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Ukraine-Referendum
Wie europaskeptisch sind die Niederländer?

Wenn die Niederländer heute in einem Referendum über das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine abstimmen, könnten bis zu 60 Prozent mit Nein stimmen, sagte der Politologe Friso Wielenga im DLF. Vielen Niederländern gehe es dabei aber nicht so sehr um die Ukraine selbst, sondern darum, der EU eins auszuwischen.

Friso Wielenga im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.04.2016
    Ukrainische Aktivisten halten vor einem Porträt des niederländischen Malers Vincent van Gogh Plakate in Ohrform hoch mit der Aufschrift "Nicht auf russische Propaganda hören."
    Ukrainische Aktivisten halten vor einem Porträt des niederländischen Malers Vincent van Gogh Plakate in Ohrform hoch mit der Aufschrift "Nicht auf russische Propaganda hören." (Imago / ZUMA Press)
    Die Volksabstimmung sei von einer europaskeptischen Initiative angestoßen worden. Der sei es gelungen, Ressentiments gegen Osteuropa erfolgreich zu schüren. Immer wieder sei damit argumentiert worden, dass ein solches Assoziierungsabkommen der Anfang einer EU-Mitgliedschaft sei.
    Vielen Niederländern gehe es dabei aber nicht so sehr um die Ukraine selbst, sondern darum, "der EU eine auszuwischen", erläuterte Wielenga. Damit werde die Abstimmung zu einem Gradmesser der Europaskepsis in den Niederlanden.
    Das Assoziierungsabkommen soll die Ukraine stärker an die Europäische Union binden und den Handel erleichtern. Es ist bereits von 27 EU-Staaten und der Ukraine ratifiziert worden. Auch die niederländische Regierung hat es bereits unterzeichnet.
    Sollte sich die Wähler dagegen aussprechen, könne die Regierung das nicht ignorieren, auch wenn sie rechtlich nicht an die Entscheidung gebunden sei, so Wielenga.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Bahnt sich da eine weitere europäische Krise an? Davor jedenfalls warnt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker für den Fall, dass die Niederländer heute beim Referendum mehrheitlich gegen die Bindung der Ukraine an die EU stimmen. Nun ist das Assoziierungsabkommen in Teilen schon seit Januar in Kraft. Auch das Parlament in Den Haag hat seinerzeit zugestimmt. Aber ratifiziert ist der Vertrag eben noch nicht, denn zwei europakritische Initiativen haben über 400.000 Unterschriften dagegen gesammelt und damit diese Volksabstimmung erzwungen. Dass die Gegner der Annäherung in den Umfragen jedenfalls klar vorn liegen, das macht auch den Verantwortlichen in Kiew Sorgen.
    Über die Ausgangslage in den Niederlanden vor der Abstimmung können wir in den nächsten Minuten mit Friso Wielenga sprechen. Er leitet das Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität Münster. Schönen guten Morgen.
    Friso Wielenga: Guten Morgen.
    Barenberg: Wir haben ja gerade etwas gehört, auch über die Sorgen in der Ukraine, die sich mit Blick auf die Abstimmung Sorgen machen, dass es ein Nein geben könnte. Ist den Menschen in den Niederlanden eigentlich bewusst, welche Bedeutung der Vertrag, das Abkommen für die Ukraine hat und welchen symbolischen Stellenwert auch?
    Wielenga: Ja, das ist schon bekannt, und diejenigen, die für das Assoziierungsabkommen kämpfen in den Niederlanden, die betonen das auch immer und sagen, wir haben hier ein Abkommen, wie es auch gerade in Ihrem Beitrag durchklang, wofür Leute in der Ukraine gekämpft haben, wofür auch Leute gestorben sind, und wer sind wir denn in den Niederlanden, um dann zu sagen, ihr dürft nicht näher an die EU heran.
    "Da werden Ressentiments gegen Osteuropa geschürt"
    Barenberg: Nun soll dieses Abkommen mit der Ukraine ja den Handel fördern, die Demokratie stärken und auch helfen, Korruption zu bekämpfen. Warum lassen sich eigentlich so viele Menschen ausgerechnet in der Handelsnation Niederlande gegen diesen Vertrag mobilisieren?
    Ein Wahlbüro in Rotterdam wird für das Referendum vorbereitet.
