Donnerstag, 25. April 2024

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Ukrainischer Skeleton-Pilot Heraskevych als Nothelfer
"Mit Sport können wir ein Stück Kindheit zurückgeben"

Seit mehr als sieben Monaten leiden die Menschen in der Ukraine unter dem russischen Angriffskrieg. Der ukrainische Skeleton-Pilot Vladyslav Heraskevych versucht, mit einer eigenen Hilfsorganisation zu helfen. Im Dlf sprach er über seine Arbeit und über die Rolle des Sports in der Politik.

Vladyslav Heraskevych im Gespräch mit Matthias Friebe | 02.10.2022
Der ukrainische Skeleton-Pilot Vladyslav Heraskevych betreibt eine eigene Hilfsorganisation für die Opfer des Ukraine-Krieges.
Der ukrainische Skeleton-Pilot Vladyslav Heraskevych betreibt eine eigene Hilfsorganisation für die Opfer des Ukraine-Krieges. (imago images / Ukrinform / Pavlo_Bagmut via www.imago-images.de)
Seit mehr als sieben Monaten wird in der Ukraine gekämpft. Ungeachtet jüngster Berichte über ukrainische Geländegewinne, viele Menschen leiden unter den Auswirkungen des Kriegs. Von Anfang an waren es auch Sportler, die versucht haben mit ihren Mitteln Leid zu lindern und aufmerksam zu machen auf die Situation. Der Skeleton-Profi Vladyslav Heraskevych wurde berühmt, weil er schon vor den ersten Angriffen bei Olympia in Peking trotz Verbots ein Schild in die Kamera hielt mit der Aufschrift: „No war“. Vor einigen Monaten hat er im Deutschlandfunk von seiner Arbeit erzählt – auch mit seiner Stiftung. Matthias Friebe hat nun wieder mit dem 23-Jährigen gesprochen.
Herr Heraskevych, was ist seit unserem letzten Gespräch passiert?
Vladyslav Heraskevych: Es ist viel passiert und wir versuchen weiter, möglichst viele Dinge auf die Beine zu stellen. Wir unterstützen Kinder mit Zahlungen, worauf ich sehr stolz bin. Aber dabei bleibt es nicht. Wir machen Sport mit ihnen, benutzen Sport als eine Art von Bildung.
Wie wichtig ist das für die Kinder?
Heraskevych: Es ist sehr wichtig. Das konnten wir mit eigenen Augen sehen: Das erste Training haben wir mit Kindern aus Mariupol gemacht. Wir arbeiten zusammen mit der Organisation „Ich bin Mariupol“. Geflüchtete aus Mariupol wurden in verschiedenen Städten untergebracht, meistens in Kiew. Wir trainieren mit ihnen. Es sind vor allem zwei Freestyle-Skifahrer und ich, die das Training machen. Und wenn wir mit dem Training starten, merkt man den Krieg hier und da. Es gibt zum Beispiel komische Reaktionen auf Geräusche, einige fangen an zu weinen. Aber wenn das Training weitergeht, sieht man, wie der Sport hilft. Die Kinder bekommen gute Laune und fangen an zu lachen und wirklich gute Dinge zu machen. Das war ein Training in Tschernihiw, wir bieten auch Trainings in Borodjanka, in Demydiw und in anderen Städten an. Das ist es, was wir jetzt umsetzen, und darauf bin ich sehr stolz!
Wir viel Zeit können Sie in das Projekt stecken? Sie bereiten sich ja auch auf Ihre eigene Saison vor.
Heraskevych: Ja, ich trainiere auch für meine eigene Saison. Es ist einfach nicht genug Zeit da. Wir organisieren ja noch andere Veranstaltungen, deshalb ist die Zeit knapp, aber wir versuchen unser Bestes zu geben. Es ist trotzdem wichtig, mit Kindern zu arbeiten. Sie sind unsere Zukunft. Und sie wachsen gerade mitten im Kriegsgebiet auf, das ist auch schwierig für sie. Es gibt nichts, kein Kino, kein Kindergarten, nur ein paar Restaurants. Diesen Kindern wird ihre Kindheit gestohlen. Mit Sport können wir ihnen ein Stück dieser Kindheit zurückgeben, und darum geht es bei diesem Projekt.

