Donnerstag, 18. April 2024

Energiewende
Wie der Krieg in der Ukraine den grünen Wasserstoff befördert

Grüner Wasserstoff gilt als vielversprechende Alternative zu fossilen Energieträgern. Sein Durchbruch in Deutschland blieb bislang aber aus. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine gibt es neue Bestrebungen, unabhängiger von fossiler Energie zu werden. Steht jetzt die grüne Wasserstoffwende bevor?

02.05.2022
POX-Anlage (Partielle Oxidation) der Firma Air Liquide zur konventionellen Herstellung von Wasserstoff und Synthesegas in Oberhausen
Wasserstoffproduktion im Chemiepark OQ Chemicals in Oberhausen (picture alliance / Rupert Oberhäuser)
Deutschland will zukünftig mehr auf erneuerbare Energien setzen. Weg von fossilen Rohstoffen - vor allem denen aus Russland. Grüner Wasserstoff soll dabei eine wichtige Rolle spielen. Konnte die Klimakrise bisher nicht den nötigen Druck ausüben, die Energiewende zügig voranzutreiben, scheint jetzt vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine ein höheres Tempo zu herrschen.
Solange er mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen (Wind- und Sonnenenergie) hergestellt wird, ist grüner Wasserstoff CO2-neutral. Bisher blieb es in Deutschland aber nur bei einzelnen Pilotprojekten. Jetzt soll der nachhaltige Energieträger stärker gefördert werden. Das hat Robert Habeck (Grüne), Minister für Wirtschaft und Klimaschutz mit dem sogenannten Osterpaket am 6. April 2022 angekündigt. Aber nicht nur dieses Energiesofortmaßnahmen-Paket, auch der Besuch Habecks in den Vereinten Arabischen Emiraten zielte auf die Förderung grünen Wasserstoffs ab. Mit den Arabischen Emiraten wurden eine Energiepartnerschaft geschlossen - vier Wasserstoffkooperationen und eine Forschungszusammenarbeit. Das Signal: Wasserstoff soll ein zentraler Schlüssel für den Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung werden.

Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg auf eine mögliche Wasserstoffwende?

Die Wasserstoffwirtschaft ist in den letzten Jahren immer wichtiger für die Energiewende geworden. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist jetzt nochmals deutlicher geworden, dass sich Deutschland auch von Gasimporten unabhängig machen muss – und dass grüner Wasserstoff dabei helfen kann. Hinzu kommen stark gestiegene Preise fossiler Brennstoffe, die nachhaltige Energieträger attraktiver machen.

Produzieren oder importieren: Wie schnell könnte grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen?

In Deutschland muss fast das gesamte System für die Wasserstoffherstellung und -verteilung in großem Maßstab aufgebaut werden. Zum einen fehlen Produktionsanlagen. Dafür werden unter anderem Elektrolyseure gebraucht, Apparaturen, die mit Hilfe von Strom Wasser in Sauer- und Wasserstoff zerlegen. Um sie zu versorgen, ist außerdem eine größere Anzahl von erneuerbaren Energieerzeugern nötig. Der Ausbau von Solar- und Windanlagen müsste also noch stärker vorangetrieben werden.
Zum anderen muss auch eine Transportinfrastruktur über Tanker und Pipelines eingerichtet werden. Hinzu kommen die Ausbildung und Anstellung von Fachpersonal. Mittel- bis langfristig könnte die Wasserstoffwirtschaft in den nächsten Jahren wachsen. Eine schnelle Lösung für die Herstellung von großen Mengen grünen Wasserstoffs in Deutschland ist aber kurzfristig nicht in Sicht.

Energieimporte - politisch unsicher?

Statt den Wasserstoff selber herzustellen, könnte man ihn auch aus dem Ausland importieren. In sonnen- und/oder windreichen Regionen wie Zentralafrika, der Golfregion oder Westaustralien kann grüner Wasserstoff kostengünstiger hergestellt werden. Das sieht auch die Bundesregierung so: Sie rechnet damit, dass der überwiegende Teil der Wasserstoffnachfrage importiert werden muss.
Bei hohen Importquoten wäre Deutschland aber erneut abhängig von Krisen und Konflikten in anderen Ländern. Vor allem im afrikanischen Raum, aber auch in den Golfstaaten könnte die politische Unsicherheit die Energieimporte daher gefährden.
Der Energieexperte Robert Schlögl vom Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion hält diese Bedenken aber beim Wasserstoff für weniger relevant als bei Gas und Öl: „Die Diversität der Orte, wo man Wasserstoff herstellen kann, ist viel größer als zum Beispiel die Diversität der Orte, wo man fossile Energieträger findet. Und deswegen glaube ich, es wird und muss einen großen Weltmarkt für erneuerbare Energie in Form von Wasserstoff geben. Und dann spielt es keine Rolle, wie groß unser Importanteil ist.“
Für solche Wasserstoff- Importe müsste allerdings ein Netz aus Transportwegen aufgebaut werden: Tankschiffe und –laster, aber auch Pipelines. Durch ein verzweigtes Netz könnte auch hier die Abhängigkeit von einzelnen Exportländern verringert werden.

