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Wahrzeichen und Technik-Ikone
125 Jahre Wiener Riesenrad

Geplant war das Wiener Riesenrad nicht als Wahrzeichen der Stadt - sondern als Demonstration der Ingenieurskunst und temporäre Attraktion im Prater. Die Geschichte des Rads ist aber auch die eines genialen Event-Managers – der es ab dem 3. Juli 1897 drehen ließ.

Von Beatrix Novy | 03.07.2022
Das Wiener Riesenrad im Prater im Gemeindebezirk Leopoldstadt ist ein Wahrzeichen Wiens.
Dreht sich seit 1897 - das Riesenrad auf dem Wiener Prater (picture alliance / blickwinkel/McPHOTO)
„Vom Magistrate der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien wird dem Herrn Gabor Steiner, Director des Englischen Gartens in Wien, die erbetene Bewilligung (erteilt), daselbst ein Riesenrad aus Eisenconstruction mit einem Durchmesser von 60,69 m und einer Gesamtbreite von 6,539 m zu errichten ...“
Der Satz zieht sich noch länger hin. Seine pompöse Ausdehnung entsprach der erschreckenden physischen Größe des Objekts, um das es ging. Erst nach langem Behördenkampf konnte der Theatermanager Gabor Steiner seine Idee verwirklichen: ein Riesenrad für den Wiener Prater, Symbol moderner Ingenieurskunst, wie nur Chicago, London, Blackpool eines hatten.

Das rastlose Unternehmergenie Gabor Steiner

Am 3. Juli 1897 nahm die enorme Eisenkonstruktion den Publikumsbetrieb auf. Natürlich hatten Gabor Steiner und der Ingenieur der britischen Eigentümer, der Firma Basset, Testfahrten gemacht und überlebt. Das „Illustrierte Wiener Extrablatt“ war erfreut.
„Das Programm des Englischen Gartens kann wohl durch nichts überboten werden. Nun kommt noch mit dem Riesenrade ein neuer Reiz hinzu.“

Ein Themenpark für das Fin de Siècle

Umstandslos bemächtigte sich die Wiener Bevölkerung auch dieser Novität im trubeligen Unterhaltungsangebot des Praters. Ein Stück davon, den ehemaligen Kaisergarten, hatte ein rastloses Unternehmergenie gepachtet und es „Englischer Garten“ genannt: Gabor Steiner. Hier baute er, gut einhundert Jahre vor Las Vegas, die Stadt seiner Träume nach: Venedig in Wien. Mit Campanile, Palazzi, Kanälen, Gondolieri.
Ein Themenpark für die Spaßgesellschaft des Fin de Siècle; gleichzeitig realer Ort für Konzerte, Bankette, Kabarett, Theater, Tanz und allerlei Circensisches. Dazu freizügiges Anbandeln, süße Mädel, Ehebruch und die weniger netten Seiten nächtlicher Enthemmung in einem Schmelztiegel aller Klassen.
„Gabor Steiner! Ich habe eine Vorliebe für diesen Mann. Wie dankbar können ihm alle Wiener sein! Ohne ihn müsste man schamrot werden, wenn uns ein Fremder im Sommer fragen würde: ‚Wo soll ich den Abend verbringen?‘“
Notierte anerkennend der hoch-berühmte Adolf Loos, Architekt, Modernist, Kritiker, Flaneur. Und weiter: „Dieser Mann ist ein unverbesserlicher Idealist. Was er verdient, steckt er sicher wieder hinein. Nicht in seine Tasche.“

Das Riesenrad als behäbiger Saurier in den Zeitläuften

Ja, Gabor Steiner hatte immer etwas vor. Das Volk wollte Abwechslung. Wiens Mimikry-Venedig wurde demontiert, andere Themen und Namen kamen und gingen - das Riesenrad kam und blieb. Wie der Eiffelturm hatte es nur ein paar Jahre stehen sollen - stattdessen überstand es Straßenkämpfe, zwei Weltkriege, Bomben und Besatzer. Ungerührt schaute es auf das triste Ende des "kleinen Wiener Broadway", also der reichhaltigen, jüdisch geprägten Bühnenkultur in der Praterumgebung. Ebenso wenig beachtet wurde 1938 die Enteignung und Ermordung seines Besitzers, der es nach dem Ersten Weltkrieg erworben hatte:
„Zweiter Bezirk: Prater – Riesenrad: Eigentümer: Eduard Steiner, geboren 1884 in Blatna. Gestorben 1944 in Auschwitz.“
So nüchtern hat  die das Historikerduo Tina Walzer und Stephan Templ diese Tragödie – eine von unzähligen, dokumentiert: Wer als Jude nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland etwas besaß, dem wurde es weggenommen – „arisiert“. Und weiter:
„Profiteure: Wilfert Alfons, 40 Prozent , Michna, Johann 20 Prozent , Öhlwein Franz 20 Prozent und Oertel, Josef 20 Prozent."- Euard Steiners Familie blieb unentschädigt - das Riesenrad geliebtes Wahrzeichen der Stadt Wien, verewigt in Film, Literatur, Wienerlied, Schlager, Operette.
Unter den immer dynamischer konzipierten Fahrgeschäften im modernen Prater ist das Riesenrad mit seinem sehr gemächlichen Duktus ein behäbiger Saurier. Gegen die Unbill der Langsamkeit wurde jetzt ein Quentchen Adrenalin eingebaut: eine gläserne Plattform, von der aus die kunstvolle Stahlkonstruktion bewundert - und der Abstand zur Erde noch lustvoller gefürchtet werden kann.