Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Start der Vuelta a Espana
Roglic-Show und ein Schmerzmittel

Der Herausfordererkreis von Top-Favorit Primoz Roglic beim Straßenradrennen Vuelta a Espana ist überschaubar. Er schrumpfte noch weiter zusammen, weil Ex-Sieger Nairo Quintana wegen eines nicht erlaubten Schmerzmittels seine Teilnahme zurückzog.

Von Tom Mustroph | 21.08.2022
Der slowenische Rennfahrer Primoz Roglic mit seinem Sohn Lev beim Mannschaftszeitfahren in Utrecht  der 1. Etappe der Spanien-Rundfahrt 2022
Der slowenische Rennfahrer Primoz Roglic (dpa / picture alliance / Roth )
Viel Geschichte, wenig Gegenwart. Die Vuelta leidet in diesem Jahr unter dem WM-Termin in Australien und hat nur wenig große Stars im Aufgebot. Der aktuelle Tour de France-Sieger Jonas Vingegaard genießt gerade die neue Berühmtheit und wird erst bei der Lombardeirundfahrt ins Wettkampfgeschehen zurückkehren. Sein Vorgänger Tadej Pogacar bereitet sich auf die WM vor, wie auch die australischen Sprint-Asse Caleb Ewan und Michael Matthews.
Prominenz vergangener Tage ist immerhin dabei. Gleich acht frühere Grand Tour-Sieger fahren mit. Darunter sind die Altstars Chris Froome und Vincenzo Nibali, die beide sogar alle drei großen Rundfahrten gewannen. Ihre Glanzzeiten sind allerdings längst vorbei.

Roglic ist bestens motiviert

Stärkster Mann aus dem Oktett der alten Helden ist Primoz Roglic. Der Slowene nimmt zum vierten Mal an der Spanienrundfahrt teil. Drei Mal hat er sie bereits gewonnen. Mit vier Siegen würde er mit Rekordhalter Roberto Heras gleichziehen. Das stimuliert ihn zusätzlich.
Chris Froome winkt ins Publikum.
Der britische Radrennfahrer Chris Froome. (IMAGO / Belga / DAVID STOCKMAN)
„Ja, das ist wirklich etwas besonderes. Und wir peilen das an.“
Der Auftakt gestaltete sich für den Slowenen schon einmal hervorragend. Sein Team Jumbo-Visma gewann das Mannschaftszeitfahren zum Auftakt. Roglic liegt damit vor allen anderen Rivalen. Besondere Aufmerksamkeit widmet er ihnen ohnehin nicht.
„Wenn ich ehrlich bin, dann denke ich gar nicht an die anderen, sondern nur an mich. Es wird darum gehen, wie ich mich fühle, wie die Sache laufen wird. Darauf konzentriere ich mich.“

Ein belgisches Supertalent drängt sich auf

Das kann man als Arroganz deuten. Oder eben als die große Gewissheit darüber, dass dann, wenn der eigene Körper mitspielt und kein Sturz oder Defekt dazwischen kommt, dem Slowenen der Vuelta-Sieg geradezu zwangsläufig zufallen wird. Zu stark und erfahren ist er selbst, zu mächtig ist auch sein Team.
Ein großes Duell könnte es dennoch geben. Denn Remco Evenepoel, das belgische Supertalent, gibt seinen Einstand bei der Vuelta. Der frühere Fußballer will allen zeigen, dass er das Zeug für drei Wochen Radrennen auf höchstem Niveau hat.
„Ich wusste von Saisonbeginn an, dass die Vuelta meine Grand Tour in diesem Jahr sein wird. Den kompletten zweiten Teil der Saison, seit Lüttich – Bastogne – Lüttich, bereitete ich mich auf die Vuelta vor. Dazwischen lag noch der schöne Sieg in San Sebastian. Die Vuelta ist neben Lüttich – Bastogne – Lüttich mein wichtigstes Rennen in der Saison. Das eine habe ich schon gewonnen. Und jetzt hoffe ich erneut auf das Beste.“
Evenepoel ist vor allem ein phänomenaler Zeitfahrer. In den Bergen ist er nicht ganz so stark. Darin ähnelt er Roglic. Diese Vuelta könnte also von den Zeitfahrkilometern geprägt werden, und von einer Abwartehaltung in den Bergen.

