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Unions-Fraktionsvize: Pflegezeitgesetz "weist zumindest in die richtige Richtung"

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs, verteidigt das Pflegezeitgesetz gegen Kritik. Es erleichtere Unternehmen, Mitarbeiter bei der Pflege von Angehörigen zu unterstützen. Von einem Rechtsanspruch auf die Pflegeauszeit hält der CDU-Politiker dagegen nichts. Der Staat könne nicht alles bestimmen, so Fuchs.

Michael Fuchs im Gespräch mit Christiane Kaess | 29.12.2012
    Christiane Kaess: 1,6 Millionen Menschen werden in Deutschland zu Hause gepflegt, in zehn Jahren sollen es schon mehr als drei Millionen sein. Grund genug für die Politik, sich diesem Thema anzunehmen, die Bundesfamilienministerin tat dies vor einem Jahr, und das Gesetz zur Pflegeauszeit trat in Kraft. Demnach können Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit für maximal zwei Jahre auf bis zu 15 Stunden reduzieren, um sich um einen Pflegefall in der Familie zu kümmern, das Ganze bei nur etwas reduziertem Gehalt – das soll dann nach Ende der Pflegeauszeit wieder kompensiert werden –, ein zinsloser Kredit der staatlichen Förderbank KfW macht das möglich. Allerdings gibt es keinen Rechtsanspruch auf die Auszeit, und jetzt, ein Jahr später, ist klar: Kaum jemand nutzt die Regelung, nicht einmal 200 Arbeitnehmer waren es in diesem Jahr. Am Telefon ist jetzt Michael Fuchs, stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender im Bundestag und Ehrenvorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand. Guten Morgen, Herr Fuchs!

    Michael Fuchs: Guten Morgen, Frau Kaess!

    Kaess: Herr Fuchs, war das Gesetz von Anfang an halbherzig?

    Fuchs: Ich glaube, das kann man nicht sagen. Ich halte es für notwendig, dass wir Angebote machen, dass Arbeitnehmer zu Hause pflegen können, dass zu Hause die Möglichkeit besteht, dass man hilft, dass man das über einen bestimmten Zeitraum tut und dass das nicht gerade dazu führt, dass man überhaupt nichts mehr oder sehr wenig verdient. Insofern ist das Gesetz schon sicherlich sinnvoll. Es gibt damit quasi die Möglichkeit, mit dem Arbeitgeber etwas zu vereinbaren, um den Angehörigen zu helfen, und das halte ich schon für richtig. Und Sie haben ja eben selber die Zahlen gesagt, 1,6 Millionen Pflegefälle haben wir in Deutschland, und in vielen Fällen wird ja Gott sei Dank noch zu Hause gepflegt.

    Kaess: Herr Fuchs, gestehen denn die Unternehmen ihren Mitarbeitern die Auszeit zu wenig zu oder wird sie von den Arbeitnehmern zu wenig nachgefragt?

    Fuchs: Das ist schwer zu sagen, ich glaube, dass die Ministerin Schröder jetzt eine Evaluation machen muss und nachprüfen muss, warum das Gesetz so wenig in Anspruch genommen wurde. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass in den meisten Betrieben, wo ein gutes Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herrscht, dass da solche Angebote auch gemacht werden und dass die Arbeitgeber das dann auch mitmachen. Es gibt sicherlich auch andere Fälle, die gar nicht erst gemeldet werden, das ist ja nicht meldepflichtig, wenn ein Arbeitgeber mit einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer eine Vereinbarung getroffen hat. Das muss ja nicht gemeldet sein, also ich kann mir schon vorstellen, dass es weit mehr Fälle gibt, als die, die jetzt bekannt sind.

    Kaess: Aber gegen das Gesetz waren die Unternehmen ja von Anfang an, dann ist es ja auch eigentlich kein Wunder, dass sie es ohne den zwingenden Rechtsanspruch nicht anbieten.

