
Gebietsabtretungen, ein Rückzug der ukrainischen Streitkräfte aus Teilen der Ostukraine, eine Verkleinerung der Armee und der Verzicht auf einen NATO-Beitritt, festgeschrieben in der Verfassung - Donald Trumps Regierung hat einen Entwurf für ein Ende des russischen Angriffskriegs vorgelegt, der erhebliche Zugeständnisse an Russland vorsieht. Weder die Ukraine noch die Staaten der Europäischen Union waren in die Ausarbeitung einbezogen.
Laut dem Nachrichtenportal Axios sei der Plan Ende Oktober vom US-Sondergesandten Steve Witkoff und dem Moskauer Vertreter Kirill Dmitrijew ausgehandelt worden. Auch Katar und die Türkei seien beteiligt gewesen. Witkoff habe deutlich gemacht, dass er von Kiew die Annahme der Bedingungen verlange, obwohl einige der genannten Forderungen für die Ukraine seit Langem rote Linien seien.
Entsprechend ablehnend äußerten sich wichtige Unterstützer der Ukraine zu dem Plan. Vertreter der Ukraine sowie Deutschland, Frankreich und Großbritannien wollen die USA nun bei Verhandlungen in Genf umstimmen. US-Präsident Donald Trump will, dass die Ukraine den Plan bis Thanksgiving im Wesentlichen akzeptiert.
Was steht in dem 28-Punkte-Plan von US-Präsident Trump?
Gebietsabtretungen
Die Ukraine müsste auf die Krim und die Regionen Donezk und Luhansk verzichten und Teile der Regionen Cherson und Saporischschja abtreten. Einige dieser Gebiete kontrolliert Russland zurzeit nicht einmal, vor allem in der Region Donezk. Diese ist Teil des Donbass – die Eroberung des großen Steinkohle- und Industriegebiets gehört zu Russlands Kriegszielen. Für die Ukraine ist diese Region aber ebenfalls sehr wichtig, weil es dort strategisch wichtige Städte und militärische Stützpunkte gibt.
Diese Gebiete sowie die Krim würden von den USA als russisch anerkannt werden.
Verkleinerung der Armee
Die ukrainische Armee müsste von derzeit etwa 900.000 auf 600.000 Soldatinnen und Soldaten verkleinert werden. Die Reduzierung ihrer Truppen ist aus Sicht des ukrainischen Politologen Maksym Jakowljew „unlogisch“, weil ein Land, das keine Atomwaffen habe, eine wirklich starke Armee brauche, um sich verteidigen zu können, sagte er im Deutschlandfunk.
Die Ukraine soll auch keine besonders weitreichenden Waffen haben, die für Russland gefährlich sein können. Welche Waffen das sind, wird in dem Plan nicht ausbuchstabiert. Möglicherweise sind weiterreichende Mittelstreckenwaffen und Drohnen gemeint, mit denen das Land die russischen Erdölraffinerien erfolgreich angreift.
NATO und EU
Die Ukraine müsste auf einen Beitritt zur NATO verzichten. Die NATO wiederum dürfte keine Truppen in der Ukraine zu stationieren und keine weiteren Mitglieder aufnehmen. Dabei war die Stationierung europäischer NATO-Soldaten in der Ukraine ein fest vorgesehener Teil einer künftigen möglichen Absicherung eines Waffenstillstands. Ein EU-Beitritt der Ukraine ist aber offenbar weiterhin vorgesehen.
Außerdem ist die Rede von verlässlichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine durch die USA. Doch wie diese konkret aussehen sollen, bleibt offen.
Gleichzeitig soll es keinerlei Beschränkungen der russischen Streitkräfte geben. Moskau solle lediglich versprechen, auf weitere Angriffe auf Nachbarstaaten zu verzichten.
Allerdings muss Russland laut dem Entwurf auf einen weiteren Vormarsch verzichten und sich aus einigen der besetzten Gebiete zurückziehen. Die Ukraine dürfte zudem die Hälfte des derzeit von Russland besetzten Atomkraftwerks Saporischschja unter Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) wieder nutzen.
Nutzung russischer Vermögenswerte
Eingefrorenes russisches Staatsvermögen in Höhe von 100 Milliarden Dollar soll für den Wiederaufbau der Ukraine eingesetzt werden. Die USA sollen maßgebliche Profite aus diesem Programm für sich behalten dürfen.
Russland würde wieder ins Weltwirtschaftssystem integriert und könnte in die G8 zurückkehren. Die Sanktionen würden später enden.
Welche Kritik gibt es an dem Ukraine-Plan?
Sowohl in Europa als auch international hat der vorgelegte 28-Punkte-Plan Kritik hervorgerufen, weil er als zu einseitig zugunsten Russlands und als Aufruf zur Kapitulation der Ukraine empfunden wird. Auch wenn es in dem Entwurf heißt, die Ukraine würde als Staat weiter existieren, wäre das ein höchst labiler Reststaat der Ukraine.
Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Michael Zürn widerspricht die Vereinbarung nicht nur jeglichem Gerechtigkeitsempfinden, sondern stelle auch einen Angriff auf die regelbasierte Ordnung dar: „Wenn der Regelbruch Russlands nicht sanktioniert wird, sondern belohnt wird, heißt das, dass tatsächlich die territoriale Integrität der Nationalstaaten deutlich geschwächt wird.“
Kritik gibt es auch an der Art und Weise, wie der Plan entstanden ist – über die Köpfe der Europäer und der Ukraine hinweg. Zürn sieht darin auch den Niedergang des Multilateralismus, weil zwei Mächte – Russland und die USA – die unmittelbar Betroffenen nicht einbezogen haben.
Wie hat der ukrainische Präsident Selenskyj reagiert?
Nach Bekanntwerden des Plans richtete sich der ukrainische Präsident Selenskyj in einer außergewöhnlichen Ansprache an seine Landsleute. Jetzt könnte die Ukraine vor einer sehr schwierigen Wahl stehen, sagte er. „Entweder den Verlust unserer Würde oder das Risiko, unseren wichtigsten Partner zu verlieren.“
Die Ukraine will sich nun mit Vertretern der EU und der USA in Genf treffen, um über den neuen Friedensplan für die Ukraine zu beratschlagen.
In der ukrainischen Bevölkerung wird die russisch-amerikanische Initiative als Aufforderung zur Kapitulation wahrgenommen. Das sei für viele Menschen in der Ukraine jedoch unvorstellbar, auch wenn sie kriegsmüde seien und sich Frieden wünschten, so ARD-Korrespondentin Rebecca Barth.
Die Ukraine befindet sich zurzeit in einer schwierigen Situation. An der Front zeigen sich die massiven Personalprobleme der ukrainischen Streitkräfte immer deutlicher. Russland rückt langsam, aber stetig an mehreren Frontabschnitten vor. Gleichzeitig steht Präsident Selenskyj durch den massiven Korruptionsskandal innenpolitisch unter Druck. Das wird als günstige Gelegenheit für diesen Vorstoß gesehen.
Was bedeutet der Plan für die Europäische Union (EU)?
Der US-Plan wurde über die Köpfe der Europäer und der Ukraine hinweg entschieden. Europäische Politiker reagierten entsprechend überrascht. Deutschland und andere führende Unterstützer der Ukraine lehnen den Plan in dieser Form ab und fordern Änderungen.
Zuvor hatte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas die Beteiligung Kiews und Brüssels angemahnt. Ukrainer und Europäer müssten an Bord sein, damit jedweder Friedensplan funktioniere. Die EU verfolge einen einfachen Zwei-Punkteplan im Ukrainekrieg, so Kallas weiter: Russland schwächen und die Ukraine stärken.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bekräftigte am Rande des G20-Gipfels in Südafrika, dass es ohne die Zustimmung der Ukraine kein Ende des Krieges dort geben könne. „Kriege können nicht durch Großmächte über die Köpfe der beteiligten Länder hinweg beendet werden.“, sagte Merz. Eine Niederlage der Ukraine hätte Auswirkungen auf die gesamte europäische Politik und den europäischen Kontinent, so Merz.
Diese Gefahr sieht auch Politikwissenschaftler Michael Zürn. Der 28-Punkte-Plan bringe die Ukraine und ihre Partner in eine „enorm schwierige Lage“, sagte er im Deutschlandfunk. Sollte Russland die Ukraine in drei oder vier Jahren wieder angreifen, müssten die Europäer entscheiden, ob sie in den Krieg mit Russland treten oder nicht.
Wie könnte es nun weitergehen?
Bei den Verhandlungen in Genf werden hochrangige Vertreter der USA und der Ukraine erwartet. Sie wollen sich dafür starkmachen, dass die Interessen der Ukraine berücksichtigt werden. Der Chef des ukrainischen Sicherheitsrats, Rustem Umerow, kündigte in den sozialen Medien nach einem Bericht der Tagesschau an, dass dabei “über die mögliche Parameter eines künftigen Friedensabkommens” gesprochen werden soll. Die Ukraine gehe mit einem “klaren Verständnis ihrer Interessen in diesen Prozess”, schrieb Umerow.
Möglicherweise wird das Ganze ähnlich ablaufen wie zuletzt beim Rohstoffabkommen zwischen den USA und der Ukraine im Frühjahr diesen Jahres. Auch da gab es zunächst einen Vorschlag, der für die Ukraine völlig inakzeptabel war. Später gelang es, sich auf ein akzeptables Ergebnis zu einigen.
tha













