Donnerstag, 18. April 2024

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Vor 75 Jahren: Hochschule am Bogensee eröffnet
Die FDJ-Kaderschmiede neben der Goebbels-Villa

Am Bogensee nördlich von Berlin richtete die DDR-Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend eine Hochschule für ihren Funktionärsnachwuchs ein. Am 22. Mai 1946 begann der erste Lehrgang. Später kamen jährlich hunderte Teilnehmer, zunehmend auch aus den "Bruderstaaten".

Von Otto Langels | 22.05.2021
    Die ehemalige FDJ-Hochschule am Bogensee, nördlich von Berlin (Archivbild von 1998)
    Die ehemalige FDJ-Hochschule am Bogensee nördlich von Berlin (Archivbild von 1998) (www.imago-images.de)
    "Die Freie Deutsche Jugend hat sich zur Aufgabe gestellt, die deutsche Jugend zu einigen und die Voraussetzungen für einen Aufstieg des deutschen Volkes nach den Jahren des wirtschaftlichen, politischen und moralischen Zusammenbruchs zu schaffen."
    Erich Honecker, erster Vorsitzender der Freien Deutschen Jugend. Die FDJ, Anfang 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone als antifaschistische Jugendorganisation gegründet, eröffnete kurz darauf am Bogensee nördlich von Berlin eine "Zentralschule". In idyllischer Lage mitten im Wald stand die ehemalige Villa des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels, ein komfortabler Landsitz mit 30 Zimmern auf 1600 m²; mit großem Empfangsraum, Kinosaal, Gästehaus und eigenem Wasserwerk.

    Zunächst eine pluralistische Fassade

    In dieses Goebbels-Anwesen zog die Zentralschule ein und nahm am 22. Mai 1946 den Unterricht auf. Teilnehmer des ersten Lehrgangs war der damals 17-jährige Hermann Weber, später einer der bekanntesten westdeutschen Kommunismus-Forscher.
    "Die Atmosphäre schien zunächst doch recht ordentlich, liberal, die Referenten kamen aus verschiedenen politischen Lagern."
    (dpa files) - The youth association of the Soviet zone of occupation celebrates the founding of the FDJ (Freie Deutsche Jugend/free German youth) in the Soviet sector of Berlin, 8 November 1947. The banner on the wall reads 'Die Jugend kaempft fuer den Frieden!' (the youth fights for peace!). The FDJ was admitted on 7 March 1946 in the Soviet sector. After the founding of the German Democratic Republic in 1949 the FDJ was the only admitted association for teenagers from the age of 14. Its task was to educate the youth politically and ideologically.
    DDR-Geschichte - Die Gründung der FDJ vor 75 Jahren
    Am 7. März 1946 wurde die Freie Deutsche Jugend (FDJ) gegründet. Der Jugendverband sollte später in der DDR zum Vorzeigeprojekt werden, zeitweise waren rund 80 Prozent aller 14- bis 25-Jährigen darin organisiert. In Ostdeutschland gibt es sie heute noch, allerdings mit einer überschaubaren Mitgliederzahl.
    Organisationen der Arbeiterbewegung schickten jeweils einige Dutzend Jugendliche zu zweimonatigen, später einjährigen Lehrgängen an den Bogensee. Nach den Erfahrungen der NS-Zeit wollte man jungen Menschen wie Herbert Häber liberale und demokratische Werte, aber auch rhetorische Fähigkeiten für ihre politische Arbeit vermitteln:
    "Diese Schule, obwohl sie Schule der Freien Deutschen Jugend hieß, stand unter Vier-Mächte-Aufsicht. Und dann sind regelmäßig die Jugendoffiziere des Kontrollrats Berlin erschienen, ob wir auch zu guten Demokraten erzogen werden."