    Fuchs: Sie müssen sehen, wir haben in Deutschland über 99 Prozent kleine und mittlere Unternehmen, Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern. Und wenn in einem solchen Unternehmen ein Mitarbeiter ausfällt, weil er zu Hause hilft und pflegt, dann ist das für diese kleinen Unternehmen ein großes Problem. Wir haben Mutterschutz, da kann jemand drüber ausfallen, dann über Pflege fällt jemand aus, Krankheit et cetera – die Kleinunternehmen können das kaum bewerkstelligen. In diesen Unternehmen dürfte das sehr schwierig sein, in den großen Unternehmen ist das einfacher zu kompensieren.

    Kaess: Das heißt aber, die Begründung von Bundesfamilienministerin Schröder, dass für Unternehmen es kostengünstiger ist, die Familienpflegezeit anzubieten, also auf der anderen Seite erfahrene, gut ausgebildete Mitarbeiter gehen zu lassen, die stimmt gar nicht?

    Fuchs: Doch, ich halte diese Begründung für sehr richtig, die Unternehmen sind auch klug beraten, wenn sie in dieser jetzigen Situation, wo ja viele doch händeringend nach Facharbeitern, nach guten Mitarbeitern suchen, wenn sie dann auch solche Angebote machen, das ist ein kluger Zug von den Unternehmern.

    Kaess: Aber Sie haben gerade gesagt, für das mittelständische Unternehmen gibt es einige Probleme dabei?

    Fuchs: Ja, natürlich gibt es Probleme. Wir müssen versuchen, die gemeinsam zu lösen mit den Mitarbeitern, da muss man flexible Modelle bauen, das kann man aber nicht von Staats wegen ordinieren, sondern das muss meiner Meinung nach auf Unternehmensebene gelöst werden. Das ist der Platz, wo so was diskutiert werden kann. Ein mittelständisches kleines Unternehmen kann nicht so ganz einfach auf seine Mitarbeiter verzichten, weil sie gar nicht so viele haben.

    Kaess: Wenn die Bedürfnisse der Unternehmen je nach Größe, so, wie Sie das jetzt gerade angesprochen haben, ganz unterschiedlich sind, ist das Gesetz dann einfach zu unflexibel?

    Fuchs: Ich glaube nicht, dass es daran liegt, das Gesetz ist schon der richtige Ansatz, weil es darauf hinweist, dass es Möglichkeiten gibt, über die auch von Ihnen eben erwähnte KfW-Hilfe, den Unternehmen dabei zu helfen. Das ist schon der richtige Weg, aber es muss auf Unternehmensebene gelöst werden, es kann nicht alles durch den Staat bestimmt werden.

    Kaess: Aber wenn es auf Unternehmensebene gelöst werden kann, dann ist dieses Gesetz letztendlich doch überflüssig?

    Fuchs: Nein, das würde ich nicht so sehen, dass es überflüssig ist. Im Gegenteil, es weist zumindest in die richtige Richtung, und warten wir mal ab, ich gehe mal davon aus, dass so ein Gesetz auch eine gewisse Vorlaufzeit braucht, bis es dann wirkt. Ich kann mir schon vorstellen, dass auch viele, viele Fälle existieren, die im Prinzip ähnlich, wie das Gesetz es vorgibt, gelagert sind, die aber gar nicht dann in die Meldestelle kommen.

    Kaess: Die Kritik an dem Gesetz, eine Kritik, lautet auch, es sei lebensfremd, denn die Pflegezeit ist nicht auf zwei Jahre planbar. Bräuchte man also letztendlich noch mehr Flexibilität, was zum Beispiel Teilzeit anbetrifft?

    Fuchs: Das kann sein, dass man noch mehr Flexibilität, braucht, aber man kann ja auch durchaus darüber nachdenken, ob es zweimal diese Pflegezeit hintereinander gibt. Auch das ist ja alles denkbar, also natürlich wird das …

    Kaess: Also nachgebessert werden muss auf alle Fälle?

    Fuchs: Natürlich wird es Pflegefälle geben, die weit länger dauern als nur zwei Jahre, und da muss dann mal drüber nachgedacht werden, ob dann zum Beispiel der erste Block zwei Jahre ist und dann ein zweiter Block von zwei Jahren hinterhergeschoben werden kann. Ich denke, da kann man drüber nachdenken.

