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Terrorgruppe in Nigeria
Gemeinsam gegen die unbekannte Größe Boko Haram

Die Terrororganisation Boko Haram scheint das Vorgehen der IS zu kopieren: Die Islamisten im Nordosten Nigerias wollen ein Territorium erobern und auch hier ist die Rede vom "Kalifat". In der Region schließen sich mehrere Nationen gegen die Gruppe zusammen - ohne zu wissen wie stark diese überhaupt ist.

Von Jens Borchers | 14.10.2014
    Feuerwehrleute versuchen einen Brand in einem völlig zerstörten Gebäude zu löschen. Um den dahinterstehende Feuerwehrwagen hat sich eine Menschenmenge versammelt.
    Die Handschrift von Boko Haram: Gewalt und Terror (picture alliance / dpa)
    Niemand weiß, wie groß Boko Haram ist, wie viele Kämpfer sie hat. Über die Hierarchie innerhalb der Terrororganisation ist wenig bekannt. Wenig Konkretes gibt auch über diejenigen die Boko Haram unterstützen. Tatsache ist allerdings, dass die Terroristen dieser Gruppierung immer häufiger angreifen im Nordosten Nigerias:
    "Jeden Tag, jede Stunde verlieren Menschen Angehörige. Es wird jeden Tag schlimmer, jeden Tag. Ich weiß nicht, was sie wollen. Sie sind einfach Terroristen."
    Diese Frau hat einen Selbstmord-Anschlag in der Stadt Jos überlebt, der Boko Haram zugeschrieben wird. Jos liegt im Nordosten Nigerias.
    Selbstmordanschläge und Propaganda
    Vor allem in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa vergeht kaum eine Woche ohne einen Angriff. Mittlerweile gehören Selbstmord-Anschläge zum Standard-Repertoire. Boko Haram hat aus Beständen der nigerianischen Armee gepanzerte Fahrzeuge, schwere Waffen und anderes Gerät erbeutet. Als die Terroristen im vergangenen Juni die Stadt Gwoza überfallen und nach eigenen Angaben eingenommen hatte, stellte sie danach Videoaufnahmen des Angriffs ins Netz.
    Das ist Propaganda-Material um zu zeigen: Wir sind stark, wir haben Erfolg. Wir haben die Stadt Gwoza besetzt. Die nigerianische Armee versucht seit fast anderthalb Jahren, Boko Haram militärisch zu bekämpfen. Mit wenig sichtbarem Erfolg. Haben die Terroristen die Stadt Gwoza und andere Orte eingenommen? Halten sie diese Orte besetzt? Das wird Generalmajor Chris Olukalade der Sprecher der Armee im Nordosten Nigerias gefragt.
    "Die ganze Gegend gehört nach wie vor zu unserem Operationsgebiet. Wir operieren nicht nur am Boden, sondern auch in der Luft. Und diese Operationen gehen weiter. Das ist alles was ich sagen kann."
    Kein Dementi, keine Bestätigung dafür, das Boko Haram angeblich Gebiete besetzt hält. Das wiederum behauptet ihr Anführer Abubakar Shekau in den Propagandavideos der Terror-Gruppe. Dort regiere er ein Kalifat, sagt Shekau. Der Mann ist von der nigerianischen Armee gerade für tot erklärt worden. Zum zweiten Mal schon. Und zum zweiten Mal taucht der Tot-Gesagte wieder vor den Kameras auf und verkündet seine Botschaften.
    "Weltliche Erziehung, Sport und Musik, deshalb haben viele Muslime den Islam verloren."
    "Uns Nigerianern dämmert langsam, dass sich das Land im Krieg befindet"
    Boko Haram gibt vor, Wächter des rechten islamischen Glaubens zu sein. Die Terrororganisation ändert ihre Vorgehensweise immer mal wieder und kopiert dabei offensichtlich auch andere. So wie jetzt den sogenannten Islamischen Staat oder die Terroristen im Norden von Mali die Wert darauf legen, dauerhaft eigenes Gelände besetzt zu halten. Für Clement Nwankwo vom nigerianischen Politik- und Rechtsberatungszentrum markiert diese jüngste Volte bei Boko Haram einen Einschnitt:
    "Vorher waren das sporadische Attacken. Aber jetzt, mit der Besetzung ganzer Landstriche erreicht das eine völlig neue Ebene. Uns Nigerianern dämmert langsam, dass sich unser Land im Krieg befindet. In einem Bürgerkrieg. Was immer auch die Regierung behauptet."
    Die nigerianische Regierung verhält sich bestenfalls verwirrend. Sie fordert mal Verhandlungen, mal droht sie Boko Haram mit totaler Vernichtung - beides geschieht aber nicht. Mittlerweile wächst die Sorge über die internationale Dimension des Boko Haram-Terrors. Nigeria und seine Nachbarn Kamerun, Tschad, Benin und Niger wollen jetzt bis November eine gemeinsame Grenztruppe gegen die Terroristen in Stellung bringen. Denn Boko Haram greift immer häufiger und dreister auch in den Nachbarländern an.
    Finanzierung der Terrororganisation unklar
    Die Terrororganisation finanziert sich offenbar durch Geiselnahmen, erpresste Gelder von Geschäftsleuten und Banküberfälle. Der Präsident des Nachbarstaates Niger, Mahamadou Issoufou, äußerte in einem Interview des französischen Fernsehsenders TV5 Monde aber auch noch einen anderen Verdacht:
    "Es scheint, als gäbe es Nichtregierungsorganisationen, die in unseren Ländern operieren. Die finanzieren angeblich friedliche Projekte, aber man muss sich sehr genau anschauen wo diese Gelder dann am Ende wirklich landen."
    Genaueres wollte Nigers Präsident nicht sagen. Seine Vermutung richtet sich aber offenbar gegen Geldgeber aus Staaten am arabischen Golf. Eine klar erkennbare Zusammenarbeit von Boko Haram mit anderen Terrorgruppen ist nicht nachgewiesen. Wie stark die Terrororganisation faktisch ist - das weiß niemand genau. Stark genug aber, um die nigerianische Armee bisher unfähig aussehen zu lassen und fünf Staaten in der Region zu einer militärischen Kooperation zu bringen.