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125. Geburtstag des Schriftstellers
William Faulkner - Schreiben mit emotionaler Autorität

William Faulkner wusste: "Es ereignet sich nichts Neues. Es sind immer dieselben alten Geschichten, die von immer neuen Menschen erlebt werden." Er hat einige dieser Geschichten aufgeschrieben - und bildete mit Joyce und Proust ein Dreigestirn der Literatur des 20. Jahrhunderts.

Von Christian Linder | 25.09.2022
Der US-amerikanische Schriftsteller William Faulkner sitzt mit einer Pfeife in der Hand in einem Sessel
Der US-amerikanische Schriftsteller William Faulkner (picture alliance / AP )
Mit seinem Widerwillen, außerhalb seiner Bücher von sich selbst zu sprechen, hat William Faulkner viele Legenden um seine Person genährt.
"Ich bin ... auf der Genfer Friedenskonferenz zur Welt gekommen, Vater ein Alligator, Mutter eine schwarze Sklavin."

Freunde drängten zur Annahme des Literaturnobelpreises

Tatsächlich geboren wurde William Faulkner in New Albany im amerikanischen Bundesstaat Mississippi, am 25. September 1897 und in eine hochangesehene Südstaaten-Familie hinein. Später lebte er in Oxford, ebenfalls in Mississippi, und verwandelte schreibend diesen Ort in die fiktive Kleinstadt Jefferson, gelegen in der ebenfalls erfundenen Landschaft Yoknapatawpha County, ein indigener Name für ein »lang fließendes Wasser«.
Abgesehen von einer Zeit in den 1930er-Jahren in Hollywood, als Drehbuchautor des Regisseurs Howard Hawks, hat Faulkner seinen Wohn- und Arbeitsort und die Südstaatenlandschaft seiner Herkunft kaum verlassen. Enge Freunde mussten ihn erst vehement bedrängen, 1950 wenigstens den Nobelpreis für Literatur in Stockholm persönlich entgegenzunehmen. Der aber wohl nicht ihm als Person, sondern seinem Werk gelte: "I feel that this award would not made to me as a man but to my work …"
Die Aufgabe des Schriftstellers, sagte Faulkner in Stockholm, bestehe darin, den Menschen zu erinnern "an Mut und Ehre und Hoffnung und Stolz und Erbarmen und Mitleid und Opfer – an den Ruhm seiner Vergangenheit". Der gewaltige Kosmos, den er in Romanen und Erzählungen wie "Schall und Wahn", "Die Freistatt", "Licht im August" oder "Absalom, Absalom" entworfen hat, gründete auf diesen Eigenschaften.
Vor die Wahl gestellt zwischen dem Leid und dem Nichts, wähle ich das Leid."
Ein Schlüsselsatz, aber es gibt noch viele andere. Der berühmteste lautet: "Das Vergangene ist niemals tot. Es ist nicht einmal vergangen."

Schöpfer einer universellen Welt

Vor dem Hintergrund dieser Einsicht und der Mythen der amerikanischen Geschichte, der unverheilten Wunden und Narben des Bürgerkriegs und der laufenden Rassenkonflikte hat Faulkner zugleich eine universelle Welt geschaffen und in oft wie biblische Passionsgeschichten zu lesenden Büchern seine Personen auf eine lange Reise geschickt, um herauszufinden: "Ob ich der bin, der ich zu sein glaube, oder ob ich mich nur Hoffnungen hingebe; ob ich wirklich tun werde, was ich als recht erkannt habe, oder ob ich mich nur danach sehnen werde, es zu tun.“

Was Faulkner vom Schriftsteller verlangte

An diesem sich selbst gestellten Auftrag hat Faulkner immer festgehalten. Anlässlich der Nobelpreisverleihung kam er während des Europaaufenthalts auch nach München und sprach in diesem Zusammenhang erneut über die Aufgabe des Schriftstellers: "Er muss vor allem dem Regulierungsdruck widerstehen, der von Maschinen, Ideologien oder von der Politik ausgehen kann. Er muss ein Individuum sein, er muss sich erinnern, dass das Wichtigste auf der Welt heute das Individuum ist.“

Im rhythmischen Fluss ausufernder Sätze

Die emotionale Autorität von Faulkners Schreiben beruhte aber niemals nur auf seinen Stoffen, sondern auch seinen Schreibtechniken. Vor allem James Joyce‘ Darstellung des inneren Bewusstseinsstroms in dessen Roman "Ulysses" konnte er für die Entwicklung seiner eigenen persönlichen Schreibweise nutzen. Berühmt der rhythmische Fluss von Faulkners ausufernden Sätzen, in denen er alles auf einmal unterzubringen versuchte, den unterirdischen Verlauf der Geschichte.
Gut und Böse, das Leiden von Unschuldigen, auch die Kraft des Eros – das blieben seine Themen, die er bis zur physischen Erschöpfung ausgeschrieben hat. Bis zum Ende seines Lebens – er starb 1962 – hielt er auch fest an seinem Vorsatz, Fragen zu seinen persönlichen Schreibmotiven abzuwehren: Ach, er sei doch nur ein Farmer, der gelegentlich geschrieben habe. Beim geliebten Whiskey verriet er aber doch einmal, von welchen Größenphantasien er insgeheim angetrieben worden war: „Ich stelle mir gern jene Welt, die ich geschaffen habe, als eine Art Schlussstein im Universum vor, den man – mag er auch noch so klein sein – nicht entfernen kann, ohne dass das Universum einstürzt."