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Weltflüchtlingstag
Historiker: Flüchtlinge haben dauerhaft keine nachhaltige Lobby

Der Konflikt zwischen denen, die vermeintlich sesshaft sind, und denen, die erzwungenermaßen ihre Heimat verlassen müssen, beschäftigt uns seit der Bibel, sagte der Historiker Andreas Kossert im Dlf. Flüchtlinge müssten endlich als "Subjekte der Geschichte" ernstgenommen werden.

Andreas Kossert im Gespräch mit Anja Reinhardt |
Flüchtlingsunterkunft auf der griechischen Insel Lesbos am 21. März 2021
Flüchtlingsunterkunft auf der griechischen Insel Lesbos am 21. März 2021 (imago / Zuma Wire / Eurokinissi)
Mehr als 82 Millionen Menschen sind laut UNO Flüchtlingshilfe auf der Flucht, sie fliehen vor Krieg, Hunger, Folter, Sklaverei und den Folgen des Klimawandels. Noch nie wurden so viele Flüchtlinge registriert wie in den letzten Jahren. Heute, am Weltflüchtlingstag rufen viele Organisationen zu Solidarität mit Menschen auf der Flucht auf.
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Immer mehr Menschen fliehen weltweit – Europa nimmt immer weniger auf
Immer mehr Menschen fliehen weltweit, 2020 waren es laut einem Bericht des Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) insgesamt 82,4 Millionen. Das ist einer neuer Höchstwert – nach Europa kommen aber immer weniger.

Grundkonflikt in der Menschheit

Dabei sind Fluchtbewegungen, sogar Völkerwanderungen etwas, das es immer schon gab. Der Konflikt zwischen denen, die vermeintlich sesshaft sind und denen, die erzwungenermaßen ihre Heimat verlassen müssen, sei ein Grundkonflikt in der Menschheit, der uns seit der Bibel bis ins 21. Jahrhundert beschäftige, sagte der Historiker Andreas Kossert im Deutschlandfunk.
Grafik: "Immer mehr Menschen auf der Flucht"
Immer mehr Menschen sind nach UNHCR-Angaben weltweit auf der Flucht (dpa Grafik)
Was diese ganz konkrete Erfahrung für uns heute bedeutet, hat der Historiker in seinem Buch "Flucht – Eine Menschheitsgeschichte" auch aus der Sicht von Flüchtlingen und Vertriebenen zeigen wollen: Es geht um Abschied von der Heimat, meist für immer, gefolgt von der Ungewissheit der Wege der Flucht, aber auch der Ziele. Flüchtlinge wüssten nicht, was danach kommt, sagte Kossert – der Aufenthalt in Lagern und Transitzentren, Ausgrenzung, Integration, Assimilation oder permanentes Exil.

Integration – ein persönlicher Prozess

Kossert fordert, mehr über das Ankommen der Flüchtlinge zu sprechen: "Was meinen wir mit Integration?" Ankommen passiere nicht einfach automatisch und es sei ein sehr persönlicher Prozess, erläutert der Historiker. "Manchmal gelingt es, oft aber auch nicht." Flucht sei eine existenzielle Zäsur, die sich nicht einfach abschütteln lasse.
In Deutschland gab es 14 Mio. Vertriebene infolge des Zweiten Weltkriegs, das heißt eine kollektive Flucht- und Heimatverlusterfahrung. Dieser historische Resonanzraum habe möglicherweise 2015 in der Willkommenskultur eine Rolle gespielt, glaubt Kossert. Andererseits sei es ein immer wiederkehrendes Phänomen, dass Geflüchtete auf jene hinunterschauten, die nach ihnen kämen - eine Art von Integrationsstrategie, um die eigene Erfahrung vergessen zu machen.

Flüchtlinge als Bittsteller

Dass Flüchtlinge zu allen Zeiten in den Metaphern der Naturkatastrophe wahrgenommen würden, wenn es gilt, sie abzuwehren, zeige die Ambivalenz sesshafter Gesellschaften zwischen dem Eigenen und dem Anderen, meint Kossert. "Flüchtling" ist kein freiwilliger Status, das Pejorative werde von außen zugeschrieben.
Flüchtlinge würden auf Rolle von Bittstellern reduziert. Es seien Zuschreibungen von sesshaften Gesellschaften, so Kossert. In der Pandemie sei das Thema randständig geworden. Das zeige, dass Flüchtlinge dauerhaft keine nachhaltige Lobby haben. Wenn Flüchtlinge als "Subjekte der Geschichte" ernst genommen würden, würde sich "vielleicht dieser negative Touch" verlieren.

Flucht spielt in der Weltliteratur eine große Rolle

Die Weltliteratur sei für ihn ein "Türöffner" zum Thema gewesen. Das Thema Flucht habe dort eine große Relevanz und sei ein einigendes Band, das griechische, türkische, armenische oder deutschsprachige Literatur miteinander verbindet Vor allem die emotionalen Zwischenräume lassen sich literarisch fassen, z. B. Heimweh.
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Die Veranstaltungsreihe "Tage des Exils" gibt Menschen im Exil eine Stimme und die Möglichkeit, sich und ihre Kunst einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dabei gehe es auch darum, die persönlichen Erfahrungen in einen historischen Kontext zu setzen, sagte der Historiker Sven Tetzlaff im Dlf.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.