Bettina Klein: Wir haben heute morgen ausführlich darüber berichtet: Das ganz große Drama scheint abgewendet, ein Kompromiss im US-Schuldenstreit in Washington gefunden. Zumindest haben sich die Führer beider Parteien darauf geeinigt. Nun muss das Ganze noch die tatsächliche Zustimmung beider Kammern des Kongresses finden, und dies - so hoffen alle Protagonisten - wird der Fall sein bis spätestens morgen. Ich möchte darüber jetzt sprechen mit Frederick Kempe, er ist Präsident des Atlantic Council, ein Think Tank, eine Denkfabrik in Washington. Er war stellvertretender Chefredakteur des "Wallstreet Journal". Im Augenblick ist er als Autor unterwegs und deswegen in Deutschland, wo er sein vor wenigen Tagen auch auf Deutsch erschienenes Buch vorstellt: "Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt". Es geht um den Kalten Krieg und die Bedingungen, die zum Mauerbau führten - ein Ereignis, dessen wir natürlich in diesem Jahr, in diesen Wochen gedenken: 50 Jahre danach. Schönen guten Morgen, Herr Kempe!
Frederick Kempe: Schönen guten Morgen, Frau Klein!
Klein: Sie widmen einen guten Teil des Buches dem damaligen US-Präsidenten Kennedy - ein ebenso brillanter wie unerfahrener Politiker, so schreiben Sie -, ähnlich wie der amtierende, der im Augenblick eine innenpolitische Krise durchzustehen hat, die leicht weltpolitische Grenzen nach sich ziehen könnte, oder hätte nach sich ziehen können. Was für eine Figur hat Präsident Obama in den letzten Tagen und Wochen abgegeben?
Kempe: Nicht eine sehr gute. Er gibt die allgemeine Richtung vor, aber nur sehr grob. Andere bearbeiten, bekämpfen die Details, zum Beispiel Vizepräsident Biden hat sehr viel von diesem Kampf gemacht. Obama nennt das "Leading from behind", was ich für einen Widerspruch halte. Und bei Libyen macht er das Gleiche im Bezug auf NATO. Seine Feinde zuhause und woanders sehen das als Schwäche und Unentschiedenheit. Aber es kann gut sein, dass es politisch klug ist: Seine Zielgruppe im Wahlkampf 2012 werden Wähler der Mitte sein. Und diese Wähler werden, was gestern passiert ist, gestern Nacht passiert ist, begrüßen.
Klein: Ich weiß nicht, ob sie heute Morgen schon ein paar Zeitungen lesen konnten. Ich würde mit Ihnen gern über den einen oder anderen Satz sprechen, den ich gefunden habe. Ein Beispiel aus der Süddeutschen Zeitung: "Amerika hat keinen Platz für Versöhner - die besänftigende Art des Präsidenten wird inzwischen als Weichheit und Führungsschwäche interpretiert." Würden Sie da zustimmen, was die Vereinigten Staaten angeht?
Kempe: Ich weiß nicht, wer eigentlich mehr Schuld an der aktuellen Situation tragen sollte: Der Präsident oder die Tea Party. Der eine führt nicht ausreichend und die anderen möchten keine Kompromisse eingehen. Aber wie Winston Churchill mal so schön sagte: Amerika wird am Ende das Richtige tun, wenn es alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Was ich schlecht finde in Washington - ich habe viele Jahre in Washington verbracht, ab und zu -, ist, dass die Situation, schon polarisierter ist, als ich je erfahren habe oder erlebt habe. Die verschiedenen Parteien sind so weit auseinander gegangen. Aber die größte Partei des Landes sind die Unabhängigen geworden. Mehr als 40 Prozent der Wähler in Amerika sind unabhängig, die sind wütend. Und die wollen eigentlich, dass die Politiker eher zusammenkommen. So ist es eine ganz interessante politische Situation zurzeit im Lande.
Klein: Aber Sie sprechen auch von einer starken Polarisierung. Nun ist das relativ typisch für Amerika. Man könnte aber auch sagen: So stark polarisiert wie im Augenblick zumindest sich das in diesem Schuldenstreit dargeboten hat, war es noch nie. Würden Sie sagen, das ist eine bedenkliche Entwicklung, oder ist es etwas, was eben zu den Vereinigten Staaten auch dazugehört in der Tradition.
