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Vor 60 Jahren
Präsident François Duvalier tritt auf Haiti sein Amt an

Als François Duvalier im September 1957 zum Präsidenten Haitis gewählt wurde, war dies ein Moment der Hoffnung für den bitterarmen Karibikstaat. Doch der Landarzt und Voodoo-Anhänger etablierte bald eine beispiellose Schreckensherrschaft. Bis heute hat sich das Land vom Aderlass der Diktatur nicht erholt.

Von Hans Christoph Buch | 22.10.2017
    Undatierte Aufnahme des haitianischen Präsidenten und Diktators Francois Duvalier, genannt "Papa Doc"(hinten), mit seinem Sohn und Amtsnachfolger Jean-Claude Duvalier, genannt "Baby Doc".
    Francois Duvalier wurde 1957 zum Präsidenten von Haiti gewählt und erklärte sich 1964 zum Präsidenten auf Lebenszeit (picture-alliance / dpa / AFP)
    "Meine Regierung, die am 22. Oktober 1957 angetreten ist, hat eine harte Politik der moralischen Strenge in Angriff genommen. Wir müssen die haitianische Mentalität ändern, wir müssen sie verbessern. Wir brauchen eine neue Moral, eine Revolution der haitianischen Mentalität."
    Verkündete François Duvalier, der im September 1957 mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt worden war. Zunächst ein Hoffnungsträger für den kleinen Inselstaat. Denn zwei Jahrzehnte lang hatten US-Marines Haiti besetzt, die bei ihrem Abzug zwar geordnete Staatsfinanzen, Straßen, Brücken, Schulen und Hospitäler hinterließen, aber auch Hass auf die rassistisch auftretende Besatzungsmacht.
    Renaissance des Voodoo-Kults
    Ein ungewollter Effekt der US-Okkupation war die Rückbesinnung haitianischer Intellektueller auf ihre afrikanischen Wurzeln und die Renaissance des Voodoo-Kults. In dieser Zeit trat François Duvalier mit wirren Reden und Artikeln hervor, in denen er der hellhäutigen Oberschicht den Kampf ansagte, bevor er mit einem Stipendium der verhassten Besatzungsmacht in Michigan Medizin studierte. Er lernte gebrochen Englisch, fiel im Examen durch und stieg nach dem Krieg zum Staatssekretär und Gesundheitsminister auf. Wahlbeobachter gaben dem Außenseiter keine Chance, denn seine Mitbewerber stammten aus einflussreichen Familien, waren glänzende Redner und kannten die Fallstricke der haitianischen Politik. Aber sie hatten sich geirrt.
    Duvalier spielte die Konkurrenten geschickt gegeneinander aus, indem er seine Anhänger mobilisierte und streikenden Geschäftsleuten die Läden plündern ließ. Aus diesen Schlägertrupps ging später, nachdem er die Armee entmachtet hatte, die der SA nachempfundene Miliz des Duvalier-Regimes hervor, besser bekannt unter dem Namen Tonton Macoute, zu deutsch Knecht Ruprecht oder Knüppel aus dem Sack. Die "Freiwilligen der nationalen Sicherheit", wie sie offiziell hießen, in der Mehrzahl Slumbewohner und landlose Bauern, durften ungestraft stehlen, morden und vergewaltigen. Dazu der haitianische Intellektuelle und Religionssoziologe Laennec Hurbon:
    "Wir hatten eine Diktatur, die ihre vermeintlichen Gegner bereits im Voraus verfolgte - brutal, erbarmungslos und ohne jede Erklärung. Das zentrale Foltergefängnis Fort Dimanche war ein Ort der Entmenschlichung. Tausende sind dort verschwunden. Es genügte, verdächtig zu sein, oder mit einem Verdächtigen in irgendeiner Verbindung zu stehen, um gewalttätig verfolgt, erschossen oder lebenslang eingekerkert zu werden."
    Präsident auf Lebenszeit
    Auf den Exodus der Opposition folgte die Abwanderung der Ärzte, Anwälte, Architekten und Ingenieure - von 750 in Haiti ausgebildeten Ärzten blieben nur 250 im Land. Als Kennedy ihm die Militärhilfe strich, wies "Papa Doc", wie Duvalier genannt wurde, den US-Botschafter aus und ließ sich 1964 von auf Lastwagen herangekarrten Bauern zum Staatschef auf Lebenszeit ausrufen. Laennec Hurbon:
    "Auch Voodoo-Priester waren Teil der Tonton Macoute-Miliz. Sie kannten Leute, die Informationen darüber sammeln konnten, wie wer über den Präsidenten sprach, und zwar bis in den letzten Winkel des Landes. Neben Duvalier konnte keine staatliche Institution, ob Armee oder Kirche, bestehen, es gab keinerlei Zivilgesellschaft."
    Als die Kirche Duvalier ausstieß, schloss er ein Konkordat mit dem Vatikan und erhielt so das Recht, Bischöfe und Priester zu ernennen, die bis heute an Haitis Schulen unterrichten.
    "Die Republik Haiti wurde seit der Unabhängigkeit 1804 kritisiert. Warum? Das hat mit unserer Rasse zu tun. … Heute wird das haitianische Volk von einem Intellektuellen regiert, der die Ziele und Bedürfnisse dieser Rasse kennt. Diese Führung hat viel Zeit darauf verwendet, eine nationale und rassische Doktrin zu erarbeiten, die wir den Duvalierismus nennen."
    "Papa Doc" starb 1971, nachdem er seinen Sohn Jean-Claude zum Nachfolger ernannt hatte. "Baby Doc" regierte Haiti bis zu seinem Sturz 1986 ebenso diktatorisch wie der Vater. Vom Weggang qualifizierter Kader, der Knebelung der Opposition und der Ermordung Zehntausender hat sich das heruntergewirtschaftete Land nach der Herrschaft des Duvalier-Clans nie mehr erholt.