    Auf SED-Kurs getrimmt

    Die Schüler der FDJ-Jugendhochschule, wie sie bald hieß, kamen zunächst aus ganz Deutschland, Hermann Weber z. B. aus Mannheim. Er stellte jedoch schnell fest, dass hinter der demokratisch-pluralistischen Fassade der Führungsanspruch der SED unter Walter Ulbricht stand.
    "Es war schon der Versuch, nach außen offen eine Einheitsjugendorganisation zu präsentieren, aber – wie Ulbricht das in anderem Zusammenhang sagte - doch alles fest in der Hand zu haben."
    Mit der Zuspitzung des Ost-West-Konflikts schärfte die Hochschule ihr Profil. Sie avancierte zu einer politischen Kaderschmiede für den Funktionärsnachwuchs der DDR. Auf dem Lehrplan standen nunmehr die Grundlagen des Marxismus-Leninismus, so Herbert Häber:
    "Da wurden auf einmal andere Festlegungen getroffen, wer dort hinkommt, und damit auch, welche Rolle die Schule zu spielen hat: Schluss mit diesem Demokratismus."

    Auftrag, "den wissenschaftlichen Sozialismus zu lehren."

    1950 erschien der Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, persönlich, um die Umbenennung der Schule vorzunehmen. Sie hieß fortan: "Jugendhochschule Wilhelm Pieck, Zentralschule der Freien Deutschen Jugend. Und Pieck machte deutlich, was er hier erwartete:
    "Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen wollen wir beseitigen. Darum gilt es, auf den Schulen der Freien Deutschen Jugend weit mehr als bisher den wissenschaftlichen Sozialismus zu lehren."
    Das Foto zeigt den Blick vom Südturm am Frankfurter Tor im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg, aufgenommen am 20.08.2011 entlang der Karl-Marx-Allee in Richtung Stadtzentrum Ost.
    Architektur in der DDR - „Sehnsucht nach Weltniveau“
    Auch beim Bauen richtete man sich in der DDR nach den Vorgaben aus der Sowjetunion. Doch Architekten wussten, Freiräume zu nutzen, erklärte Architekturexperte Ben Kaden im Dlf. Wer sich heute mit DDR-Gebäuden beschäftige, dürfe nicht vergessen, dass es sich um Erinnerungsräume handele.
    In den 1950er-Jahren entstanden neben der Goebbels-Villa zahlreiche Neubauten; ein Komplex aus Unterrichts-, Gemeinschafts- und Wohngebäuden, errichtet im Stil des Sozialistischen Klassizismus nach Plänen des bekannten DDR-Architekten Hermann Henselmann. Zunehmend befanden sich jetzt auch junge Menschen aus "Bruderstaaten" wie der Sowjetunion und Bulgarien unter den jährlich mehreren hundert Teilnehmern.
    1980 besuchte Erich Honecker, inzwischen längst Staats- und Parteichef, die Hochschule und erklärte, "dass es hier um die Ausbildung und Erziehung junger Kommunisten ging und den Schutz der Deutschen Demokratischen Republik."
    Biografie Erich Honecker - In jungen Jahren keinesfalls der Musterkommunist
    Die Biografie " Erich Honecker: Das Leben davor" widmet sich der Jugendzeit des späteren DDR-Staatschefs. Mit unvoreingenommenem Blick zeichnet Autor Martin Sabrow die wichtigsten Stationen im frühen Leben des überzeugten Kommunisten nach: von der Internationalen Lenin-Schule in Moskau bis hin zu seinem Gefängnisaufenthalt in Brandenburg.
    1990, nach dem Untergang der DDR, wickelte die Treuhandanstalt die FDJ-Jugendhochschule ab, einzelne Gebäude wurden vorübergehend als Ausbildungsstätte und Hotel genutzt.
    Seit gut 20 Jahren stehen die denkmalgeschützten Häuser leer. Als markante Erinnerungsorte repräsentieren sie die Zeit vor und nach 1945, sind aber dem Verfall preisgegeben. Das rund 170.000 m² große Areal im Besitz des Landes Berlin liegt im Dornröschenschlaf.