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"Wir kämpfen wirklich jeden Tag"

Der Arabische Frühling war und ist eine Revolution der jungen Generation. Die Jungen haben ihre Forderung nach Freiheit und Demokratie von der Straße in die Hochschulen getragen. Tunesien und Ägypten waren die beiden ersten Staaten, in denen die Revolution ausbrach - dort ist nun der Kampf um die Unabhängigkeit der Universitäten in vollem Gange.

Von Miriam Kuck | 27.02.2012
    Von der Arabellion zur Alltagsrevolution – die Universitäten in Ägypten und Tunesien waren zwar nicht Ausgangspunkt der Proteste, hier aber kämpfen Studenten und Dozenten jetzt jeden Tag um ihre Rechte. An den ägyptischen Universitäten findet der Machtkampf an drei Fronten statt: Es geht um studentische Mitbestimmung, die freie Wahl von Universitätspersonal wie Rektoren und Dekanen sowie mehr Geld für Bildung. Vor der Revolution dominierte der ägyptische Sicherheitsapparat aus Polizei und Geheimdiensten die Hochschulen, erinnert sich Randa Aboubakr, Professorin für Englische Literaturwissenschaft an der Universität Kairo.

    "Wenn hohe Positionen in den Universitäten besetzt wurden, musste das vom Sicherheitsapparat abgesegnet werden, obwohl das Gesetz das gar nicht vorsieht. Bei Studentenwahlen mussten vorher die Namenslisten eingereicht werden, regelmäßig haben die Sicherheitsbehörden dann ganze Listen abgelehnt. Und wir wissenschaftlichen Mitarbeiter brauchten für jede Reise eine Erlaubnis."

    Die Sicherheitsbehörden seien vor der Revolution immer auf dem Universitätsgelände präsent gewesen.

    "Die Polizei hatte Büros auf dem Campus – offiziell war es die Polizei, wir wussten aber, dass sie auch den Geheimdienst repräsentieren. Jetzt darf die Polizei das Universitätsgelände nicht mehr betreten."

    Auch wenn in Ägypten noch immer der Militärrat das Land regiert, haben sich Polizei und Militär aus den Universitäten zurückgezogen. Das akademische Leitungspersonal ist dagegen überwiegend das gleiche wie unter Mubarak, auch wenn es heute gewählt anstatt ernannt wird. So ließ sich der Präsident der Universität Kairo nach der Revolution zwar durch eine Wahl im Amt bestätigen, die einzigen Gegenkandidaten waren jedoch eigene Gefolgsleute. Mithilfe der Wahlen geben sich ägyptische Universitäten den Anstrich von Demokratie, obwohl sich die Abstimmungen selbst kaum demokratisch nennen lassen. Randa Aboubakr selbst wurde von ihren Kollegen zur Dekanin der geisteswissenschaftlichen Fakultät gewählt, aufgrund ihrer Rolle in der Revolution jedoch vom Universitätspräsidenten nicht anerkannt. Die jetzigen Wahlen bezeichnet sie als reine Farce.

    "Es gibt zum Beispiel keine Mindestwahlbeteiligung. Wenn von vierhundert Mitarbeitern nur der Dekan und sein Freund abstimmen, ist das eine gültige Wahl."

    Die ägyptischen Studenten seien jedoch seit der Revolution hochgradig politisiert, gemeinsam beobachte man die Universitätsleitung genau. Ganz anders haben sich die Dinge nach dem arabischen Frühling in Tunesien entwickelt: Dalenda Largueche, Geschichtsprofessorin an der La Manouba-Universität in Tunis, erzählt von immer häufigeren Begegnungen mit radikal religiösen Studenten aus dem Lager der Salafisten. Die größte Veränderung seit der Revolution seien die vielen Studentinnen mit Gesichtsschleier, dem Niqab:

    "Seit drei Monaten erleben wir eine Krise um den Niqab. Wir Professoren haben entschieden, dass wir in den Seminarräumen keine Studentinnen mit Gesichtsschleier dulden. Ich kann mit einer Studentin keine Verbindung herstellen, wenn ich ihr Gesicht nicht sehe. Aber das Problem mit solch extremistischen Studenten ist: Sie akzeptieren unsere Entscheidungen nicht."

    Nachdem Salafisten die La Manouba-Universität Ende vergangenen Jahres besetzt hatten, kommt es jetzt regelmäßig zu tumultartigen Szenen vor Seminarräumen. Salafistengruppen versuchen, den Zugang von vollverschleierten Studentinnen zum Seminar zu erzwingen:

    ""Sie sind sehr gewalttätig und versuchen ihre Gesetze durchzusetzen. Wir kämpfen wirklich jeden Tag"."

    Das zuständige Bildungsministerium drückt sich um eine Entscheidung zum Gesichtsschleier an tunesischen Hochschulen. Religiöse und gesellschaftliche Konflikte werden so an den Universitäten im Kleinen ausgetragen. Mit seinen verschiedenen Folgen ist der arabische Frühling an den Universitäten in Ägypten und Tunesien angekommen, sein langer Marsch durch die Institutionen aber ist alles andere als abgeschlossen. Ein Ende des Machtkampfes ist nicht in Sicht, sagt Sahar Abdelhakim, Professorin für Kulturstudien an der Universität Kairo:

    ""The revolution is still ongoing. And it's going to stay with us for a good while.”"