In welchen Bereichen könnte grüner Wasserstoff (kurz-, mittel-, und langfristig) Anwendung finden?

Grüner Wasserstoff könnte überall zum Einsatz kommen, wo heute schon grauer, das heißt, aus Erdgas hergestellter Wasserstoff verwendet wird, aber auch in neuen Anwendungsbereichen. In der Industrie dürfte der meiste grüne Wasserstoff landen. Denn diese Branche ist derzeit der größte Abnehmer von Wasserstoff: Chemiekonzerne, Düngemittelhersteller und die Stahlindustrie benötigen enorme Mengen. Dafür nutzen sie bislang grauen Wasserstoff. Bei ausreichend vorhandenem grünem Wasserstoff könnten diese Industriezweige schnell auf den klimaneutralen Grundstoff umsteigen.
Im Verkehrssektor könnte grüner Wasserstoff als klimafreundlicher Treibstoff nach und nach Einzug halten. Züge und Fernlaster könnten recht bald damit unterwegs sein. So wird bei Wasserstoff-Lastkraftwagen von einer höheren Reichweite im Vergleich zu Batterie-Lkw ausgegangen.
Wasserstoff-Pkw gibt es bereits jetzt zu kaufen. Verglichen mit batteriegespeisten E-Autos sind sie allerdings weniger effizient, vor allem, wenn man auch die aufwendige Herstellung des Wasserstoffs und seinen Transport mit einbezieht.
Das Enertrag-Hybridkraftwerk in Brandenburg stellt grünen Wasserstoff her.
Im Enertrag-Hybridkraftwerk in Brandenburg, wird grüner Wasserstoff aus Windstrom hergestellt und in das Gasnetz eingespeist. (picture alliance/dpa)
Auch für kleinere Flugzeuge und Schiffe kann grüner Wasserstoff eingesetzt werden. Bei größeren Flugzeugen und Containerfrachtern müssten E-Fuels wie Diesel oder Kerosin – hergestellt aus grünem Wasserstoff – genutzt werden. Diese sogenannten Derivate sind in der Produktion teurer als reiner Wasserstoff, können aber aufgrund der größeren Energiedichte besser an Bord eines Flugzeugs oder im Schiff mitgeführt werden. Bei E-Fuels wird überlegt, sie dann vorrangig dort herzustellen, wo grüner Wasserstoff günstig produziert werden kann, zum Beispiel in Australien. Die E-Fuels könnten dann in normalen Tankern transportiert werden.
In anderen Sektoren scheint der Einsatz von grünem Wasserstoff weniger zukunftsträchtig. Besonders umstritten ist Wasserstoff als Erdgas-Ersatz für den Heizkessel. Als Wärmespeicher dürfte Wasserstoff auf längere Zeit zu knapp und zu teuer sein. Fachleute bemängeln zudem eine ungünstige Energieeffizienz. Andere Maßnahmen auf dem Wärmemarkt sind effizienter, wie etwa Wärmepumpen, die direkt über Strom laufen, und eine bessere Gebäudeisolierung. Auch im Stromsektor könnte Wasserstoff zur Zwischenspeicherung von Wind- und Solarstrom Verwendung finden. Allerdings gibt es hier Konkurrenztechnologien, zum Beispiel spezielle Batterietypen.
Grundsätzlich gilt für alle dieser Anwendungsfelder: Erst wenn es genug grünen Wasserstoff gibt, können sie wirklich durchstarten.

Wie wäre eine Wasserstoffwende finanzierbar und regulierbar?

Bisher ist der finanzielle Faktor für eine Wasserstoffwende das größte Problem. Grüner Wasserstoff kostet im Vergleich zu grauem Wasserstoff aus Erdgas etwa das Dreifache. Es bräuchte daher finanzielle Unterstützung, die den Markt anschiebt. Eine mögliche Idee: ein Erneuerbares-Energien-Gesetz für Wasserstoff. Diese Art Abnahmezwang mit Preisgarantie gibt es bereits für Solar- und Windenergie.
Weitere Förderungsmöglichkeiten wären Differenzverträge, so könnten den Abnehmern die Mehrkosten für den grünen Wasserstoff erstattet werden. Diese Richtung verfolgt zum Beispiel das Programm H2Global der Bundesregierung, dass Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2020 umsetzt. Mit 90 Millionen Euro jährlich ist H2Global bisher aber zu gering ausgestattet. Auch auf europäischer Ebene müsste noch mehr finanziert werden – zum Beispiel durch die Einnahmen aus den CO2-Zertifikaten. Es müssten also ganze Maßnahmenpakete beschlossen werden, um die Zukunft des grünen Wasserstoffs voranzutreiben.
[Quellen: Frank Grotelüschen, Lennart Pyritz, Robert Schlögl, Yana Adu, BMBF: Nationale Wasserstoffstrategie]