Es sei "die schlimmste Erfahrung ihres Lebens" gewesen, teilte Iga Swiatek in einem Video Ende November 2024 ihren 1,8 Millionen Instagram-Followerinnen und Followern mit und erzählte dann, was sie die vergangenen zweieinhalb Monate verheimlichen musste: "Am 12. September habe ich erfahren, dass mein Doping-Test vom 12. August, vor dem Turnier in Cincinnati, positiv war."
Auch die ITIA, die International Tennis Integrity Agency, machte den Fall öffentlich. Demnach sei in Swiateks Blut die verbotene Substanz Trimetazidin nachgewiesen worden. Nach einer Anhörung Swiateks stufte die ITIA den Vorfall jedoch als minder schwer ein und sperrte die Polin nur für einen Monat.
Durch die Sperre verpasste Swiatek jedoch drei Turniere in Asien und verlor ihre Führung in der Weltrangliste an die Belarussin Aryna Sabalenka.
Was ist Trimetazidin?
Der Wirkstoff Trimetazidin wird eigentlich bei Durchblutungsstörungen des Herzens angewendet und zur Prophylaxe der Angina pectoris angewendet. In Deutschland ist aktuell kein Medikament auf dem Markt, das Trimetazidin enthält.
Doping mit Trimetazidin soll die Leistung des Herzens verbessern. Durch die Einnahme fokussiert sich das Herz auf die Bereitstellung von Energie durch Glukose. Vereinfacht gesagt: Sportlerinnen und Sportler werden auch bei hoher Belastung länger mit Energie versorgt und können so ausdauernder auf höherem Niveau performen.
Weltweit bekannt als Dopingmittel wurde Trimetazidin durch den Fall der damals 15-jährigen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa. Auch im Doping-Skandal um die chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmer vor den Olympischen Spielen in Paris ging es um Trimetazidin.
Was sagt Swiatek?
"Ich konnte mir zunächst gar nicht erklären, wie das passieren konnte", sagte die 23-Jährige in ihren Instagram-Statement. "Wie sich dann herausstellte, wurde bei mir eine historisch geringe Menge Trimetazidin festgestellt. Ich wusste noch nicht einmal, dass es das gibt. Weder ich noch die Menschen um mich herum sind jemals zuvor mit Trimetazidin in Kontakt gekommen", sagte Swiatek.
Sie und ihr Team hätten sofort mit der ITIA kooperiert und habe alle Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die sie zu der Zeit genommen hatte, testen lassen. "Die Tests haben gezeigt, dass die Melatonin-Tabletten, die ich vor dem Turnier in Cincinnati genommen habe, in der Produktion verunreinigt wurden. Das war ein Schock, aber hat auch vieles erklärt. Und die Quelle zu finden, ist in diesen Fällen besonders wichtig."
Melatonin sei wichtig für sie, sagte Swiatek. Aufgrund der vielen Reisen, Jetlags und Stress leider sie häufig unter Schlafproblemen. Melatonin wird zugeschrieben, diese lindern zu können und wird auch in vielen Drogerien verkauft.
Was sagt die ITIA?
Die ITIA folgte Swiateks Argumentation: "Die ITIA akzeptiert, dass der positive Test durch Kontamination eines nicht verschreibungspflichtigen Medikaments, hergestellt und verkauft in Polen, das die Spielerin gegen Jetlag und Schlafprobleme eingenommen hat, verursacht worden ist und der Verstoß deshalb nicht mit Absicht erfolgt ist", hieß es in einem Statement.
Die ITIA stellte deshalb "kein erhebliches Verschulden oder Fahrlässigkeit" bei Swiatek fest und verhängte deshalb nur eine Sperre von einem Monat, die Swiatek am 27. November offiziell akzeptierte. Ihre vorläufige Sperre vom 12. September bis zum 4. Oktober wird dabei mit eingerechnet. Swiatek muss nun also nur acht Tage verbüßen und ihre Sperre endet offiziell am 5. Dezember 2024.
Das Preisgeld, das die Polin durch ihren Halbfinaleinzug in Cincinnati erspielte, wurde ihr jedoch wieder aberkannt.
Wie geht es nun weiter?
Im Tennis hat es in diesem Jahr schon einen prominenten Dopingfall gegeben. Im Frühjahr war der Weltranglistenerste Jannik Sinner positiv auf das verbotene Steroid Clostebol getestet worden.
Ein von der ITIA beauftragtes unabhängiges Gericht hatte Sinner freigesprochen, nachdem dieser erklärt hatte, das Dopingmittel sei durch eine Wundcreme seines Physios in seinen Körper gelangt. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hatte jedoch Einspruch eingelegt. Seitdem liegt der Fall vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS).
Ob die WADA auch im Fall Swiatek aktiv wird, oder ob der Fall mit Ablauf der Sperre abgeschlossen ist, ist aktuell noch unklar.
Welche Reaktionen gibt es?
Der australische Tennisspieler Nick Kyrgios schrieb auf der Plattform X: «Profisportler auf höchstem Niveau können jetzt einfach sagen: "Wir wussten es nicht". Die Rumänin Simona Halep, deren Doping-Sperre kürzlich vom Internationalen Sportgerichtshof (CAS) von vier Jahren auf neun Monate reduziert wurde, kritisierte die Ungleichbehandlung durch die ITIA. „Warum gibt es so einen großen Unterschied in Behandlung und Urteil?“ fragte Halep auf Instagram und vermutet eine „böse Absicht“.
ARD-Journalist Hajo Seppelt kritisierte die mangelnde Konsequenz und Transparenz im Umgang mit positiven Dopingfällen im Tennis. „Schon im Fall Sinner gab es fragwürdige Erklärungsversuche, die von den Verantwortlichen akzeptiert wurden“, erklärte Seppelt.
Die Substanz, die im klinischen Bereich zur Behandlung von Herzleiden eingesetzt wird, sei in den vergangenen Jahren auffällig häufig bei Dopingtests nachgewiesen worden. Besonders bekannt ist der Fall von 23 chinesischen Schwimmern, bei denen Trimetazidin gefunden wurde. Die Behauptung, es sei versehentlich über das Essen der Athleten aufgenommen worden, wurde von Experten weitgehend angezweifelt. „Es passiert immer wieder, dass für Trimetazidin-Befunde seltsam anmutende Erklärungen angeführt werden“, so Seppelt weiter.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) kündigte an, die Entscheidung über Swiatek „sorgfältig zu prüfen“ und behält sich vor, beim Internationalen Sportgerichtshof CAS Berufung einzulegen.