Sonntag, 28. April 2024

Kommentar zum Tod Prigoschins
Methode Meuchelmord

Dass der Chef der Söldnergruppe Wagner, Prigoschin, noch am Leben ist, dafür gebe es kaum Anhaltspunkte, meint Peter Sawicki. Der Kremlherrscher Putin habe sich offenbar erneut eines Widersachers entledigt und sich dafür mafiöser Methoden bedient.

Ein Kommentar von Peter Sawicki | 24.08.2023
Ein Foto aus dem Video, das den Absturz des Privatjets zeigen soll, in dem Wagner-Chef Prigoschin wohl gesessen hat.
Ein Foto aus dem Video, das den Absturz des Privatjets zeigen soll, in dem Wagner-Chef Prigoschin wohl gesessen hat. (picture alliance / newscom / Gray_Zone)
Vor einigen Jahren offenbarte Wladimir Putin einen seltenen Moment der Ehrlichkeit. Im Staatsfernsehen wurde der russische Potentat gefragt, was für ihn im Leben unverzeihlich sei. „Verrat“, antwortete Putin kurz. Da erschiene es folgerichtig, wenn der Mann im Kreml gemäß dieser Maxime jetzt gegen seinen früheren Günstling vorgegangen wäre.
Den Putschversuch von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin vor zwei Monaten, als dieser mit seinen schwer bewaffneten Söldnerschergen Richtung Moskau fuhr, dann aber wieder kehrtmachte, hatte Putin geradewegs als Verrat bezeichnet. In einem auf Gewalt und Ultranationalismus aufgebauten System konnte er sich nicht erlauben, Prigoschin davonkommen zu lassen. Es wäre ihm als Schwäche ausgelegt worden – was in Diktaturen gnadenlos bestraft wird.

Hat der Wagner-Chef sein Ableben vorgetäuscht?

Am Abend hat Putin nun den Tod von Prigoschin infolge des Flugzeugabsturzes nahe Moskau bestätigt. Dennoch bleibt manch einer skeptisch. Die These hält sich, ob der frühere Geheimdienstler Putin etwa den Absturz des Privatjets bloß inszeniert hat, um so potenzielle Gegner im Machtzirkel einzuschüchtern. Oder ob es sogar Prigoschin selbst gewesen ist, der sein Ableben vorgetäuscht hat.

Für beide Thesen gibt es aber kaum Anhaltspunkte. Um ein solches Manöver an Putin vorbei durchzuführen, hätte Prigoschin mächtige Alliierte etwa in den Geheimdiensten gebraucht. Kaum vorstellbar, dass er darüber in ausreichendem Maß verfügt hat – sonst hätte er sich im Juni eher nicht gezwungen gesehen, seinen Putschversuch abzubrechen. Wenn Putin wiederum Prigoschins Tod fingiert haben sollte, was nur im gegenseitigen Einvernehmen hätte passieren können, würde es bedeuten, dass auch der Putschversuch ein Fake gewesen war. Dies wiederum ist schwer vorstellbar, weil Putin sich auch aus taktischen Gründen kaum vor aller Welt als Schwächling entblößen würde.

Am wahrscheinlichsten ist ein Mord an Prigoschin

Am wahrscheinlichsten ist es somit, dass sich der Kremlherrscher tatsächlich erneut eines Widersachers entledigt hat. Dafür spricht auch der Wortlaut der Erklärung Putins zu Prigoschin – dieser habe, so Putin, Fehler im Leben gemacht. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Prigoschin aus Putins Sicht zu weit gegangen war.

Manch einer innerhalb von Moskaus Eliten dürfte sich von der versuchten Machtdemonstration beeindruckt zeigen. Ruhig schlafen kann Putin deshalb aber nicht. Weil die Invasion in der Ukraine ein Desaster ist, bleibt Putin in seinem Machtzirkel unter Druck. Hinzu kommen nun auch Tausende zornige Wagner-Söldner, die sich ohne ihren Anführer Prigoschin kaum einfach disziplinieren lassen werden.

 Putins Russland - ein mafiöses Gebilde

Im Übrigen bietet das Schicksal von Jewgeni Prigoschin trotz noch einiger offener Fragen auch jetzt wieder einen Moment der Ehrlichkeit. Es entlarvt Putins Russland einmal mehr als mafiöses Gebilde, in dem die Methode Meuchelmord zum gängigen Repertoire gehört. Das sollten auch diejenigen im Westen zur Kenntnis nehmen, die unentwegt vom Irrglauben beseelt sind, sich mit Putin auf verfrühte Verhandlungen einlassen zu müssen.