Kempe: Es gehört dazu, und Amerika auch pendelt. Aber in dieser Situation ... es gab immer in der Vergangenheit gute, persönliche Interaktion. Und die Abgeordneten zurzeit haben sehr wenig miteinander zu tun in Washington, gesellschaftlich zum Beispiel. In der Vergangenheit haben die ab und zu mal Golf gespielt oder die Kinder sind zusammen in die Klasse gegangen. Die haben auf jeden Fall einander gekannt. Und Kompromiss war nicht eine schlechte Sache, wie Sie vorher gesagt haben, ein Zeichen der Schwäche. Jetzt ist es ein Zeichen der Schwäche geworden, so ist es eine andere Situation, auch geschichtlich betrachtet.
Klein: Es scheint im Hintergrund auch um politische Grundsatzfragen zu gehen: Wie viel Regierung, wie viel Wohlfahrtsstaat soll es in Amerika noch geben? Eine Frage, die prinzipiell meist anders beantwortet wird als in Europa. Nun sagen manche, die Tea-Party-Bewegung geht weiter als jemals und droht die ganze Statik des Staatsgefüges zu verrücken, indem sie eben auch den Kollaps in Kauf nimmt und sich gegen jeden Kompromiss stellt. Ist es so bedrohlich?
Kempe: Ich glaube, es ist nicht so bedrohlich. Was stimmt, ist, dass die Republikaner gestern Nacht gewonnen haben. Sie haben die Debatte völlig verändert, geändert in den Staaten, und das ist natürlich von Tea Party gekommen. Es gibt auch eine sehr, sehr starke wirtschaftliche Unsicherheit in den Staaten. Neun, zehn Prozent Arbeitslosigkeit, wenig Wachstum, 1,3 Prozent im Quartal. Gewinne sind gestiegen bei Firmen, aber das kommt nicht mit Arbeitsstellen. Aber die meisten Amerikaner glauben nicht, dass Arbeitsstellen von der Regierung kommen. Und ich glaube, die Tea Party hat da verschiedene Unterstützung gewonnen. Und die Frage für mich ist, ob die Tea Party zu weit gegangen ist, und ob die Wähler auch 2012 die Tea Party absagen und zur Mitte gehen.
Klein: Weil sie zu weit gegangen seien?
Kempe: Ja, weil sie zu weit gegangen sind. Und wenn sie zur Mitte gehen, scheint es, dass Obama gute Chancen hat, weil die Republikaner immer noch nicht einen guten Kandidat gefunden haben, den die Mitte eigentlich vertreten kann.
Klein: Die oft beklagte Selbstblockade Washingtons, Herr Kempe, wurde auch in diesen Wochen wiederum beklagt: Viele Bürger in den USA haben ihrer Wut darüber Ausdruck verliehen, in den Blogs, bei Twitter und ähnlichen Plattformen. Eine Wut, die ja übrigens auch die Tea Party gespeist hat. Zeigt die Entwicklung der letzten Stunden aber nicht auch, dass sich eben doch etwas bewegen lässt?
Kempe: Ja, die haben sicher was bewegt, und die haben sicher was bewegt, was in Amerika immer sehr stark da war, und das ist ein Misstrauen der Regierung. Und die Regierung ist gewachsen, auch unter oder besonders unters George W. Bush. Die Republikaner betrachten das als eine ganz andere Situation, weil kaum in der Vergangenheit hat ein republikanischer Präsident ein so starkes Wachstum der Regierung beigebracht. Die Frage für mich ist: Was passiert mit diesen 40 Prozent der Wähler, die unabhängig sind? Kann Obama die gewinnen? Können die Republikaner die gewinnen? Oder gibt es eine echte Möglichkeit für eine dritte Partei?
Klein: In der "Presseschau" heute haben wir hier auch im Programm vom Deutschlandfunk Pressestimmen zitiert, die wirklich düster klangen beim Blick über den Atlantik. Eine Blamage sei nicht abgewendet, sondern die Vereinigten Staaten stünden nach diesem ganzen Hin und Her nach wie vor blamiert da. Man hat so ein bisschen den Eindruck, die USA stehen kurz vorm Abgrund. Wie würden Sie das Standing der Vereinigten Staaten in der Welt im Augenblick, in der Situation beschreiben?