Quintana mit Schmerzmittel erwischt

Roglic erhöhte noch einmal verbal den Druck auf seinen wohl härtesten Konkurrenten:
„Remco muss sich jetzt beweisen. Er hat schon gezeigt, dass er sehr stark und sehr schnell auf jeder Art von Gelände ist. Und auch die früheren Vuelta-Gewinner sind da. Es wird hoffentlich eine schöne und spektakuläre Vuelta zum Zuschauen.“
Zum Zuschauen verdammt ist auch ein weiterer früherer Vuelta-Gewinner, der bei dieser Rundfahrt eigentlich vorn mitmischen wollte: Nairo Quintana zog kurz vor dem Start noch zurück, weil bei einer Blutprobe während der Tour de France Spuren des Schmerzmittels Tramadol in seinem Körper gefunden wurden. Das Mittel steht nicht auf der Dopingliste der Weltantidopingagentur WADA. Der Radsportweltverband UCI stuft es allerdings als gesundheitsgefährdend ein.
Daher wurde Quintana nachträglich von der Tour de France disqualifiziert. Der Kolumbianer selbst verzichtete danach von sich aus auf einen Start in Spanien und begründete das so:
„Ich habe jetzt weder den Kopf noch den Körper, um am Wettkampf teilzunehmen. Ich bin daher nicht in der Verfassung für diese Vuelta a Espana und ziehe es vor, nach Hause zurückzukehren, um mich auf meine Verteidigung vorzubereiten.“

Wirrwarr um Tramadol

Quintana streitet ab, jemals Tramadol benutzt zu haben. Das Schmerzmittel erlaubt Athleten, über die eigene Schmerzgrenze hinaus mehr und härter zu trainieren. Auch im Wettkampf kann Tramadol einen Vorteil bringen. Bei einer Studie mit Freizeitsportlern fand ein Team der Universitäten in Kent und Granada eine um fünf Prozent erhöhte Leistung bei Probanden mit Tramadol heraus.
Zugleich kann die Betäubung der Schmerzen und das Ausreizen des Organismus zu Schädigungen führen. Deshalb brachte die Bewegung für den sauberen Radsport, der aktuell neun der 18 World Tour Teams angehören, den Radsportverband UCI auch dazu, Tramadol als gesundheitsgefährdend zu klassifizieren.
Nur als Zwischenziel sieht das Roger Legeay, Präsident der Bewegung für den sauberen Radsport, an. Er fordert die Weltantidopingagentur WADA zum Handeln auf, um den juristischen Wirrwarr zu beenden.
„Es handelt sich um die einzige Maßnahme, die die UCI gefunden hat. Glückwunsch dafür. Wir als MPCC haben das gefordert, als einzige Chance, um den Gebrauch von Tramadol im Radsport zu verhindern. Mittelfristig muss es die WADA auf die Liste der verbotenen Substanzen zu setzen.“

Episode signalisiert auch Fortschritt

Es ist eine alte Forderung, der sich die WADA bisher widersetzt. Schon 2017 hatte die Nationale Antidopingagentur Deutschlands ein Verbot vorgeschlagen.
Immerhin signalisiert die Episode auch einen Fortschritt. Quintana, der Vuelta-.Sieger von 2016, zog sich jetzt wegen des Schmerzmittelbefunds von selbst vom Rennen zurück. Roberto Heras, vierfacher Vueltasieger, wurde 2005 mit dem Blutdopingmittel EPO erwischt. Der Vuelta-Titel wurde ihm aberkannt.
Weil seine Anwälte Verfahrensfehler feststellten, wurde er Jahre später aber wieder freigesprochen und erneut zum Sieger des Rennens erklärt. Jetzt ist es der Radsport selbst, der die Weltantidopingagentur dazu treibt, bei Tramadol härter durchzugreifen.