Mittwoch, 24. April 2024

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VW-Abgasskandal
"Auch der Kunde hat weggeschaut"

Der Automobilexperte Charles McKay glaubt, dass die gesamte Automobilbranche von Manipulationen betroffen ist. Verantwortlich sei die starke Verquickung zwischen Herstellern und Zulieferern, sagte er im DLF. Schuld seien aber auch die Kunden, die von den in den Prospekten abweichende Verbrauchswerte nicht reklamiert hätten.

Charles McKay im Gespräch mit Peter Kapern | 04.11.2015
    Autos auf einer Straße.
    "Nur wenn die Schmerzen groß genug sind, wird der Kunde auch nachfragen," glaubt Charles McKay, Automobilexperte an der Westfälischen Hochschule Recklinghausen. (dpa/picture alliance/Rolf Vennenbernd)
    Peter Kapern: Die Papiere von Volkswagen waren die erste echte Volksaktie in Deutschland und viele Jahre lang waren die Anteilsscheine des Wolfsburger Konzerns die einzigen, an die sich Otto Normalanleger in Deutschland herantraute. Wer derzeit VW-Aktien in seinem Depot hat, dem dürfte hin und wieder der Angstschweiß auf die Stirn treten: Heute Früh zum Beispiel, als auf dem Börsenparkett in Frankfurt die Händler loslegten. Da rauschten die VW-Werte senkrecht nach unten wie ein Stein im Wasser. Minus zehn Prozent hieß es gleich zu Handelsbeginn. Der Grund dafür: VW hat gestern Abend eingeräumt, nicht nur beim Stickoxid-Ausstoß, sondern auch bei den CO2-Emissionen einiger seiner Fahrzeuge betrogen zu haben.