Kempe: Ich bin auch der Meinung, dass, obwohl die drohende Zahlungsunfähigkeit abgewendet worden ist: Viel Schaden ist trotzdem angerichtet. Eine Menge Zuversicht in Amerika ist verloren gegangen, auch wenn die Ratingagenturen die USA nicht abstufen, haben die Chinesen und andere die Amerikaner schon abgestuft. Und sie suchen andere Alternativen für Investments von Dollar, und die suchen solche Alternativen sehr intensiv. Ich glaube, dieser Schaden ist nicht nur kurzfristig, er ist längerfristig, und es ist eine Doppelkrise des Westens, wenn man die Krise der Eurozone da mit einzieht.
Klein: Die Einschätzung von Fred Kempe, Autor und Präsident des Atlantic Council. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Kempe!
Kempe: Danke schön, Frau Klein!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Frederick Kempe: Schönen guten Morgen, Frau Klein!
Klein: Sie widmen einen guten Teil des Buches dem damaligen US-Präsidenten Kennedy - ein ebenso brillanter wie unerfahrener Politiker, so schreiben Sie -, ähnlich wie der amtierende, der im Augenblick eine innenpolitische Krise durchzustehen hat, die leicht weltpolitische Grenzen nach sich ziehen könnte, oder hätte nach sich ziehen können. Was für eine Figur hat Präsident Obama in den letzten Tagen und Wochen abgegeben?
Kempe: Nicht eine sehr gute. Er gibt die allgemeine Richtung vor, aber nur sehr grob. Andere bearbeiten, bekämpfen die Details, zum Beispiel Vizepräsident Biden hat sehr viel von diesem Kampf gemacht. Obama nennt das "Leading from behind", was ich für einen Widerspruch halte. Und bei Libyen macht er das Gleiche im Bezug auf NATO. Seine Feinde zuhause und woanders sehen das als Schwäche und Unentschiedenheit. Aber es kann gut sein, dass es politisch klug ist: Seine Zielgruppe im Wahlkampf 2012 werden Wähler der Mitte sein. Und diese Wähler werden, was gestern passiert ist, gestern Nacht passiert ist, begrüßen.
Klein: Ich weiß nicht, ob sie heute Morgen schon ein paar Zeitungen lesen konnten. Ich würde mit Ihnen gern über den einen oder anderen Satz sprechen, den ich gefunden habe. Ein Beispiel aus der Süddeutschen Zeitung: "Amerika hat keinen Platz für Versöhner - die besänftigende Art des Präsidenten wird inzwischen als Weichheit und Führungsschwäche interpretiert." Würden Sie da zustimmen, was die Vereinigten Staaten angeht?
Kempe: Ich weiß nicht, wer eigentlich mehr Schuld an der aktuellen Situation tragen sollte: Der Präsident oder die Tea Party. Der eine führt nicht ausreichend und die anderen möchten keine Kompromisse eingehen. Aber wie Winston Churchill mal so schön sagte: Amerika wird am Ende das Richtige tun, wenn es alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Was ich schlecht finde in Washington - ich habe viele Jahre in Washington verbracht, ab und zu -, ist, dass die Situation, schon polarisierter ist, als ich je erfahren habe oder erlebt habe. Die verschiedenen Parteien sind so weit auseinander gegangen. Aber die größte Partei des Landes sind die Unabhängigen geworden. Mehr als 40 Prozent der Wähler in Amerika sind unabhängig, die sind wütend. Und die wollen eigentlich, dass die Politiker eher zusammenkommen. So ist es eine ganz interessante politische Situation zurzeit im Lande.
Klein: Aber Sie sprechen auch von einer starken Polarisierung. Nun ist das relativ typisch für Amerika. Man könnte aber auch sagen: So stark polarisiert wie im Augenblick zumindest sich das in diesem Schuldenstreit dargeboten hat, war es noch nie. Würden Sie sagen, das ist eine bedenkliche Entwicklung, oder ist es etwas, was eben zu den Vereinigten Staaten auch dazugehört in der Tradition.
Kempe: Es gehört dazu, und Amerika auch pendelt. Aber in dieser Situation ... es gab immer in der Vergangenheit gute, persönliche Interaktion. Und die Abgeordneten zurzeit haben sehr wenig miteinander zu tun in Washington, gesellschaftlich zum Beispiel. In der Vergangenheit haben die ab und zu mal Golf gespielt oder die Kinder sind zusammen in die Klasse gegangen. Die haben auf jeden Fall einander gekannt. Und Kompromiss war nicht eine schlechte Sache, wie Sie vorher gesagt haben, ein Zeichen der Schwäche. Jetzt ist es ein Zeichen der Schwäche geworden, so ist es eine andere Situation, auch geschichtlich betrachtet.
