Freitag, 19. April 2024

Archiv

Vorratsdatenspeicherung
"Nicht das richtige Instrument zur Gefahrenabwehr"

Die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich habe die Anschläge nicht verhindern können, sagte die Sozialdemokratin Christina Kampmann im Interview mit dem Deutschlandfunk. Deshalb brauche man auch keine zusätzlichen Regelungen in Deutschland. Die Daten von Verdächtigen hingegen müssten überprüft werden können.

Christina Kampmann im Gespräch mit Christine Heuer | 15.01.2015
    Die Abgeordnete Christina Kampmann (SPD) spricht am 04.12.2014 während der Debatte um Aufnahme von Flüchtlingen im Deutschen Bundestag in Berlin. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
    Christina Kampmann, SPD, ist Berichterstatterin für die Vorratsdatenspeicherung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Christine Heuer: In Berlin hat Kanzlerin Angela Merkel heute eine Regierungserklärung zu den Attentaten von Paris abgegeben, darin enthalten der Satz, den Sie eingangs der Sendung hören konnten, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Merkel hat Christian Wulff heute noch einmal ausdrücklich zitiert.
    Über die Sicherheitsdiskussion möchte ich jetzt sprechen mit Christina Kampmann. Sie ist Sozialdemokratin, Mitglied im Deutschen Bundestag und dort Berichterstatterin für die Vorratsdatenspeicherung im Innenausschuss. Guten Tag, Frau Kampmann.
    Christina Kampmann: Guten Tag.
    Heuer: Sigmar Gabriel und die Innenminister der SPD, die sind für die Vorratsdatenspeicherung, Thomas Oppermann eigentlich dagegen und Heiko Maas eindeutig dagegen. Was will die SPD denn nun?
    Kampmann: In der SPD ist eine neue Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung entbrannt. Ich nehme jetzt sehr viel mehr kritische Stimmen wahr, als das in der Vergangenheit der Fall war. Denn nicht zuletzt wissen auch wir, die beiden höchsten Gerichte in Deutschland und Europa haben recht eindeutige Urteile gegen die Vorratsdatenspeicherung gefällt, und ich glaube, das dürfen wir in der ganzen Diskussion, die sich nun neu entbrennt, nicht vergessen.
    Heuer: Sie gehören also zu den Kritikern, hören wir da raus. Nun haben aber Europa und auch das Bundesverfassungsgericht ja lediglich die anlasslose Vorratsdatenspeicherung untersagt. Was spricht dagegen, die Daten von Verdächtigen zu speichern, Frau Kampmann?
    Christina Kampmann: Dagegen, die Daten von Verdächtigen zu speichern, spricht erst mal nichts. Aber ich glaube, die Vorratsdatenspeicherung, wie wir sie bisher kannten, die verdachtsunabhängige, anlasslose Speicherung, die wird es in Europa nicht mehr geben können, und ich bin mir sicher, dass wir jetzt von der europäischen Ebene in einiger Zeit einen neuen Entwurf präsentiert bekommen werden. Aber ich bin mir sicher, dass der nicht mehr viel mit dem Entwurf, wie wir ihn in der Vergangenheit kannten, zu tun haben wird.
    "Anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist Eingriff in die Grundrechte"
    Heuer: Und dann sagt die SPD Ja dazu?
    Kampmann: Dann schauen wir uns das in aller Ruhe an, werden das prüfen und werden uns dann eine eigene Meinung dazu bilden.
    Heuer: Das dauert ein bisschen, aber Sie machen sich bestimmt im Vorfeld schon Gedanken. Unter welchen Bedingungen wären Sie denn einverstanden mit einer Vorratsdatenspeicherung?
    Kampmann: Ich bin sehr gespannt, was das für ein Entwurf sein wird. Herr Oettinger war diese Woche im Bundestag und hat gesagt, dass auch Brüssel keine Eile damit haben wird, und ich glaube, dass das Wort Vorratsdatenspeicherung dann gar nicht mehr passen kann, weil eine anlasslose Speicherung von Daten auf Vorrat wird es nach diesem Urteil nicht mehr geben, weil der Eingriff in die Grundrechte, in die Achtung des Privatlebens einfach zu groß ist.
    Deshalb bin ich sehr gespannt, ob dieser Entwurf, der vielleicht irgendwann kommen wird, überhaupt noch den Namen Vorratsdatenspeicherung verdienen kann.
    Heuer: Aber lassen Sie uns, Frau Kampmann, über die Sache sprechen. Da müssen Sie ja nicht auf einen Entwurf aus Brüssel warten. Unter welcher Bedingung wären Sie damit einverstanden, dass die Daten von Verdächtigen gespeichert werden, und zwar von Verdächtigen insofern anlasslos, ohne dass ein konkreter Tatverdacht gegen sie vorliegt?
    Kampmann: Dass die Daten von Verdächtigen gespeichert werden, das ist erst mal okay. Dafür brauchen wir auch keine Bedingung. Aber wir müssen ja erst mal gucken, wann überhaupt der Vorwurf der Verdächtigung auf dem Tisch liegen kann. Auch dafür müssen wir ja erst mal Kriterien entwickeln.