    Die Niederländer stimmen per Referendum über das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ab. (picture alliance / dpa / Robin Utrecht)
    Wielenga: Das ist eine Frage, die auch viele in den Niederlanden in den letzten Wochen beschäftigt hat. Aber wenn man sich die Argumente der Gegner anhört, dann wird da gerufen, es kostet uns Geld, es bringt uns gar nicht so viele Handelsvorteile. Die rufen, es wird dazu führen, dass viele aus der Ukraine in die Niederlande kommen, um hier zu arbeiten, und wir haben schon so viele aus Osteuropa. Da werden auch Ressentiments gegen Osteuropa geschürt. Die rufen, es ist der Anfang von einer EU-Mitgliedschaft, und das wollen wir nicht. Es wird auch das Verhältnis zu Russland weiterhin zuspitzen, wenn Europa dieses Abkommen in Kraft treten lässt. Aber wie Sie eben auch deutlich machten: Das Abkommen wird auch in Kraft treten und ist schon teilweise in Kraft getreten. Und dann sagen auch viele, wir wollen nicht mit einem korrupten Land wie der Ukraine zusammenarbeiten. Nur sehr viele in den Niederlanden kennen eigentlich den Vertrag überhaupt nicht. Das heißt, es ist auch gerechtfertigt zu sagen, es geht gar nicht so sehr um diesen Vertrag. Es geht einfach nur darum, und das haben auch diejenigen, die dieses Referendum auf den Weg gebracht haben, explizit gesagt letzte Woche, es geht uns gar nicht um die Ukraine, es geht uns einfach darum, um der EU eins auszuwischen. Es geht darum, um eine Anti-EU-Stimmung in den Niederlanden anzuheizen und letztendlich zu einer Distanz zwischen den Niederlanden und Brüssel zu kommen. Und am Ende, so wie manche wie zum Beispiel Geert Wilders, der Rechtspopulist, sagen, sollen dann auch die Niederlande aus der EU austreten. Diese Stimmungen werden momentan sehr deutlich geschürt durch die Gegner dieses Assoziierungsabkommens.
    "Anti-EU-Stimmung in den Niederlanden wird angeheizt"
    Barenberg: Nun haben Sie gerade gesagt, dass viele Menschen in den Niederlanden den Vertrag in seinen Einzelheiten gar nicht kennen. Hat das auch etwas damit zu tun, dass die Regierungskoalition aus Rechtsliberalen und Sozialdemokraten in Den Haag sich nicht genug ins Zeug gelegt hat, um für das Abkommen zu werben in einer Kampagne? Das ist ein Vorwurf, der der Regierung ja durchaus gemacht wird.
    Wielenga: Ja, das ist auch ein klarer Vorwurf. Die einzige Partei, die sich wirklich sehr klar für den Vertrag ausspricht, das ist die linksliberale D66, und die machen wirklich viel Kampagne und sind auf der Straße und sind unterwegs und die Regierungsparteien tatsächlich viel weniger. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass die rechtsliberale Partei, die ja auch den Ministerpräsidenten liefert, eigentlich im Prinzip gegen Referenden ist. Als die Möglichkeit vor einem Jahr geschaffen wurde, hat diese Partei auch gegen Referenden gestimmt im Parlament. Die wollen das Instrument gar nicht. Und es gibt auch viele aus der rechtsliberalen Partei, die sagen, wir sind gegen Referenden, aber wir sind für das Assoziierungsabkommen, aber wir gehen trotzdem nicht zur Wahl. Das ist ein Argument, dass die rechtsliberale Partei gegen das Instrument von Referenden ist, dass man nicht sehr stark Kampagne führt, und es ist auch so, dass die rechtsliberale VVD auch ein bisschen Angst hat, wenn sie sich zu sehr für den Vertrag, für das Abkommen ausspricht, dass dann viele ihrer Wähler zu der PVV von Geert Wilders gehen. Das ist für die VVD ein Punkt. Und die Sozialdemokraten, die haben im Grunde auf der linken Seite ein ähnliches Problem, denn eine andere Partei, die sich sehr deutlich gegen das Assoziierungsabkommen gestellt hat, das ist die sozialistische Partei, eine Partei links von der Sozialdemokratie, und es gibt auch viele aus der Sozialdemokratie, die immer zögern zwischen Sozialdemokratie und sozialistischer Partei. Deswegen: Wenn die PVDA, die Sozialdemokraten sehr stark sich für das Abkommen jetzt einsetzen, dann fürchten all die Sozialdemokraten, es könnten auch Anhänger von uns zu der sozialistischen Partei gehen. Das erklärt unter anderem auch die Halbherzigkeit, womit die Regierungsparteien sich in dieser Sache äußern.
