Donnerstag, 18. April 2024

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Pressefreiheit in Georgien
Umstrittenes Mediengesetz scheitert vorerst

Ein Gesetz, das Medien zu ausländischen Agenten erklärt, kennen wir bisher aus Russland. Ähnliche Pläne hat die georgische Regierung nun nach starkem Protest der Bevölkerung zurückgezogen. Wie es in Georgien weitergeht, erklärt die Journalistin Tatjana Montik in Tiflis.

Text: Anh Tran | Tatjana Montik im Gespräch mit Benedikt Schulz | 09.03.2023
Ein Demonstrant schwenkt eine georgisch, ukrainische und europäische Flagge während eines Protests gegen das geplante Mediengesetz vor dem georgischen Parlament in Tiflis.
In Georgien sind tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen ein geplantes Mediengesetz zu demonstrieren. Nun wurde es zurückgezogen. (AFP | Vano Shlamov)
In Georgien zieht die Regierungspartei Georgischer Traum die Notbremse und nimmt ein geplantes Gesetz über "Agenten ausländischer Einflussnahme" zurück. Dieses besagt: NGOs und Medien, die sich zu einem Fünftel mit ausländischen Mitteln finanzieren, sollen als "ausländische Agenten" deklariert werden und sind verpflichtet, sich beim Justizministerium zu registrieren.
Ein ähnliches Gesetz hat 2021 in Russland für Aufruhr gesorgt. Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili hatte bereits ihr Veto gegen das Gesetz angekündigt. Eher ein symbolisches Zeichen, denn gegen die absolute Mehrheit der Regierung im Parlament, hat ihr Veto keine Wirkung. Tausende haben seit Tagen auf den Straßen Georgiens demonstriert. Ihre Kritik: das Gesetz sei ein weiterer Schritt Richtung Autokratie.

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"Nicht viele glauben an gute Absichten der Regierung"

Doch für Entwarnung sei es noch zu früh, sagt die Journalistin Tatjana Montik im Deutschlandfunk. Montik berichtet seit Jahren aus der georgischen Hauptstadt Tiflis und hat auch die Proteste der letzten Tage eng begleitet. Sie hat beobachtet, wie die Polizei mit Tränengas, Gummikugeln und Wasserwerfern gegen die Demonstrierenden vorgegangen ist.
"Nicht viele glauben an gute Absichten der Regierung", sagt Tatjana Montik. Es herrsche momentan Unsicherheit, warum das Gesetz zurückgezogen wurde. Einige vermuten, dass die Regierung Zeit gewinnen wolle, andere, dass ein Keil zwischen die Zivilgesellschaft getrieben werden soll. Vieles hänge in Georgien momentan davon ab, ob die Einigkeit in der Zivilgesellschaft bestehen bleibe. Unter den Protestierenden herrscht weiterhin Skepsis gegenüber der Politik. Weitere Demonstrationen sind bereits angekündigt. Tatjana Montik kann sich vorstellen, dass zeitnah der Rücktritt der Regierung und Neuwahlen gefordert werden könnten.

Unter russischem Einfluss

Eigentlich habe die georgische Regierung derzeit wenig Grund zur Sorge, meint Journalistin Montik. Die Opposition sei zerstritten und schwach. Sie vermutet, dass die Regierung mit dem Gesetz Appeasement-Politik betreibe, weil Georgien ein weiteres Ziel für den Kreml sein könnte nach dem Überfall der Ukraine.
Bereits seit 2008 kontrolliert Russland die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien. Beide Gebiete gehören völkerrechtlich zu Georgien, werden aber von Russland besetzt. Es handelt sich um insgesamt 20 Prozent des georgischen Staatsgebietes.
Eine weitere Rolle könnten Georgiens Superreiche spielen, so wie der reichste Mann im Land, Milliardär Bidsina Iwanischwili. Dieser hat sein Vermögen in Russland aufgebaut, gilt als kremlnah und ist sowohl Financier als auch Kopf der Regierungspartei Georgischer Traum.

Lage der Medienfreiheit seit Jahren schlecht

Es steht schlecht um die georgische Medienfreiheit. Zu diesem Fazit kommt auch das Europäische Parlament Ende letzten Jahres und fordert Nachbesserungen von der Regierung. Denn: offiziell ist Georgien potentieller EU-Beitrittskandidat. Damit sollte auch eine engere Bindung zur Europäischen Union befördert und eine Zuwendung der Ex-Sowjetrepublik zu Russland verhindert werden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat Georgien nun davor gewarnt, dass das geplante Gesetz mit den europäischen Werten und Standards unvereinbar sei.

Mediengesetz Höhepunkt der Eskalation

In seinem Entschließungspapier nennt das EU-Parlament viele Beispiele, die illustrieren, wie schlecht es um die Medienfreiheit in Georgien steht. Darunter der weitreichende Abhörskandal, der während des Kommunalwahlkampfes 2021 publik wurde. Eine Aufklärung darüber, wer aus welchen Gründen damals tausende Gespräche aufgezeichnet hat, bleibt die Regierung bis heute schuldig.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Inhaftierung des Journalisten und Miteigentümer des größten Fernsehsenders des Landes Nika Gwaramia. Dieser hat im Fernsehen immer wieder die Arbeit der Regierung kritisiert. Die EU wirft der georgischen Justiz vor, politisch gelenkt und somit nicht unabhängig zu agieren. Sie unterstützt die Forderung von Reporter ohne Grenzen nach einer Revision des Urteils. Im Ranking der Pressefreiheit landet Georgien auf Platz 89 von 180.
Medienschaffende im Land monieren zudem immer wieder unzureichende staatliche Schutzmaßnahmen für ihre Arbeit. Bei homophoben Demonstrationen ist es in der Vergangenheit beispielsweise immer wieder zu Angriffen gegen Journalistinnen und Journalisten gekommen. 2021 starb ein Videoreporter, als er von Protesten berichten wollte.