    Ich glaube aber nicht, dass sich die Diskussion daran entbrennen wird, und ich glaube nicht, dass wir in Deutschland dazu einen Entwurf vorlegen werden. Das hat auch Thomas Oppermann ganz eindeutig gesagt. Deshalb wird es da aus deutscher Sicht keinen Vorstoß geben, da bin ich mir ziemlich sicher.
    Heuer: Ich sage Ihnen mal einen Fall: Ein Salafist aus Dinslaken reist nach Syrien, lässt sich dort ausbilden und kommt zurück. Ist der verdächtig oder nicht?
    Kampmann: Da bin ich überzeugt von, dass der verdächtig ist, denn wir haben ja auch gesagt und das hat Heiko Maas auch gesagt, dass wir jetzt gerade für diese Fälle eine neue Anpassung der Sicherheitsgesetze auf der Grundlage der Resolution des UN-Sicherheitsrates vornehmen werden, die genau diese Fälle betreffen.
    Das betrifft zum einen den Entzug des Personalausweises, das betrifft aber auch die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und eine schärfere Bestrafung von Reisenden, die in Terrorcamps reisen wollen. Das heißt, da haben wir eigentlich schon die richtigen Maßnahmen, die Heiko Maas im Januar jetzt noch auf den Weg bringen will.
    "Verdachtsunabhängige Speicherung verhindern"
    Heuer: Dann, Frau Kampmann, muss ich noch einen anderen Fall erfinden, auf die Schnelle, sage ich mal: Ein Hassprediger in einer Moschee in Mönchengladbach wird auffällig, die Behörden überwachen ihn, die Sicherheitsbehörden, und sie machen sich Sorgen, dass dieser Mann vielleicht gewalttätig wird. Ist das ein Verdächtiger für die SPD oder nicht?
    Kampmann: Selbstverständlich ist das ein Verdächtiger.
    Heuer: Muss der, kann der überwacht werden? Können dessen Daten vorrätig gehalten, gespeichert werden?
    Kampmann: Ja! Es geht ja nur darum, die verdachtsunabhängige Speicherung zu verhindern. Aber wenn ein Verdacht vorliegt, dann ist es ja auch jetzt schon möglich, diesen Menschen entsprechend und auch die Kommunikation, gerade die Verbindungsdaten zu speichern. Sonst hat man ja auch gar keine andere Möglichkeit. Es geht gar nicht um die Fälle, die schon verdächtig sind; es geht nur um die verdachtsunabhängigen Fälle.
    Heuer: Und trotzdem sagen Sie, es muss sich nichts ändern in Deutschland, die Gesetzeslage reicht Ihnen aus?
    Kampmann: Nein. Das habe ich ja gerade noch mal bekräftigt, dass Heiko Maas einen Vorschlag mit den drei Elementen, die ich gerade genannt habe, ...
    Heuer: Ja, ja. Das kennen wir, das ist ja beschlossen. Sondern der Streit geht ja jetzt um die Vorratsdatenspeicherung. Da sagen Sie, Frau Kampmann, wir brauchen keine zusätzlichen Regelungen, wir haben keine Eile, wir können abwarten, was Europa vorlegt, und wir müssen uns alle nicht so aufregen, wie wir das jetzt tun?
    Kampmann: Genau. Wir brauchen keine zusätzlichen Regelungen. Frankreich hat ganz deutlich gezeigt, die haben seit 2006 die Vorratsdatenspeicherung, die konnte die Anschläge in Frankreich nicht verhindern, und das zeigt ganz eindeutig, zur Gefahrenabwehr ist die Vorratsdatenspeicherung nicht das richtige Instrument.
    Heuer: Na ja, das ist auch noch nicht raus. Frankreich hatte die Verdächtigen immerhin auf dem Schirm. Die haben dann nur in der Praxis sich vielleicht nicht richtig verhalten, die Ermittler.
    Kampmann: Das müssen jetzt die Behörden in Frankreich prüfen. Aber offensichtlich ist, dass die Verdächtigen da tatsächlich überprüft wurden, aber dass die Maßnahmen entsprechend nicht angewandt wurden. Aber ich glaube, das müssen jetzt die französischen Behörden prüfen.
    Heuer: Frau Kampmann, wenn ich Ihnen so zuhöre, frage ich mich: Was hat eigentlich Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel nicht verstanden, denn der ist ja jetzt für die Vorratsdatenspeicherung?
    Kampmann: Auch Sigmar Gabriel hat nicht gesagt, dass wir jetzt unbedingt einen neuen Entwurf vorlegen müssen, sondern er hat Bedingungen formuliert, wie eine Vorratsdatenspeicherung möglich sein kann. Er hat das insbesondere an den Richtervorbehalt geknüpft. Sigmar Gabriel hat aber auch gesagt, es wird von hier keine Schnellschüsse geben und wir warten darauf, was jetzt aus Brüssel kommt.
    Heuer: Da warten wir dann alle mit - Christina Kampmann war das, Sozialdemokratin, Berichterstatterin über die Vorratsdatenspeicherung im Innenausschuss des Bundestages. Frau Kampmann, vielen Dank für das Gespräch.
    Kampmann: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.