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Warum der Mali-Krieg nicht zu gewinnen ist

Bei Konflikten wie derzeit in Mali gibt es in der Regel keinen klassischen Gewinner, sagt der Politologe Hans-Georg Ehrhart. Daher müsse frühzeitig auch ein politischer Prozess angeschoben und nach Gesprächspartnern gesucht werden.

Hans-Georg Ehrhart im Gespräch mit Gerd Breker | 18.01.2013
    Gerd Breker: Niemand weiß genau, was geschah, wie es geschah und wie viele Opfer es gekostet hat. Aber nach der Geiselnahme auf dem Gasfeld in Algerien durch Islamisten hat es einen Befreiungsversuch gegeben, der offenbar kläglich gescheitert ist. Ziel der Geiselnahme war es, Frankreich von seinem Kampf gegen die Islamisten in Mali abzuhalten, was nicht zu erfüllen ist. Aber der Vorfall zeigt, welche Dimensionen der Konflikt in Mali erreichen wird. Der ganze Wüstenraum könnte zum Kampfgebiet werden, genügend Rückzugsgebiete für den asymmetrischen Krieg.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Guten Tag, Herr Ehrhart.

    Hans-Georg Ehrhart: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Die Kriege des 21. Jahrhunderts, Herr Ehrhart, werden wohl in der Regel asymmetrische Kriege sein.

    Ehrhart: Seit Ende des Zweiten Weltkrieges sind über 90 Prozent aller Kriege Kriege solcher Art gewesen, und das wird sich künftig nicht ändern.

    Breker: Die Geiselnahme in Algerien zeigt, dass der Kampf gegen die Islamisten in Mali nicht auf Mali zu beschränken sein wird. Er wird die ganze Region erfassen.

    Ehrhart: Das ist zu befürchten. Es ist das, was man so schön "horizontale Eskalation" nennt, zu erwarten. Wir haben es erlebt jetzt in Algerien, es könnte sich auch Richtung Süden Malis entwickeln, dass also in Bamako und in der südlichen Region infiltrierte Kräfte zu agieren beginnen, es kann die ganze Nachbarregion betreffen. Von daher gesehen dürfte die These stimmen, ja.

    Breker: Man muss wissen, dass die Islamisten in der Region recht gut bewaffnet sind, denn sie konnten sich ja in den Waffenkammern Gaddafis ausführlich bedienen.

    Ehrhart: Das ist wahr. Im Übrigen: In Libyen ist ja auch noch nicht Ruhe eingekehrt, wie in der ganzen Region, und als vor allen Dingen die unter dem Sold Gaddafis stehenden Touareg abziehen mussten, haben sie jede Menge Waffenmaterial mitgenommen, und im Grunde genommen fing ja dann Anfang 2012 auch die Revolte im Norden Malis an und man vertrieb die dortigen schlecht ausgerüsteten und schlecht ausgebildeten malischen Truppen.

    Breker: Wenn wir nun, Herr Ehrhart, auf die Kämpfe der Franzosen in Mali selbst schauen, dann mag es gut sein, dass Frankreich in der Lage sein wird, die Islamisten aus den Städten zu vertreiben. Aber das ganze Land kontrollieren können sie einfach nicht, es ist viel zu groß.

    Ehrhart: Das ist richtig. Es wird schon schwierig genug sein, die Städte zurückzuerobern, aber das ist möglich. Die Frage ist, wer macht das, die Franzosen, oder aber, wie eigentlich vorgesehen, die malischen Truppen mit Unterstützung der ECOWAS, also der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, die auch eine Friedenstruppe da hinschicken wird. Und dann wird die Frage sein, wenn die Städte erobert werden sollten, wie hält man die auf lange Sicht. Das ist die Frage, die beantwortet werden muss, und das kann nur gelingen über eine Wiederankurbelung des politischen Prozesses.

    Breker: Herr Ehrhart, die Europäische Union, also auch die Bundeswehr, sie will Ausbilder nach Mali schicken. Aber ist es nicht so: Ausgebildet wird doch immer in Lagern, und Lager sind dann wunderbare Ziele für Terroristen, für Islamisten?

    Ehrhart: Das Lager, wo ausgebildet wird, wird im Süden Malis liegen, nicht im Norden. Aber wie ich eben schon sagte: Dort können Kämpfer infiltrieren und entsprechende Attacken ausführen. Nicht umsonst ist ja die Schutzkomponente der ursprünglich auf 250 Ausbilder angesetzten Mission stark erhöht worden. Man weiß schon um die Gefahren.

