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Caritas-Gründung 1897
Von kleinen Einzelinitiativen zum größten Wohlfahrtsverband Deutschlands

„Helfen aus Liebe zum Menschen - und aus Liebe zu Gott.“ - Das ist das Leitbild des größten Wohlfahrtsverbands in Deutschland. Bei seiner Gründung vor 125 Jahren war der Caritasverband allerdings nicht nur christlich und sozial orientiert.

Von Matthias Bertsch | 09.11.2022
Das Logo der Caritas, des Deutschen Caritasverbandes, hängt an einer Hauswand. Die Caritas ist ein Wohlfahrtsverband der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. Er ist als eingetragener Verein organisiert.
Der Deutsche Caritasverband, gegründet am 9. November 1897, ist heute der größte Wohlfahrtsverband in der Bundesrepublik (picture alliance / dpa / Alexandra Schuler)
„Die auf dem Gebiete der christlichen Wohltätigkeit seit einigen Jahren in Deutschland neuerwachten Bestrebungen einer zeitgemäßen, planmäßigen Förderung der Werke der Nächstenliebe sind nicht ohne Anerkennung und Erfolge geblieben.“
Mit diesen Worten beginnt der Aufruf zur Gründung eines Caritasverbandes, der im März 1897 in der „Caritas. Zeitschrift für die Werke der Nächstenliebe im katholischen Deutschland“ veröffentlicht wurde. Unter dem Motto: „Thut Gutes allen, aber besonders den Glaubensgenossen“, versuchten Katholiken, das Elend in der Folge der Industrialisierung zu bekämpfen – und zugleich der klassenkämpferischen Sozialdemokratie etwas entgegenzusetzen.

Organisierte "katholische Liebestätigkeit"

Vorläufer des Caritasverbandes war der Verein „Arbeiterwohl“, so die Straßburger Historikerin und Caritas-Expertin Catherine Maurer: „Das war ein Verein von Eliten, von Geistlichen und Laien, der wurde in Mönchengladbach 1880 gegründet, und die haben sich überlegt, wie man die katholische Liebestätigkeit, wie man damals sagte, besser organisieren konnte."
Neben den Arbeitern galt die Sorge der engagierten Männer und Frauen auch den sogenannten gefallenen Mädchen - alleinstehenden Frauen mit Kindern oder Prostituierten - sowie den Armen allgemein. Eine wichtige Rolle spielten dabei die 1845 gegründeten Vinzenz-Konferenzen, ein Zusammenschluss karitativ tätiger katholischer Laien. Catherine Maurer: „Sie haben direkt die armen Familien besucht in ihren Wohnungen und Hilfen gebracht, also nicht so oft Geld, weil Geld konnte für Trinken zum Beispiel gespendet werden, aber sie haben zum Beispiel Kleider, sie haben auch Holz für Heizung zum Beispiel gebracht zu diesen Familien.“

Im Ersten Weltkrieg als "kriegswichtig" anerkannt

Am 9. November 1897 wurde auf dem Caritastag in Köln der Deutsche Caritasverband ins Leben gerufen. Er sollte aus den vielen Einzelinitiativen eine „geordnete friedliche Schlachtreihe“ machen, so nannte es Gründungspräsident Lorenz Werthmann. Der katholische Priester und unermüdliche Streiter für die Menschen am Rand der Gesellschaft war ein Mann seiner Zeit, betont Maurer: „Das heißt, dass er eine paternalistische und nationalistische Haltung gehabt hat, zum Beispiel während des Ersten Weltkrieges, als er einen vaterländischen Vortrag am
27. September 1914 hielt und sagte: 'Wir Deutschen sind unter den Hammerschlägen des gegenwärtigen Krieges zu einem einzigen eisenharten Volke geschmiedet worden.'
Den hehren Worten folgten praktische Taten: „Werthmann hatte eine spezielle Auskunftsstelle in Freiburg gegründet, also speziell für die Soldaten und die Familien, und natürlich war diese Arbeit auch sehr gut für das Ansehen der katholischen Kirche in Deutschland, durch seine Arbeit wurde der Caritasverband auch vom deutschen Staat selbst als kriegswichtig anerkannt.“
Nachdem manche Bischöfe den Caritasverband zunächst kritisch beäugt hatten, weil sie darin eine unerwünschte Parallelhierarchie sahen, führte seine Aufwertung im Krieg dazu, dass die Bischofskonferenz den Verband 1916 als Dachorganisation der Diözesanverbände anerkannte.

Keine Auseinandersetzung mit eigener NS-Geschichte

In der Weimarer Republik war der Caritasverband bereits ein zentraler Akteur im Bereich der Wohlfahrtspflege. Das blieb auch so, als Hitler an die Macht kam. Das bis heute gültige Reichskonkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom Juli 1933 garantierte den Fortbestand des katholischen Verbandes und setzte ihm zugleich klare Grenzen.
Das Dankesschreiben klang euphorisch: „Mit aufrichtigem Dank gegen Gott beglückwünschen wir die Reichsregierung zum erfolgreichen Abschluß des Konkordates und geloben allzeit treueste Pflichterfüllung im Dienste der Notleidenden unseres heißgeliebten Volkes.“ Eine umfassende kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus fehlt bis heute.

Fast 700.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Inzwischen ist der Caritasverband der größte Wohlfahrtsverband in Deutschland. Die fast 700.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - über 80 Prozent sind Frauen - arbeiten in rund 25.000 Einrichtungen von der Altenpflege über die Flüchtlingshilfe bis zur Online-Suizidprävention für junge Menschen. So unterschiedlich die Projekte auch sind, der Grundgedanke folgt nach wie vor dem christlichen Leitbild: „Helfen aus Liebe zum Menschen – und aus Liebe zu Gott.“