Montag, 29. April 2024

Geschlechter im Tischtennis
Was die neue offene DTTB-Spielklasse für den Sport bedeutet

Der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) hat auf seinem Kongress einen Grundsatzbeschluss verabschiedet: Die männliche Spielklasse soll in Zukunft umgewandelt werden zu einem "offenen Spielbetrieb". Dieser Beschluss ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.

Von Raphael Späth | 25.11.2023
Ein Tischtennisschläger liegt auf einem Ball.
Die klassische Geschlechtertrennung mit Männer- und Frauen-Wettbewerben soll im deutschen Tischtennis aufgelöst werden, so dass etwa transgender Athletinnen gegen Männer antreten können. Alle Fragen zur neuen offenen Spielklasse sind aber noch nicht beantwortet. (picture alliance / Joaquim Ferreira / Joaquim Ferreira)
Männer gegen Männer, Frauen gegen Frauen. Nach diesem Prinzip sind auch im Tischtennis die Wettbewerbe in den Top-Ligen gegliedert. In Deutschland soll sich das in Zukunft aber ändern.
Es soll zwar weiterhin eine Spielklasse geben, an der nur Frauen teilnehmen dürfen. Die männliche Spielklasse soll aber in eine offene Spielklasse umgewandelt werden. Menschen allen Geschlechts dürften in ihr spielen. Diesen Grundsatzbeschluss hat der Deutsche Tischtennis-Bund auf seinem Bundestag verabschiedet.
Anlass ist das Selbstbestimmungsgesetz, das im November 2024 in Deutschland in Kraft treten soll. Durch dieses Gesetz soll transgender, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen erleichtert werden, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen zu ändern.
"Und wir wollen hier von vorneherein eine Rechtssicherheit haben, die es eben diesen Menschen möglich macht, dass sie dann bei uns Tischtennis spielen können", unterstreicht der neue DTTB-Präsident Andreas Hain. Er erzählt, dass es unter den Delegierten einen breiten Konsens gab, was den Grundsatzbeschluss angeht: "Bei uns kann jeder mitmachen und soll jeder mitmachen. Und das haben wir so gewährleistet."

Sportsoziologin begrüßt DTTB-Grundsatzbeschluss

Für die Sportsoziologin Birgit Braumüller, die an der Deutschen Sporthochschule Köln forscht, ist der DTTB-Grundsatzbeschluss ein Schritt in die richtige Richtung: "Es ist natürlich ein sehr einfacher Weg und es befriedigt auch so ein bisschen die Perspektive, dass Frauen jetzt so das 'schützenswerte Geschlecht' im Sport sind, worauf die Sportverbände jetzt irgendwie so ein bisschen drauf kommen."
Vor allem non-binären Menschen – also Personen, die sich mit keinem der beiden Geschlechter identifizieren – wird durch eine offene Spielklasse die Teilhabe erleichtert. Allerdings bleibt weiterhin die große Frage, inwiefern transgender Spielerinnen in den Tischtennis-Spielbetrieb integriert werden, "weil trans* Frauen, wenn sie sich als weiblich identifizieren, ja in der Kategorie der Frauen teilhaben möchten", betont Braumüller.
Ob transgender Athletinnen auch nach der Regeländerung im Deutschen Tischtennis-Bund in der Frauen-Kategorie spielen können oder in der offenen Spielklasse antreten müssen, steht noch nicht fest. Diese Fragen werden jetzt in den Fachausschüssen des DTTB geklärt.

Studie: Organisierter Sport hat weiterhin Sexismus-Problem

Wie umstritten das Thema ist und wie viele Vorurteile es noch gibt, zeigt eine neue Studie, an der Sportsoziologin Braumüller mitgewirkt hat. Von rund 3.000 Befragten sind demnach über Dreiviertel der Ansicht, dass der organisierte Sport auch weiterhin ein Problem mit Homo- und Transfeindlichkeit, aber auch Sexismus hat.
Link zur Studie: Situation von Frauen und LGBTQ+ im Breitensport
"Was sich auch gezeigt hat, ist, dass in den Organisationen selbst noch viel Bedarf ist, wirklich Maßnahmen und Strategien umzusetzen, vor allem für trans, inter- und nonbinäre Personen", erklärt Braumüller.
Und führt aus: "Also wir sehen, dass in den Organisationen Maßnahmen, die die Gleichstellung von binärem Geschlecht vorantreiben sollen, relativ weit verbreitet sind. Aber dass dann im Vergleich zu Maßnahmen, die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt vorantreiben sollen, ein deutlicher Abstand besteht."

