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Vor 100 Jahren geboren
Der Jazzsaxofonist Illinois Jacquet

Sein Solo über Lionel Hamptons "Flying Home" machte ihn berühmt: Illinois Jacquets Improvisation war so gelungen, dass andere große Saxofonisten es Note für Note nachspielten. Seine Popularität nutzte er, um gegen die Rassentrennung zu protestieren.

Von Karl Lippegaus | 31.10.2022
Porträt von Illinois Jacquet, aufgenommen 1947 in New York
Porträt von Illinois Jacquet, aufgenommen 1947 in New York (Imago / UIG)

I heard the white musicians playing dixieland and I heard the black musicians playing jazz.

Illinois Jacquet
„Ich erlebte die Count Basie Band, als ich in Houston zur Highschool ging. Sie rückten an mit den Saxofonisten Herschel Evans und Lester Young. Danach musste ich in ein Saxofon blasen. Das war 1939, in meinem letzten Schuljahr - ein Wendepunkt in meinem Leben.“
Sieben Jahre später kam Illinois Jacquet selbst in die Basie-Band, als Ersatz für sein Idol Lester Young. Sein kurzes, tiefes Röhren - „honking“ nennen es die Jazzmusiker, und die Vorstöße in den Altissimo-Bereich, die spitzen Schreie, das „screeching“ – brachten Jacquets Horn zum Singen. Der Tonumfang erweiterte sich um zweieinhalb Oktaven. In dem Kurzfilm „Texas Tenor“ ist zu sehen, wie er diesen Ton mit allen Gesichtsmuskeln formt.

Mit drei Jahren Auftritte in der Band des Vaters

Als er merkte, dass er für sein Solo mehr Applaus bekam als das Orchester, gründete er seine eigene Band. Dass er zu den Giganten des Jazzsaxofons zählt, steht heute außer Zweifel.
Jean Battiste "Illinois" Jacquet wurde am 31. Oktober 1922 in der Nähe von New Orleans geboren, als eines von sechs Kindern eines Kreolen mit einer Indigenen vom Stamm der Sioux. Ein paar Monate später zog die Familie nach Houston, Texas. Mit drei Jahren trat Jean als Stepptänzer vor der Band des Vaters auf. Nat "King" Cole empfahl ihn an den Bandleader Lionel Hampton.
lllinois Jacquet, Tommy Dorsey, Ziggy Elman, Buddy Rich, Artie Shaw und Lionel Hampton am Vibraphon (v.l.n.r.) bei einem Auftritt 1945
lllinois Jacquet (l.) mit Lionel Hampton am Vibraphon (r.) bei einem Auftritt 1945 (imago images / Courtesy Everett Collection)
Seinen Weltruhm verdankt Jacquet dem hitzigen Solo in „Flying Home“, 1942 aufgenommen. Jeden Abend musste er es bis zu drei, vier Mal live wiederholen.

Etwas kam über mich. Alles lief zusammen in dem Moment.

And that’s when I made a switch in 1940 and recorded ‚Flyin‘ Home‘ on tenor saxofone, which was my introduction into the world of Jazz. …

Es war mein Eintritt in die Welt des Jazz.

Illinois Jacquet

"Flying Home": Improvisations-Glanzleistung mit 19 Jahren

64 Takte improvisiert er über der Melodie - eine Glanzleistung des 19-Jährigen. Viele junge Saxofonisten mussten dieses Solo lernen. Kinder auf der Straße summten es. "Flying Home" ist wie eine Vorahnung auf das Tenorsaxofon im Rock’n’Roll.
Man hörte ihm an, dass er mit einem Bein noch in einem Tanzorchester stand, mit dem anderen in der Moderne. Und da war sein untrüglicher Sinn für den Aufbau eines Solos. Der lässige Swing von Lester Young kombiniert mit dem rauen, heiseren Ton aus Texas.

Mit "Jazz at the Philharmonic" gegen die Rassentrennung

Illinois Jacquets überragendes Können wurde von den Kritikern lange ignoriert. Frustriert vom Rassismus im Süden, zog er an die Westküste und fand Jobs in den Nachtlokalen von Hollywood. Der Promoter Norman Granz engagierte ihn 1944 für die ersten Konzerte seiner Serie "Jazz at the Philharmonic" - eine wirksame Waffe gegen die Rassentrennung: gemischte Besetzung vor Tausenden von Fans.

Wir streben immer ein spontanes Feeling an, als wär’s überhaupt nicht arrangiert.

Illinois Jacquet
Die Gage ließ er sich nur bar auszahlen und schleppte immer einen Koffer nur mit Dollarnoten mit sich herum.

Ermüdend war nur, jeden Abend woanders aufzutreten, einmal sogar vierzig Mal hintereinander!

Illinois Jacquet

Erster Jazzmusiker an der Harvard Universität

Die Wirtschaftskrise nach dem Krieg ließ die Big Bands im Jazz verschwinden; dann spielte er mal mit einem Quartett oder kam mit einem Orgel-Trio auf die Bühne. Das ansteckend swingende „Jivin‘ with Jack the Bellboy” schrieb er für einen Radio-DJ.
Der Jazzsaxofonist Illinois Jacquet (l.) bei einem Auftritt mit dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton (M.) und Joshua Redman am 18. Juni 1993 auf dem Newport Jazz Festival
Der Jazzsaxofonist Illinois Jacquet (l.) bei einem Auftritt mit dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton (M.) und Joshua Redman am 18. Juni 1993 auf dem Newport Jazz Festival (picture alliance / AP Photo/ Marcy Nighswander)
An über 190 Platten-Sessions nahm Illinois Jacquet teil, siebzig unter eigenem Namen. Noch in den 1980er Jahren leitete er eine eigene Bigband. Als erster Jazzmusiker gab er Gastvorlesungen an der Harvard Universität und spielte vor drei US-Präsidenten. Illinois Jacquet starb am 22. Juli 2004 mit 81 Jahren.