    "Bis zu 60 Prozent könnten mit Nein stimmen"
    Barenberg: Ist insofern dieser Volksentscheid so etwas wie ein Gradmesser der Europaskepsis in den Niederlanden?
    Wielenga: So kann man es sicherlich formulieren und die Europaskepsis ist schon seit längerer Zeit relativ groß. Vor elf Jahren, im Jahr 2005 haben auch die Niederländer sich gegen das damalige EU-Grundgesetz oder die EU-Verfassung ausgesprochen, was damals auch zusammen mit dem Nein der Franzosen zu einer Krise in der Europäischen Union geführt hat, und tatsächlich ist in den Niederlanden unter der Bevölkerung eine ziemlich große EU-Skepsis gewachsen in den letzten 10, 15 Jahren. Wenn man die Prognosen hört und liest, dann könnte es heute zu 60 Prozent derjenigen, die Nein sagen, kommen und 40 Prozent Ja.
    Barenberg: Und dann kommt es ja noch auf die Wahlbeteiligung an, die 30 Prozent überschreiten muss. Könnte es sich Premier Rutte eigentlich leisten, ein solches mögliches Nein schlicht zu ignorieren?
    Wielenga: Nein, das kann er nicht und das wird er auch sicherlich nicht tun, obwohl er rechtlich dazu schon auch die Möglichkeit hätte, denn es ist kein Referendum, dem die Regierung ohne weiteres folgen muss. Aber das wird er sicherlich nicht tun. Alle Parteien im Parlament - und es gibt im Parlament eine große Mehrheit für das Abkommen -, aber auch die Befürworter haben gesagt, wenn es heute tatsächlich ein deutliches Nein gibt aus der Bevölkerung, dann können wir nicht zur Tagesordnung übergehen, dann müssen wir dem in irgendeiner Art und Weise Rechnung tragen, was dann nicht heißen wird, glaube ich, dass die Niederlande sich dann aus diesem Vertrag zurückziehen werden. Das scheint mir sehr, sehr schwierig zu sein. Aber vielleicht, dass die Niederlande, um der Bevölkerung dann zu zeigen, wir nehmen das schon ernst, in Brüssel noch weiter verhandeln und sagen, vielleicht ist der Paragraph nichts für uns und der Teil ist nichts für uns. Das wird ein neuer Weg, Neuland sein, um aus diesem Nein dann auch etwas Konkretes zu machen.
    Barenberg: Es wird ja auch darüber spekuliert, ob gar die Regierung Mark Rutte darüber stürzen könnte, über ein solches Nein.
    Wielenga: Das scheint mir sehr unwahrscheinlich, auch wenn die Sozialdemokraten etwas deutlicher als die Konservativ-Liberalen gesagt haben, wir müssen das Ergebnis sehr ernst nehmen. Aber es sind für März 2017 Wahlen angesagt. Dann hat die Regierung die normale Periode auch hinter sich gebracht. Es kriselt zwar in den letzten Monaten regelmäßig zwischen Sozialdemokraten und Konservativ-Liberalen, aber die beiden Parteien haben überhaupt kein Interesse daran, um jetzt die Regierung zu Ende zu führen, oder dass die Regierung jetzt stolpern würde, weil das dann für sie bei den Wahlen sehr schlecht aussehen wird. Es ist momentan sogar so: Wenn es jetzt Wahlen geben würde, dann würden die Sozialdemokraten unter zehn Prozent landen nach den Prognosen. Und Geert Wilders mit seiner PVV-Bewegung würde die größte Partei werden. Die beiden haben kein Interesse daran, jetzt zu stolpern, und werden sicherlich versuchen, die Regierung bis März 2017 auf den Beinen zu halten.
    Barenberg: Die Einschätzung von Friso Wielenga vom Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität Münster heute hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Wielenga: Gern geschehen.