DFB sorgte mit Inklusionsregelung für Aufsehen

In Deutschland hat vor allem der Deutsche Fußball-Bund durch eine neue, inklusive Regelung im letzten Jahr für Aufsehen gesorgt: Trans*, intergeschlechtliche und non-binäre Menschen können sich im Amateurbereich jetzt frei aussuchen, in welcher Mannschaft sie spielen.
"Wir haben aber auch durchaus Beispiele, die eher auf Exklusion hindeuten. Also beispielsweise der Internationale Schwimmverband oder der Rugby-Verband, die eigentlich einen Ausschluss von Personen in den Ligen voraussetzen, sobald sie die männliche oder weibliche Pubertät durchlaufen haben", unterstreicht Sportsoziologin Braumüller.

Cricket: Integrität der Frauen-Wettbewerbe schützen

Ob transgender Athletinnen wirklich einen signifikanten Vorteil gegenüber anderen Athletinnen haben, ist wissenschaftlich umstritten. Aber auch der Cricket-Weltverband hat jetzt sein Regelwerk angepasst und trans* Frauen, die erst nach der männlichen Pubertät mit der Geschlechtsumwandlung beginnen, die Teilnahme am Wettbewerb untersagt. Der Cricket-Weltverband begründet diese Entscheidung damit, dass die sportliche Integrität des Frauen-Wettbewerbs geschützt werden soll.
Ausschlaggebend für die Regeländerung war eine professionelle Spielerin im kanadischen Nationalteam, die durch den Beschluss des Weltverbandes jetzt nicht mehr an offiziellen Wettbewerben teilnehmen darf.

Gemischte Spielklassen im Amateur-Tischtennis schon Usus

Einen solchen Fall gibt es im deutschen Tischtennis bislang nicht, erzählt DTTB-Präsident Andreas Hain: "Wir sind mit keinem konkreten Problem konfrontiert im Moment. Ich kenne eine Spielerin, die mal ein Mann war, die es jetzt aber sogar geschafft hat, als Frau an nationalen deutschen Meisterschaften teilzunehmen. Und bei den anderen ist es meistens ja im Hobbybereich, so dass da durch gemischte Mannschaften, die wir im unteren Bereich ja schon überall haben auf Kreis- und teilweise auch auf Bezirksebenen in manchen Verbänden, dass wir da gar nicht hinkommen, dass es da Diskussionen gibt."
Im deutschen Tischtennis ist es in den unteren Klassen bis zur Verbandsliga auch jetzt schon Usus, dass gemischte Mannschaften am regulären Spielbetrieb teilnehmen. Die Änderung der männlichen Spielklasse zur offenen Klasse könnte jetzt aber auch weiblichen Leistungssportlerinnen ermöglichen, bei großen Turnieren gegen Männer anzutreten.

Präsident Hain: "Viele wissen gar nicht, wie gut die Frauen sind"

Auch wenn die Leistungsunterschiede im Tischtennis zwischen Frauen und Männer deutlich geringer sind als in anderen Sportarten, hält DTTB-Präsident Andreas Hain es für unwahrscheinlich, dass deutsche Top-Spielerinnen in naher Zukunft bei offiziellen Turnieren gegen Männer in der offenen Spielklasse antreten werden.
Er geht davon aus, dass das neue Regelwerk vorsehen wird, dass jede Spielerin und jeder Spieler sich vor der Saison für eine Spielklasse entscheiden muss. Ein Wechsel der Startklasse je nach Turnier ist deshalb vermutlich ausgeschlossen.

Aber mittelfristig könnte ich persönlich mir auch vorstellen, dass wir eine offene Klasse haben. Und dann schauen wir mal, wer besser ist: Frau, Mann oder trans? Also das wäre ein interessanter Vergleich und ich glaube auch, dass viele gar nicht wissen, wie gut die Frauen wirklich sind.

Anreas Hain, DTTB-Präsident

Europa- und Weltverband nicht begeistert vom Vorpreschen

Der DTTB schafft mit diesem Grundsatzbeschluss im Tischtennis einen Präzedenzfall. Selbst der Weltverband ITTF oder die europäische Tischtennis-Union ETTU haben sich bisher noch nicht mit dieser Thematik beschäftigt.
"Es gibt bei der ITTF oder ETTU noch gar nichts. Die wollten auch gar nicht, dass wir da so vorpreschen. Aber ich glaube, die Rechtslage ist weltweit nicht so weit fortgeschritten, in den meisten Ländern zumindest, wie das in Deutschland sein wird, so dass wir natürlich einen ganz anderen Zwang haben, die Geschichte anzugehen, wie andere Länder", erklärt DTTB-Präsident Hain.
Bis alle Fragen in Deutschland geklärt sind, wird es aber noch dauern. Eine offene Spielklasse wird es daher wahrscheinlich nicht vor der Saison 2025/26 geben.