Was bedeutet das für Ihren Sport, Ihre Karriere? Können Sie sich darauf überhaupt konzentrieren?
Heraskevych: Sie werden es verstehen: Nachdem die Invasion gestartet ist, haben Erfolge und Medaillen nichts mehr gezählt. Auf der anderen Seite kann ich mit meinen Erfolgen Aufmerksamkeit auf die Ukraine lenken. Und deshalb ist Sport in der Ukraine gerade jetzt noch immer wichtig. Er bringt Aufmerksamkeit für mein Land, für diesen Krieg. Deshalb trainieren wir für diese Saison, um im Weltcup und bei den Weltmeisterschaften an den Start zu gehen. Ich werde versuchen, gute Resultate zu erzielen, aber habe mit der Stiftung und anderen Veranstaltungen auch nebenher viel zu tun. Ich hoffe, ich kann beides stemmen.
Als wir das letzte Mal gesprochen haben, kam es für Sie nicht in Frage, dem Militär beizutreten. Hat sich diese Haltung nach so vielen Kriegsmonaten geändert?
Heraskevych: Das ist eine schwere Entscheidung für mich. Ich habe nicht viel Erfahrung in der Armee. Aber wenn ich mal ein freies Wochenende habe, übe ich mit ein paar Waffen und mache Militärtrainings. Im Moment übernehme ich so viele Aufgaben, die genauso wichtig sind, wie im Militär zu dienen. All die Medienarbeit und das freiwillige Engagement, das wir mit der Stiftung machen. Wir haben zum Beispiel Medizincontainer aus den USA bekommen. Einer von diesen Containern kostet 140.000 Dollar. Und um so etwas muss sich auch jemand kümmern. Denn wenn jeder an die Front geht, muss jeder von ihnen auch trainiert werden, braucht Waffen und Ausrüstung. Irgendjemand muss ihnen das geben. Aber wenn ich gebraucht werde, werde auch ich an die Front gehen und kämpfen.
In der Sportwelt sind Belarus und Russland nahezu vollständig isoliert, daran hat sich seit unserem letzten Gespräch wenig geändert. Können Sie mir sagen, welche Auswirkungen dieser Ausschluss auf den Sport hat?
Heraskevych: Vor allem können die Sportler nicht mehr für Propaganda genutzt werden. Der russische Sport wird stark ausgenutzt. Wir haben im April, Mai viele Videos gesehen, dass die Athleten an die Front gehen müssen. Damals haben viele Leute gesagt: Das ist gelogen, die Athleten müssen nicht in den Krieg ziehen. Aber jetzt werden auch die mobilisiert und müssen wirklich an die Front, denn sie sind Teil des Militärs. Jetzt sehen wir, wie viele Athleten diesen Krieg offen unterstützen. Und wie ich bereits gesagt habe, als ich über die Arbeit mit den Kindern gesprochen habe: Beim Sport geht es nicht nur um die Resultate, sondern vor allem um Werte. Und die Werte, für die russische Sportler derzeit stehen, sind Propaganda, Krieg und der Völkermord in der Ukraine. Das ist verrückt und sollte von der internationalen Sportcommunity nicht akzeptiert werden. Russland und Belarus zu isolieren ist der einzige richtige Weg. Wir haben es bereits während der Apartheid in Südafrika erlebt. Ich habe mich mit Sportlern aus Afrika unterhalten, und die haben mir gesagt: Die Isolation im Sport hat dabei geholfen, die Apartheid zu beenden. Ja, das hat lange gedauert, 15, 20 Jahre. Aber sie sagen: „Wir haben verstanden, dass bei uns etwas falsch lief.“
Ich glaube, dass die Isolation im Sport auch dabei helfen kann, die Situation in Russland zu verändern. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, wie russische Sportler, die in der Armee kämpfen, zu Wettkämpfen fahren. Zum Beispiel die Hochspringerin Marija Lassizkene, eine Unterstützerin von Wladimir Putin. Es ist schon komisch, wenn sie fordert, Sport und Politik zu trennen. Denn gleichzeitig gibt es viele Videos, wo sie in Uniform mit militärischen Abzeichen zu sehen ist. Und sie war Teil der Wahl von Putin. Das ist doch pure Politik! Und wie soll sie in einem Wettkampf mit Kateryna Tabaschnyk antreten, einer ukrainischen Hochspringerin, deren Mutter im Krieg in Charkiw getötet wurde? Wie soll Kateryna mit Marija umgehen? Soll sie sie respektieren? Wofür denn? Für Propaganda? Ihre Mutter wurde umgebracht! Ich habe zum Beispiel die European Championships in München verfolgt. Das war ein guter Wettkampf, auch ohne russische Sportler. Und wem ist es aufgefallen, dass die Russen gefehlt haben? Es war ein guter Wettkampf, ein riesiges Festival. Ich glaube nicht, dass der Sport durch den Ausschluss von Russland etwas verliert.