Klein: Es scheint im Hintergrund auch um politische Grundsatzfragen zu gehen: Wie viel Regierung, wie viel Wohlfahrtsstaat soll es in Amerika noch geben? Eine Frage, die prinzipiell meist anders beantwortet wird als in Europa. Nun sagen manche, die Tea-Party-Bewegung geht weiter als jemals und droht die ganze Statik des Staatsgefüges zu verrücken, indem sie eben auch den Kollaps in Kauf nimmt und sich gegen jeden Kompromiss stellt. Ist es so bedrohlich?
Kempe: Ich glaube, es ist nicht so bedrohlich. Was stimmt, ist, dass die Republikaner gestern Nacht gewonnen haben. Sie haben die Debatte völlig verändert, geändert in den Staaten, und das ist natürlich von Tea Party gekommen. Es gibt auch eine sehr, sehr starke wirtschaftliche Unsicherheit in den Staaten. Neun, zehn Prozent Arbeitslosigkeit, wenig Wachstum, 1,3 Prozent im Quartal. Gewinne sind gestiegen bei Firmen, aber das kommt nicht mit Arbeitsstellen. Aber die meisten Amerikaner glauben nicht, dass Arbeitsstellen von der Regierung kommen. Und ich glaube, die Tea Party hat da verschiedene Unterstützung gewonnen. Und die Frage für mich ist, ob die Tea Party zu weit gegangen ist, und ob die Wähler auch 2012 die Tea Party absagen und zur Mitte gehen.
Klein: Weil sie zu weit gegangen seien?
Kempe: Ja, weil sie zu weit gegangen sind. Und wenn sie zur Mitte gehen, scheint es, dass Obama gute Chancen hat, weil die Republikaner immer noch nicht einen guten Kandidat gefunden haben, den die Mitte eigentlich vertreten kann.
Klein: Die oft beklagte Selbstblockade Washingtons, Herr Kempe, wurde auch in diesen Wochen wiederum beklagt: Viele Bürger in den USA haben ihrer Wut darüber Ausdruck verliehen, in den Blogs, bei Twitter und ähnlichen Plattformen. Eine Wut, die ja übrigens auch die Tea Party gespeist hat. Zeigt die Entwicklung der letzten Stunden aber nicht auch, dass sich eben doch etwas bewegen lässt?
Kempe: Ja, die haben sicher was bewegt, und die haben sicher was bewegt, was in Amerika immer sehr stark da war, und das ist ein Misstrauen der Regierung. Und die Regierung ist gewachsen, auch unter oder besonders unters George W. Bush. Die Republikaner betrachten das als eine ganz andere Situation, weil kaum in der Vergangenheit hat ein republikanischer Präsident ein so starkes Wachstum der Regierung beigebracht. Die Frage für mich ist: Was passiert mit diesen 40 Prozent der Wähler, die unabhängig sind? Kann Obama die gewinnen? Können die Republikaner die gewinnen? Oder gibt es eine echte Möglichkeit für eine dritte Partei?
Klein: In der "Presseschau" heute haben wir hier auch im Programm vom Deutschlandfunk Pressestimmen zitiert, die wirklich düster klangen beim Blick über den Atlantik. Eine Blamage sei nicht abgewendet, sondern die Vereinigten Staaten stünden nach diesem ganzen Hin und Her nach wie vor blamiert da. Man hat so ein bisschen den Eindruck, die USA stehen kurz vorm Abgrund. Wie würden Sie das Standing der Vereinigten Staaten in der Welt im Augenblick, in der Situation beschreiben?
Kempe: Ich bin auch der Meinung, dass, obwohl die drohende Zahlungsunfähigkeit abgewendet worden ist: Viel Schaden ist trotzdem angerichtet. Eine Menge Zuversicht in Amerika ist verloren gegangen, auch wenn die Ratingagenturen die USA nicht abstufen, haben die Chinesen und andere die Amerikaner schon abgestuft. Und sie suchen andere Alternativen für Investments von Dollar, und die suchen solche Alternativen sehr intensiv. Ich glaube, dieser Schaden ist nicht nur kurzfristig, er ist längerfristig, und es ist eine Doppelkrise des Westens, wenn man die Krise der Eurozone da mit einzieht.
Klein: Die Einschätzung von Fred Kempe, Autor und Präsident des Atlantic Council. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Kempe!
Kempe: Danke schön, Frau Klein!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.