    In den USA hat sich ein weiteres Mal das Repräsentantenhaus mit dem VW-Skandal beschäftigt. Die Abgeordneten wollen mehr Informationen vom deutschen Autohersteller.
    Bei uns am Telefon ist Charles McKay, Automobilexperte an der westfälischen Fachhochschule in Recklinghausen. Guten Tag!
    Charles McKay: Guten Tag. Ich grüße Sie.
    Kapern: Herr McKay, nicht nur Dieselfahrzeuge, jetzt auch Benziner, nicht nur Stickoxide, jetzt auch der Klimakiller CO2. Ist eigentlich der ganze grüne Lack, den sich VW da in den letzten Jahren gegeben hat, nur aus Lug und Trug angerührt?
    McKay: Ich glaube, das ist jetzt, muss ich ehrlich gestehen, nicht nur ein Thema für VW, sondern im Prinzip für die gesamte Automobilindustrie. Sie müssen sich natürlich vorstellen: Es arbeiten ja viele Unternehmen, viele Zulieferer an den Motoren, und insofern muss ich heute davon ausgehen, dass es nicht nur VW ist, sondern eben auch andere Hersteller, die gegebenenfalls auch betroffen sind von dieser Sachlage.
    Kapern: Das müssen Sie uns noch genauer erläutern. Warum haben auch Ihrer Meinung nach andere Autohersteller dann offenbar bei diesen Werten - Sie beziehen sich jetzt auf die CO2-Messungen - betrogen?
    McKay: Die Situation in der Automobilindustrie ist ja so, dass im Prinzip 70, vielleicht 80 Prozent des Autos von Zulieferern kommen, also 20 Prozent nur vom Hersteller, oder 30 Prozent, und das heißt letztendlich, es gibt eine sehr starke Verquickung zwischen den Herstellern und den Zulieferern. Die Software ist ein Riesenthema für die Automobilindustrie schon seit vielen Jahren und insbesondere im Motor-Management, und es stellt sich schon die Frage, ob auch Zulieferer diese Software an andere Hersteller geliefert haben.
    Kapern: Das hat ja Bosch beispielsweise bestritten. Da sind wir jetzt aber wieder bei den Stickoxid-Werten, die manipuliert worden sind durch eine aufgespielte Software in den Motoren. Haben Sie Anhaltspunkte dafür, welche anderen Unternehmen diese Software auch noch benutzen?
    McKay: Anhaltspunkte, muss ich sagen, nein. Da muss ich ganz vorsichtig sein. Aber es ist für mich plausibel zu fragen, ob nicht doch auch andere Hersteller - und dazu zählen nicht nur die deutschen Hersteller - gegebenenfalls auch über eine manipulierte Software verfügen, um die strengen Grenzwerte im Test zumindest zu erfüllen.
    "Laborwerte letztendlich nur eine wirklich theoretische Annahme"
    Kapern: Jetzt schauen wir noch mal auf die jüngste Enthüllung, nämlich diejenige, die sich um die Kohlendioxid-Emissionen dreht. Das ist ja offenbar so, dass ein Hersteller misst, welche CO2-Emissionen sein Motor da produziert. Er meldet diese Werte an staatliche Stellen und die glauben das, ohne nachzuprüfen.
    McKay: Ja.
    Kapern: Das ist doch klasse. Wenn man das übertragen würde auf unsere Steuererklärungen, dann könnten wir eine Menge Geld sparen.
    McKay: Ja. Im Prinzip haben Sie schon Recht, wobei ich zu bedenken gebe: Die Situation ist ein Labortest, der hier vollzogen wird, und wir kennen das alle. Alle Autofahrer wundern sich über letztlich die CO2- beziehungsweise Verbrauchswerte, die in den Prospekten angegeben sind und die dann tatsächlich auf der Straße geschehen. Da haben wir uns irgendwo ein bisschen dran gewöhnt, dass es da Diskrepanzen gibt von, ich sage jetzt mal, gut 50 Prozent. Aber dass jetzt darüber hinaus Manipulationen erfolgen, wo wir über ein Vielfaches sprechen - jetzt war die Rede von neunfach überhöhten CO2-Grenzwerten -, das hat natürlich eine ganz andere Qualität.
    Kapern: Was steckt technisch dahinter? Können Sie uns das noch mal erklären?
    McKay: Da bin ich leider überfragt, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich kann Ihnen nicht genau erklären, wie die Software funktioniert. Aber wir wissen alle, dass die Test- oder die Laborwerte letztendlich nur eine wirklich theoretische Annahme darstellen und der Verbraucher sicherlich daran interessiert ist zu wissen, Mensch, wieviel wird denn mein Auto in Zukunft tatsächlich verbrauchen auf der Straße.
    Kapern: Warum, Mr. McKay, hat man denn die Autohersteller so einfach davon kommen lassen? War das eine Kumpanei zwischen Staat und Industrie?
    McKay: Es klingt danach, muss man wirklich sagen. Es ist tatsächlich so, dass natürlich in Brüssel beziehungsweise auch in Bonn die Lobbyisten eine starke Rolle spielen und die Interessen der Automobilindustrie zum Ausdruck bringen. Wir haben es hier in Deutschland mit einer Premium-Position zu tun, mit den Herstellern hier in Deutschland, und ich kann mir gut vorstellen, dass die Politik versucht, diese Position nicht ohne weiteres zu gefährden.
    "Tests müssen auf der Straße erfolgen"
    Kapern: Wie müsste man denn der Autoindustrie zu Leibe rücken, damit CO2-Werte stimmen, Verbrauchswerte stimmen und Stickoxid-Angaben auch der Wahrheit entsprechen?
    McKay: Ich denke, es ist relativ eindeutig oder naheliegend zu sagen, dass die Tests, die jetzt in Zukunft zu erfolgen haben, auf der Straße erfolgen. Auch da muss es gewisse Normen geben, sprich Temperatur- oder Feuchtigkeits-Grenzwerte, die da definiert sind. Aber ich denke, es ist relativ einfach zu sagen, lasst uns in Zukunft die Verbrauchswerte der Fahrzeuge im Fahrzeugbetrieb auf der Straße messen.
    Kapern: Nun hat ja die EU gerade erst beschlossen, wie ungefähr diese Tests dann in Zukunft aussehen sollen. Kritiker sagen, das ist schon wieder alles viel zu weich und viel zu nachsichtig der Industrie gegenüber. Müsste die EU eigentlich diese Regeln, die da beschlossen worden sind, gleich wieder kassieren?
    McKay: Ich glaube nicht. Ich glaube, wir sprechen hier über einen Prozess. Ich glaube, wir müssen jetzt anfangen, uns über die Ehrlichkeit Gedanken zu machen, wie ehrlich wollen wir sein in Zukunft. Es geht um die Umwelt, es geht tatsächlich um, wenn Sie so wollen, die Luftverunreinigung, und die Gesellschaft, wir alle müssen uns die Frage stellen, wollen wir wirklich saubere Luft, oder wollen wir Autofahren. Vor dieser Diskussion stehen wir jetzt gerade. Ich glaube, dieser Prozess ist jetzt ins Rollen gebracht und wird uns die nächsten Jahre sicherlich weiterhin begleiten.
    Kapern: Jetzt wird es ja richtig interessant, Mr. McKay. Das war also gar nicht die Autoindustrie, die hinter diesem Skandal steht. Es war gar nicht die Politik, die da geschlampt oder weggeguckt hat, sondern es waren wir, alle Autofahrer!
    McKay: Ja! Im Prinzip ist es so: der Kunde. Wir bemängeln schon seit Jahren die Tatsache, dass die Verbrauchswerte, die in den Prospekten stehen, nicht der Realität entsprechen. Aber der Kunde akzeptiert es. Wir alle akzeptieren das und es stellt sich mir die Frage, warum. Sind wir wirklich so blauäugig? Wollen wir es nicht wissen? Und ich muss ganz ehrlich gestehen: Es geht ja letztlich immer nur um CO2 und CO2 korreliert letztlich eins zu eins mit den Verbrauchswerten eines Fahrzeugs. Das ist das, was den Kunden letztlich interessiert. Das Thema Stickoxide ist für ihn uninteressant, weil es sein Portemonnaie nicht berührt, und ich glaube, das wird in Zukunft dann anders werden müssen, denn nur wenn, ich sage mal, die Schmerzen groß genug sind, wird der Kunde entsprechend auch nachfragen.
    Kapern: Charles McKay war das heute Mittag im Deutschlandfunk, der Automobilexperte von der westfälischen Fachhochschule in Recklinghausen. Mr. McKay, danke für Ihre Expertise, danke für das Gespräch.
    McKay: Gerne! - Tschüss!
    Kapern: Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.