schwierigen Zeit keine Hoffnung hätte, dann sollte man gleich aufgeben, sich mit politischen und sicherheitspolitischen Fragen zu befassen.
    Zagatta: Sagt Harald Kujat, er war Generalinspekteur der Bundeswehr und auch Vorsitzender des Militärausschusses der NATO. Herr Kujat, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
    Kujat: Ich danke Ihnen! Alles Gute!
    Zagatta: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.