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"Wir müssen aus jeder Katastrophe ein positives Testament ziehen"

Holger von Neuhoff, der an einer Expedition zum Wrack der Titanic teilgenommen hat, sagt, das der Tauchgang bei ihm Demut vor der Geschichte ausgelöst habe. Der gesunkene Luxusliner werde uns - literarisch wie emotional - noch lange beschäftigen, ergänzt der Kurator der Titanic-Ausstellung im Hamburger Maritim Museum.

Holger von Neuhoff im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Reith: Am 14. April 1912 begann die Unsinkbare zu sinken. Die Titanic, das damals größte Schiff der Welt, hatte vier Tage zuvor erst den Hafen von Southampton verlassen und lag kurz vor Neufundland, als sie dann einen Eisberg rammte um kurz vor Mitternacht und mit sich Hunderte Menschen in den Tod riss. Seitdem wurde der Untergang erforscht, unzählige Male verfilmt und dokumentiert. Holger von Neuhoff war 1996 bei einer Expedition zum Wrack der Titanic dabei, und er hat die Ausstellung "Titanic - 100 Jahre Untergang" konzipiert, die heute Abend im internationalen Maritimen Museum in Hamburg eröffnet wird. Er beschäftigt sich seit bald 30 Jahren mit eben jenem Thema und hat, wie Sie gleich sehr schnell merken werden, einen ganz eigenen, einen philosophischen Blick auf die Ereignisse und ihre Bedeutung. Zuerst wollte ich von ihm wissen, wie es dazu kam, dass er begonnen hat, sich mit der Titanic zu beschäftigen.

    Holger von Neuhoff: Das waren damals so die gesellschaftlichen Verhältnisse, die mich dahin gebracht haben. Also ich war sicher vielleicht oftmals schon ein nachdenklicher Mensch, und mir ist Enzensberger in die Hände gefallen "Der Untergang der Titanic". Und er beschreibt auch so existenzielle Fragen und gesellschaftliche Probleme. Und das ist eigentlich so der Kernpunkt. Ich saß da und hab den neunten Gesang gelesen. Der dann so losging: Dann sind die Schotten dicht, alle Maschinen gestoppt, wie still es jetzt ist - jetzt auf einmal so still wie um vier Uhr früh ein Hotelzimmer. Wenn du je aus dem Schlaf fährst und horchst - kein Lebenszeichen. Und das endet eigentlich, dieser Gesang: Nun wäre dir selbst ein Einbruch willkommen, eine Haussuchung, ein Knacken im Heizungsrohr, nie wieder wird es trocken und still sein wie jetzt. Und das, was er so thematisierte, so der Untergang, der hat mich dann stark beschäftigt. Also eher auf einer anderen Ebene als auf der historischen.

    Reith: Was genau hat Sie daran so gepackt, so fasziniert?

    von Neuhoff: Dass man gesellschaftliche Verhältnisse dran ableiten kann. Dass man, wenn die Gesellschaft viele Fragezeichen hat und wo sie hingeht und dass sie oftmals weiß, in welchen Gefahren und in welchen Problemen sie steckt. In dem Moment sucht man sich solche Projektionsflächen. Das ist manchmal auch eine Hilflosigkeit, und man sieht dann so dieses Wrack der Titanic auch in einer Zeit untergegangen, wo es um Auswanderung, um neue Hoffnung ging, um gigantische Technologie. Und diese ganzen Wünsche und Hoffnungen, die gehen auf einmal auf dem Atlantik unter. Und da können Sie auch in unserer heutigen Zeit natürlich Parallelen sehen.

    Reith: Wie haben Sie dann begonnen, sich ganz praktisch sozusagen mit der Titanic zu beschäftigen. Sie waren 1996 bei einer Expedition zum Wrack dabei. Wie kam es dazu?

    von Neuhoff: RMS Titanic, die Rechteinhaber in New York damals, auch immer noch, die habe ich angeschrieben und habe einfach gefragt, ob es möglich ist, die europäischen Rechte für die Exponate und für Ausstellungen zu bekommen. Und da kam natürlich so ein schriftliches Lächeln zurück, und ich sollte doch mal ein Konzept schreiben. Und ich hab dann mit unterschiedlichen Museen, die ich aufgesucht habe, also in England, in Dänemark, in Schweden, habe ich gemeinsam ein Konzept gemacht. Und die Rechte wurden damals vergeben, weil eben gerade darauf achtgegeben wurde, dass da Kuratoren oder Museen dahinterstehen, und die haben alle gesagt, das ist ein relativ gutes Konzept, und da hat RMS Titanic irgendwann gesagt, dem geben wir die Rechte. Und so habe ich damals die große Ausstellung in Hamburg gemacht, mit vielen natürlich gemeinsam. Und so haben mich auch die Amerikaner irgendwann ernst genommen.