    Breker: Nun betonen deutsche Politiker immer gerne, dass die Bundeswehr da nicht in einen Kampfeinsatz geht. Aber ist das nicht eigentlich irreführend, Herr Ehrhart, denn wenn sie angegriffen werden, müssen sie kämpfen. Das heißt, ob sie in einem Kampfeinsatz sind oder nicht, das bestimmt kein deutscher Politiker, das bestimmen die Islamisten vor Ort.

    Ehrhart: Das ist so. Die Bundeswehrsoldaten und diejenigen, die an dieser EU-Mission teilnehmen, haben ja Waffen, sie haben Waffen zum Selbstschutz, und es ist eine Schutzkomponente dabei. Das heißt, das sind dann Spezialkräfte, die den Schutz verursachen sollen, und die könnten natürlich in Kämpfe verwickelt werden, wenn sie angegriffen werden. Aber es muss festgehalten werden, dass der Auftrag dieser EU-Mission eben darin besteht, auszubilden und nicht in den Kampf zu ziehen.

    Breker: Etwas, Herr Ehrhart, verwundert ja. Es ist zirka zehn Monate her, dass die Islamisten den Norden Malis besetzt haben. Seither wird über eine Mission der Europäer unter Führung der Franzosen geredet. Es ist seit Langem klar, dass die Bundeswehr Ausbilder dort hinschicken will. Das alles war im Grunde eigentlich auch schon beschlossen worden. Aber jetzt akut geworden ist es durch einen völlig überraschenden Angriff der Islamisten, die vom Norden her gen Süden vorgedrungen sind. Hat das keiner gemerkt?

    Ehrhart: Das hat offenbar keiner geahnt, obwohl man es hätte ahnen können, denn ab März beginnt die Regenzeit und die Islamisten wissen natürlich auch um die UNO- und ECOWAS- und EU-Planungen. Das heißt, sie bleiben ja dann nicht ein Jahr sitzen und warten darauf, bis der Gegner kommt. Also haben sie den Angriff gesucht.

    Breker: Und die Franzosen sind deshalb in den Kampf eingestiegen, weil ansonsten Bamako gefallen wäre?

    Ehrhart: Das ist wahr, weil die malische Armee selbst ist im Grunde genommen handlungsunfähig. Sie ist seit dem Putsch zerfallen, sie ist zerstritten und sie sollte erst aufgebaut werden und dann einen Teil der Eingriffskräfte stellen, neben den ECOWAS-Truppen.

    Breker: Nun ist es ja so, dass die Kämpfe begonnen haben. Sie werden lange dauern, Herr Ehrhart?

    Ehrhart: Im schlimmsten Fall werden sie lange dauern. Die Franzosen hoffen ja, dass es relativ schnell gehen wird, und das bleibt abzuwarten, Kriegsverläufe sind nur schwer voraussagbar. Wenn sie lange dauern, stellt sich wirklich die Frage, wer da kämpfen soll, denn auch für die ECOWAS-Truppen gilt, die sollten erst für den Wüstenkampf ausgerüstet und ausgebildet werden.

    Breker: Es klang ein wenig schon durch in Ihren Antworten, Herr Ehrhart: Man muss realisieren, dass asymmetrische Kriege – das zeigt ja auch der Fall Afghanistan – eigentlich gar nicht zu gewinnen sind. Am Ende muss verhandelt werden.

    Ehrhart: Ja. In der Regel gibt es keinen klassischen Gewinner, wie das früher der Fall war, der sozusagen über den Sieg dem Gegner den Willen aufzwingen kann, sondern es muss über kurz oder lang ein Kompromiss gefunden werden. Der sogenannte politische Prozess muss angeschoben werden, und der ist natürlich jetzt sozusagen unterbrochen. Das war ja das Ziel und der eigentliche Grund für die Verzögerungen, dass man erst mal die zerstrittene Elite in Südmali dazu bringen wollte, den politischen Prozess intern in Gang zu bringen, sie dazu überreden wollte, sich mit den Touareg zu verständigen, und das hat ja alles nicht funktioniert. Und nun, durch diese Eskalation, ist auch dieser politische Prozess zunächst mal auf Eis gelegt, und je länger der Konflikt dauert, umso schwerer wird es sein, umso höher werden die Kosten sein und auch die Widerstände, diesen politischen Prozess wieder anzuschieben.

    Breker: Das heißt, der kluge Politiker beginnt jetzt schon, nach Gesprächspartnern für später zu suchen?

    Ehrhart: Das ist zentral, ja.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Hans-Georg Ehrhart. Er ist Hamburger Friedensforscher. Herr Ehrhart, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Ehrhart: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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