Mittwoch, 24. April 2024

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Museum vor 125 Jahren eröffnet
Die Tate Britain möchte britische Kunst neu definieren

Die Tate Britain hält die umfangreichste Sammlung britischer Kunst weltweit. Das Haus wird 125 Jahre alt und geht dabei mit der Zeit. Man wolle eine "sehr internationale Definition von Britishness" zeigen, sagt Ausstellungsdirektorin Andrea Schlieker.

Von Ruth Rach | 21.07.2022
Das Museum mit einer knallbunten Installation von Chila Kumari Singh Burman
Die Künstlerin Chila Kumari Singh Burman, in Liverpool geboren, mit Wurzeln im Punjab, gestaltete 2020 die neoklassizistische Fassade der Tate Britain in eine knallbunte Installation im Stil von Bollywood um (picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Matt Dunham)
Eine ausladende Treppe führt zu einer mächtigen korinthischen Säulenhalle, darüber auf einem breiten Dreiecksgiebel steht die Figur von Britannia: in ihrer Hand der Dreizack des Meeresgottes, zu ihrer Seite Löwe und Einhorn, die Wappenträger für England und Schottland. Die Tate Britain, ein neoklassizistisches Museum an der Themse, im Londoner Stadtteil Pimlico, von dem spätviktorianischen Architekten Sidney Smith gebaut und am 21. Juli 1897 eröffnet. Ursprünglich als National Gallery of British Art. Mit acht Räumen und 245 Kunstwerken.

Zahlreiche bedeutende Kunstwerke

Heute besitzt das Museum viele tausende von Werken. Keine Galerie der Welt hat eine so umfangreiche Sammlung britischer Kunst, sagt Andrea Schlieker, Ausstellungsdirektorin der Tate Britain, auf die Frage nach den bekanntesten Exponaten:
“Oh so viele, also von wunderbaren Nicholas Hilliard-Miniaturen bis zu diesem herrlichen Porträt der Chomeley Sisters aus der britischen Schule von 1580, bis hin zu wunderbaren Hogarth Gemälden, natürlich Turner, aber auch aus der eher zeitgenössischen Kunst, zum Beispiel Hockneys ‘Bigger Splash’, das berühmte Swimmingpool-Bild, wie auch Arbeiten von Rachel Whiteread oder der Künstlerin Cornelia Parker, die wir im Augenblick hier gerade ausstellen.”
Eine Besucherin des Tate Britain betrachtet Fotografien von Don McCullin.
Das heutige Museum Tate Britain wurde am 21. Juli 1897 als National Gallery of British Art eröffnet (picture alliance/AP Photo/Matt Dunham)

Zuckermillionär als Mäzen

Der Bau des Museums wurde von Sir Henry Tate finanziert, einem Zuckermillionär aus dem Norden Englands – Mäzen, Philanthrop und leidenschaftlicher Kunstsammler.
“Henry Tate hatte 65 Gemälde der Präraffaeliten gesammelt, darunter auch das berühmte Bild von ‘Ophelia von Millais’ oder ‘Lady of Shallot’ von Waterhouse und diesen Schatz der Nationalgalerie in London angeboten. Aber der Vorstand der Nationalgalerie hat das abgelehnt, weil einfach nicht genug Platz war. Das war 1889, und deshalb wurde beschlossen, ein neues Museum zu bauen. Und zwar hier in Pimlico, das war ursprünglich ein Gefängnis, von dem die Gefangenen aus nach Australien transportiert wurden. Dieses Gefängnis war 1890 abgerissen und 1897 wurde dann das Museum eröffnet mit der Schenkung von Henry Tate", sagt Schlieker.
Obwohl die Tate Britain immer wieder erweitert wurde, ging ihr schließlich der Platz aus. Im Jahr 2000 wurde die Tate Gallery of Modern Art eröffnet, ein spektakulärer Bau am Südufer der Themse.
“Und in dem Augenblick wurde eine Spaltung nicht nur des Namens, sondern auch der Sammlung eingeführt. Das neue Museum wurde dann Tate Modern und das Mutterschiff sozusagen wurde Tate Britain, und die Heimat britischer Kunst ist hier in Tate Britain", sagt Schlieker.

Britische Kunst soll nicht vom Pass abhängen

Aber was ist eigentlich unter britischer Kunst zu verstehen?
Schlieker: "Wir möchten den Begriff britisch ausdehnen, dass nicht nur Künstler, die einen britischen Pass haben und hier leben, sondern auch die Künstler, die eingewandert sind, und das geht vom 15. Jahrhundert an bis heute, dass diese Künstler mit eingeschlossen werden, also eine sehr internationale Definition von Britishness."
Die Aufarbeitung der britischen Kolonialgeschichte ist für die Tate Britain ein Thema und hat auch Fragen zur Person des Gründers Henry Tate aufgeworfen: hatte er seine Zuckermillionen etwa durch Sklavenarbeit erworben …?
Schlieker: "Die Sklaverei in England wurde 1833 abgeschafft. Da war Henry Tate 14. Er hat selber, und wir haben zusammen geforscht mit dem University College London und wirklich genau versucht zu überprüfen, ob es da Verbindungen zur Sklaverei gibt. Also, er selber hat nie Sklaven besessen, aber natürlich ist der Zucker, den er auch von der Karibik erworben hat, da wurde ja der Zucker angebaut … ursprünglich sind das natürlich Sklavenplantagen gewesen.”
Ein besonders anschauliches Zeichen für das neue Selbstverständnis der Tate Britain setzte die Künstlerin Chila Kumari Singh Burman, in Liverpool geboren, mit Wurzeln im Punjab. Im Winter 2020 verwandelte sie die neoklassizisische Fassade der Tate Britain in eine knallbunte Installation im Stil von Bollywood. Und ganz oben von dem Dreiecksgiebel blickte vorübergehend nicht mehr die Figur von Britannia herab, sondern die Hindu Gottheit Kali, Symbol für weibliche Kraft, Erneuerung – und Zerstörung.