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Wahl in Norwegen
Die Kleinen als Königsmacher

Norwegen wählt am Montag ein neues Parlament. Sowohl die regierenden Konservativen als auch die Sozialdemokraten rechnen sich Chancen aus. Eines aber ist jetzt schon klar: Ohne Koalitionspartner läuft nichts. Entsprechend selbstbewusst präsentieren sich die kleineren Parteien.

Von Michael Frantzen | 08.09.2017
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    Wahlkampfstand der Fortschrittspartei in Oslo (Michael Frantzen)
    "I’m quite proud about it."
    Stolz ist er - Petter Eltvik, der Vorsitzende der Fortschrittspartei in Bergen, Norwegens zweitgrößter Metropole. Auf das, was die Rechtspopulisten in den letzten vier Jahren in Oslo, der Hauptstadt, erreicht haben - als Juniorpartner der konservativen Ministerpräsidentin Erna Solberg. Samstag-Mittag, der Torvallmenningen, der Hauptplatz der 280.000 Einwohner zählenden Hafenstadt. Es regnet Bindfäden. Der guten Laune von Peter Eltvik tut das keinen Abbruch. In den letzten Umfragen lag seine Partei bei 16 Prozent - und damit im Aufwind - nicht zuletzt wegen ihrer Flüchtlingspolitik:
    "In der Flüchtlingspolitik haben wir endlich das Heft in der Hand. Das ist unser Verdienst. Vorher hatte Norwegen weder Kontrolle über den Zustrom von Flüchtlingen noch ihre Integration. Die alte Regierung hat die Probleme nur unter den Teppich gekehrt. Jetzt ist es so: Alle Parteien sind sich einig, dass wir der Integration größere Aufmerksamkeit schenken müssen."
    Fortschrittspartei will restriktivere Flüchtlingspolitik
    Voll ist es am Wahlstand der Fortschrittspartei. Viele Bergener wollen sich informieren - so wie Thomas Brottulmen. Er ist Maurer und blättert in einer der Hochglanzbroschüren: Härtere Strafen für Gewalttäter; eine noch restriktivere Flüchtlingspolitik; Burka-Verbot: Thomas nickt. Ganz seine Linie:
    "Wir Norweger haben nichts gegen Minderheiten-Kulturen. Wir wollen nur nicht, dass sich in Norwegen eine 'neue' Kultur entwickelt. In der Klasse meiner Tochter sind etliche Flüchtlingskinder. Ihre Eltern scheinen o.k. zu sein. Keine Ahnung, woher sie kommen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie eine andere Kultur haben. Die sollen sie auch behalten dürfen. Nur: Wir müssen sicherstellen, dass sie unsere Kultur akzeptieren."
    Hektisch ist es in der grünen Wahlkampfzentrale in Grønland, dem Multikulti-Viertel Oslos, der rund 460 Kilometer von Bergen entfernten Hauptstadt. Hektisch und bunt. An den Wänden: Knallige Wahlplakate. In den Glasbüros: Meist junge Leute. Nora ist eine von ihnen:
    "Ich hab als Kind viel Bibi Blocksberg gehört."
    Die Grünen lehnen Erschließung weiterer Erdölfelder ab
    Noras leiblicher Vater ist Deutscher, deshalb die Sache mit Bibi Blocksberg, dem Kinderhörspiel. Die Abiturientin engagiert sich zum ersten Mal politisch bei einer Wahl. Die Guten und die Bösen: Für sie sind die Rollen klar verteilt. Die Guten: Das sind die Grünen. Die Bösen: Die Rechten. Und neuerdings auch die Sozialdemokraten, seitdem die eine Koalition mit den Grünen ausschließen . Es sei denn, die Öko-Partei rückt von ihrem Plan ab, vor der Küste Norwegens keine weiteren Erdölfelder zu erschließen:
    "Das finde ich frech. Und unklug. Die sehen, dass wir gefährlich werden können. Wir hatten ja die letzten Jahre eine Riesen-Steigerung in den Umfragen. Na ja, das finden die natürlich nicht so cool."
    Nora hat sich auf einen freien Platz gesetzt. Die 18jährige gähnt. Gestern hatte sie ihre letzte Schul-Debatte zur Parlamentswahl - als Grünen-Vertreterin:
    "Norwegen ist in vielen Dingen im Schulsystem nicht das beste Land. Aber Demokratie: Da gewinnen wir immer irgendwelche Tests, wo man am meisten Demokratie-Gefühl bei den Schülern findet. Dass Norwegen Schüler entwickelt, die sehr Demokratie-bewusst sind. Und das ist auch mein Eindruck."
    "We are a party that wants to come into power."
    Eine Partei, die an die Macht will: Bei Marit Arnstad weiß man gleich, woran man ist:
    "You are just lucky. I came in this morning."
    Zentrumspartei macht Wahlkampf gegen das Establishment und die EU
    Erst am Morgen ist sie ins Parlament zurückgekehrt - aus ihrem Wahlkreis hoch im Norden: Die Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei.
    Die Frau im Designer-Kostüm macht einen entspannten Eindruck. Kein Wunder: In den Umfragen hat ihre Partei kräftig zugelegt, auf fast zehn Prozent. Nach der Wahl könnte die Zentrumspartei Zünglein an der Waage sein. Ähnlich wie die Fortschrittspartei geht Arnstad mit populistischen Parolen auf Stimmenfang. Gegen Oslo, das Establishment, die Europäische Union:
    "Wir denken, dass die norwegische Regierung Brüssel gegenüber zu unterwürfig ist. Sie setzt jede EU-Vorgabe um - egal, ob sie für Norwegen geeignet ist oder nicht, nur weil wir Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum sind. Natürlich sind wir für europäische Zusammenarbeit. Aber die EU?! Siebzig Prozent aller Norweger wollen nach wie vor nicht in die Europäische Union."
    Arnstad springt auf. Sie hat es eilig. Wenn alles glatt läuft für sie bei der Wahl, kann sich die Vollblutpolitikerin Chancen auf einen Ministerinnen-Posten ausrechnen. Ein Lächeln huscht über ihre Lippen. Gut möglich.