
Bekommt die Ukraine nach einem möglichen Friedensabkommen mit Russland Sicherheitsgarantien von westlichen Partnern? Nach dem Ukraine-Gipfel in Washington vom 18. August wird darüber immer intensiver debattiert. Aus anderen Konflikten lässt sich ableiten, dass wohl Zehntausende ausländische Soldaten nötig wären, um die Ukraine mit einer robusten internationalen Friedenstruppe zu schützen.
Nur: Wer könnte welche Verantwortung übernehmen und was leisten? US-Präsident Donald Trump schließt amerikanische Bodentruppen aus und sieht diese Aufgabe bei den Europäern. Die USA seien bereit, „mit Material zu helfen“, vor allem „aus der Luft“. Mehr Details nennt er nicht. Außenminister Marco Rubio soll diese ausarbeiten.
Was auf Deutschland zukommen könnte, deutet Bundeskanzler Friedrich Merz so an: „Es geht um die politische Ordnung Europas. Und dass wir daran auch als Bundesrepublik Deutschland ein hohes Interesse und eine hohe Verantwortung haben, uns zu beteiligen, ist für mich klar.” Mehr Geld für Waffen oder gar deutsche Soldaten in der Ukraine – das lässt Merz offen.
Bundesaußenminister Johann Wadephul nennt allein schon die Bereitschaft der USA, sich an Sicherheitsgarantien zu beteiligen, eine „neue Qualität“. Es sei für die Ukraine ein großer Erfolg, dass sie hier auf die Europäer und die USA zählen könne.
Wie beurteilen Experten die Debatte? Einige Stimmen.
Übersicht
Wolfgang Ischinger: Eine „abwegige und eher kontraproduktive Debatte“
Der frühere Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hält die Debatte über Bundeswehr-Soldaten zur Friedenssicherung in der Ukraine im Augenblick für „abwegig“ und „kontraproduktiv“. Russland werde nicht akzeptieren, dass zum Beispiel deutsche oder britische Brigaden in die Ukraine einrückten. Damit würde eine rote Linie Moskaus überschritten, so Ischinger. Viel wichtiger sei es für die Ukraine, dass sie ihren Verteidigungskampf erfolgreich führen könne. Das sei „die eigentliche Sicherheitsgarantie“.
Constanze Stelzenmüller: „Eine 40 Kilometer breite Todeszone“
Einige Europäer würden bereits seit einer Weile überlegen, europäische Truppen in der Ukraine zu stationieren, sagt Constanze Stelzenmüller von der Brookings Institution in Washington. „Ich halte das, ehrlich gesagt, für eine Illusion.“ Die sogenannte Kontaktlinie sei eine vierzig Kilometer breite Todeszone, die von russischen bewaffneten Drohnen überwacht werde. Eine Friedenstruppe wäre „gigantisch“ und von den Europäern überhaupt nicht zu leisten, so Stelzenmüller.
Carlo Masala: Es müssen „harte Sicherheitsgarantien“ sein
Der Militärexperte Carlo Masala plädiert für „harte Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine, die Russland wirklich abschreckten. Ein solches Versprechen müsse beinhalten, dass die Ukraine im Falle einer erneuten russischen Aggression Hilfe bei der Verteidigung bekomme – und zwar nicht in Form von Waffenlieferungen. Masala formuliert es so: „Wenn du, Wladimir Putin, oder dein Nachfolger, es wagt, die Ukraine nochmals anzugreifen, dann befindest du dich im Krieg mit uns.“
Deutschland müsste sich aus seiner Sicht an einer möglichen Friedenstruppe in der Ukraine beteiligen: "Man kann sich nicht damit rühmen, dass man der wichtigste Unterstützer der Ukraine ist und dann in dieser entscheidenden Frage - für die Ukraine der entscheidenden Frage - sagen: Aber daran werden wir uns nicht aktiv in der Ukraine beteiligen. Das ist ein Widerspruch. Den können Sie weder der Ukraine noch dem Rest Europas erklären."
Henning Otte: Keine neuen Aufgaben ohne mehr Personal
Tausende Soldaten in die Ukraine zu entsenden, wäre aus Sicht des Wehrbeauftragten Henning Otte (CDU) eine „Riesenherausforderung“ für die Bundeswehr. „Da sind wir ganz schnell bei der Frage: Wie viele Soldatinnen und Soldaten braucht die Bundeswehr, um die Aufträge zu erfüllen? Eines darf nicht sein: immer mehr Aufträge anzunehmen und den Personalkörper nicht zu stärken.“ Gleichwohl sei das Signal von Bundeskanzler Merz, zur Sicherheit in der Ukraine beitragen zu wollen, richtig.
Klaus Remme: Entscheidung über „Leben und Tod“
Wie könnten Sicherheitsgarantien für die Ukraine überhaupt aussehen? Deutschlandfunk-Brüssel-Korrespondent Klaus Remme sagt, dass sie „alles“ bedeuten könnten. „Sie entscheiden in der Ukraine nun einmal über Leben und Tod.“ In der Vergangenheit habe es schon einmal derartige Versprechen gegeben, die „nichts wert“ waren, so Remme. Zum Beispiel, als die Ukraine im Rahmen des Budapester Memorandums 1994 auf Atomwaffen verzichtete. Oder als ihr beim NATO-Gipfel in Vilnius vor zwei Jahren die NATO-Mitgliedschaft verweigert wurde und man stattdessen Sicherheitsabkommen mit ihr schloss. Unklar sei, ob es einen Schutz ähnlich NATO-Artikel 5 geben solle oder westliche Truppen in der Ukraine stationiert werden sollten. Es sei alles offen. Bei einem ist sich Remme jedoch sicher: Die Europäer werden in dieser Frage „auch nicht immer wie eine Eins stehen“.
bth