    Kaess: Die Opposition ist noch viel schärfer mit ihrer Kritik, wir hören mal rein, was Markus Kurth, Grünen-Sozialpolitiker, gestern in unserem Programm gesagt hat.

    Markus Kurth: "Es fügt sich ein in die Symbolpolitik von Ministerin Schröder, ob das jetzt die Großelternzeit ist, Flexiquote, oder um mal etwas zu nehmen aus einem ganz anderen Bereich, eine Hotline für Aussteiger aus dem Linksextremismus, da hat es nur einen Anruf gegeben. Das sind alles solche Elemente, viel Getöse, viel Posen und Darstellen nach außen und im Endeffekt wenig bewirken in der Realität."

    Kaess: Sagt der Grünen-Sozialpolitiker Markus Kurth. Herr Fuchs, die Bilanz nach einem Jahr Pflegeauszeit gibt ihm recht, oder?

    Fuchs: Nein, ich würde sagen, das ist Wahlkampf, was er da macht, und das hat mit sachlicher Betrachtung der Situation nichts zu tun. Ich möchte gerne wissen – und deswegen halte ich es auch für notwendig, dass eine Evaluation gemacht wird –, wie viele Fälle es denn wirklich gibt, wo Angestellte, wo Mitarbeiter Angehörige pflegen und mit dem Arbeitgeber eine Lösung gefunden haben, die nicht über die Meldestelle in Köln laufen. Da wird es sicherlich jede Menge geben – ich kenne auch persönlich Fälle, wo so etwas passiert, wo ein Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung getroffen hat, dass der Arbeitnehmer zum Beispiel zeitweilig oder früher nach Hause gehen kann, um zuhause mitzuhelfen. Das gibt es doch.

    Kaess: Aber zusammenfassend, Herr Fuchs: Sie sind optimistisch, dass auch ohne einen Rechtsanspruch das Gesetz künftig mehr in Anspruch genommen wird?

    Fuchs: Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland nicht alles vom Staat aus regeln und über Rechtsansprüche darstellen, sondern es muss auch noch persönliches Interesse und persönliches Zusammenarbeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geben, das halte ich für viel wichtiger.

    Kaess: Es hat einen weiteren Vorschlag zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in dieser Woche gegeben, der kam von der Generalsekretärin der SPD, Andrea Nahles. Sie will eine staatlich finanzierte 30-Stunden-Woche für junge Eltern. Was halten Sie davon?

    Fuchs: Die soll mir mal sagen, wo das Geld herkommt, dann wäre ich darüber bereit nachzudenken. Aber das Geld fällt eben nicht vom Himmel, wir haben die Schuldenbremse im Grundgesetz stehen, die haben wir mit der SPD vereinbart, und das war gut so. Und eine solche Maßnahme wäre extrem teuer und ist meiner Meinung nach in der jetzigen Phase nicht finanzierbar, weitere soziale Möglichkeiten sind nicht mehr finanzierbar. Wir haben so viel – wir geben bereits heute 54 Prozent des gesamten Bundesetats für soziale Maßnahmen aus, das ist der mit weitem Abstand größte Etatblock, und das noch mal auszudehnen, halte ich einfach für nicht möglich.

    Kaess: Und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Sie kein Argument?

    Fuchs: Das ist für mich sogar notwendig, denn wir haben ja nun nicht gerade …

    Kaess: Aber dann ist das doch ein konstruktiver Vorschlag?

    Fuchs: Konstruktiv ist alles, was dazu hilft, dass mehr Kinder kommen, nur wir müssen natürlich auch immer wissen, dass der Staat nur Geld ausgeben kann, was er hat. Und das muss er über Steuern einnehmen – höhere Steuern halte ich nicht für möglich, weil wir die höchsten Steuereinnahmen, die es in dieser Geschichte der Bundesrepublik jemals gegeben hat, sowieso schon haben. Das heißt also, es gibt gewaltige Steuern, und es macht keinen Sinn darüber nachzudenken, weitere Ausgaben zu machen, die wir nicht finanzieren können.

    Kaess: Michael Fuchs, stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag, vielen Dank für das Gespräch, Herr Fuchs!

    Fuchs: Danke schön, Frau Kaess!


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