Trotzdem denkt das IOC darüber nach, russische Athleten wieder zuzulassen. Was würde das für Sie bedeuten?
Heraskevych: In meinen Augen ist das eine verrückte Entscheidung. Wir sehen ähnliche Bestrebungen auch schon in anderen Verbänden. Bei Bob und Skeleton waren die Athleten zum Beispiel ausgeschlossen, das hat der Verband auf einem Kongress im Juli beschlossen. Und wenig später wurden russischen Athleten dann in Kommissionen gewählt. Darauf haben wir den Verbandspräsidenten Ivo Ferriani auf den Beschluss von Juli angesprochen. Er meinte, wir sollten diese Tür für die Athleten offenlassen. Ich verstehe, dass dahinter eine Empfehlung des IOC steht. Aber wir sollten erst über die Rückkehr von russischen Athleten reden, wenn dieser Krieg vorbei ist. Nicht jetzt! Jetzt sieht das falsch aus, denn seit der Suspendierung hat sich doch nichts verändert! Es herrscht noch immer Krieg! Allein heute wurden wieder 23 Menschen bei einem Angriff getötet. Warum sollten wir also jetzt darüber nachdenken, die russischen Sportler wieder zurück in den Sport zu lassen?
Und die Entscheidung, russische Athleten in die Kommissionen zurückzulassen ist noch aus einer anderen Sichtweise problematisch. Kurz nach der Entscheidung hat eine der russischen Funktionärin aus eben diesen Kommissionen im russischen Fernsehen gesagt, dass der Internationale Bob- und Skeleton Verband Russland unterstützt. Das ist pure Propaganda! Ich hoffe, dass der Verband erkennt, dass das eine falsche Entscheidung war und sie zurücknimmt.
Im April war meine letzte Frage, was Ihnen Hoffnung macht. Sie sagten: Dass Sie Ihr Land wieder aufbauen können. Ist das noch immer Ihre Hoffnung?
Heraskevych: Ja, und diese Hoffnung hat sich noch verstärkt! Ich war vor kurzem mit deutschen Sportlern im sogenannten „Club der Besten“ in Italien und es war schön zu sehen, dass das Leben weitergeht. Und das hoffe ich auch für die Ukraine. Das normale Leben kehrt zwar zurück in Städte wie Kiew, aber man kann den Krieg noch immer überall spüren. Ich hoffe, dass die Menschen möglichst bald wieder ihr normales Leben leben können: Party machen, Spaß haben. Und natürlich hoffe ich, dass wir die Ukraine wieder aufbauen und zu einem besseren Land machen können. Das schenkt mir Hoffnung, das hilft mir! Heute hatten wir eine Veranstaltung, bei der Kinder Geld für andere Kinder sammeln. Danach bin ich die Klassen gegangen und habe mit den Kindern gesprochen, um ihnen Skeleton zu erklären. Das motiviert mich und macht mir Mut. Denn diese Kinder sind so inspirierend. Sie verstehen noch nicht alles, was passiert. Aber man sieht sie, wie sie Spaß haben, Sport machen, lachen. Das ist die nächste Generation der Ukraine, und das macht mir am meisten Hoffnung für die Zukunft, dass alles gut ausgeht.