    Reith: Und dann kamen Sie auch irgendwann auf diesem Wege zum Wrack selbst. Wie lief das ab, wie war diese Expedition?

    von Neuhoff: Letzten Endes sind wir von Neufundland aus gestartet mit Ifremer, das ist ein französisches Forschungsinstitut, mit diversen Historikern, mit natürlich Forschern von Ifremer, also eine ganz gute Besatzung. Und dann mit der Nautile hat man mehrere Tauschgänge gemacht zum Wrack, hat Filmaufnahmen gemacht, also Videoaufnahmen, und ich hab die ganzen Exponate, die herausgekommen sind, haben wir dann mit den Historikern besprochen, begutachtet. Und so ist auch ein Teil des Konzeptes dann noch mal detailliert entstanden.

    Reith: Was konnten Sie denn sehen, wie nahe konnten Sie drankommen?

    von Neuhoff: Es gab die Nautile, mit der bin ich nicht heruntergegangen. Die ist ja auf 3800 Meter runtergegangen. Wir hatten aber Jules und Jim dabei, das sind zwei Subs, also zwei Tauchboote, die praktisch auf etwa 350 Meter gehen, und die haben Nautile, das Hauptboot begleitet, und da wurden Filmaufnahmen gemacht. Da bin ich einmal mitgefahren.

    Reith: Und welche Eindrücke haben Sie dann bekommen?

    von Neuhoff: Das hat was mit tiefer Demut zu tun, wenn man in die Tiefsee langsam abtaucht. Und mit der Demut auch letzten Endes vor der Geschichte, die da untergegangen ist und die wir in Perioden wieder heben und sie thematisieren.

    Reith: Wie müssen wir uns vorstellen, welchen Blick hatten Sie damals? Lassen Sie uns teilhaben, was Sie gesehen haben von dem Wrack.

    von Neuhoff: Wir haben damals sogenannte Edison-Light-Tower gesetzt an das Wrack selber, an den Bug, und so konnte man natürlich die starken, nicht nur Konturen, sondern das Wrack selber ganz stark sehen, also auch sehr exakt. Diese Light-Tower hatten mehrere Lichter, die wurden dann angemacht, und so hatten wir natürlich einen sehr, sehr guten Blick auf die Titanic selbst.

    Reith: Sie haben eben schon von dem Gefühl der Demut gesprochen. Was war das für ein Moment für sie, die sich ja schon lange zuvor auch so theoretisch mit der Titanic beschäftigt haben?

    von Neuhoff: Wenn ich ehrlich bin, dann sage ich Ihnen: Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich irgendwann sterben werde. Und das habe ich da gefühlt. Und darin liegt eine Chance und auch eine Hoffnung. Zu sagen, ich weiß das, also mach alles daraus in deinem Leben. Und das ist auch die Konsequenz von dieser Fahrt gewesen und von der Ausstellung, zu sagen, für was setze ich mich ein in dieser Gesellschaft, und wo fühle ich mich wohl?

    Reith: Das heißt, für Sie ist die Titanic eher ein Symbol, aus dem Sie vieles auch für Ihr Leben ableiten können?

    von Neuhoff: Es war ein Symbol, aus dem ich so eine Wertemesslatte natürlich immer wieder gelegt habe. Und habe gefragt, also wo stehst du jetzt? Und ich bin dann ganz stark in die Meeresforschung hineingegangen, engagiere mich da immer noch für dieses System Erde. Praktisch bin ich über unsere Geschichte - bin ich zur Erde gekommen.

    Reith: Und wie versuchen Sie das, was Sie persönlich aus diesen Erlebnissen ziehen, nun in Ihren Ausstellungen und in der Ausstellung, die heute Abend in Hamburg eröffnet wird, rüberzubringen.

    von Neuhoff: Wir müssen aus jeder Katastrophe auch ein positives Testament ziehen. Das heißt, Testament heißt in diesem Sinne, was hat sich auch durch die Titanic verändert? Das ist natürlich bei dem maritimen Aspekt hier im Museum ist das die Schiffssicherheit, ist das der Funkverkehr, der sich weltweit, sagen wir mal, auf das SOS arrangiert hat. Ist das auch, dass wir mit der Technologie, und das thematisieren wir sowieso hier im Museum, natürlich nicht erhaben sind. Wir sind nur Menschen, und das ist Chance und manchmal Katastrophe zugleich.

    Reith: Würden Sie sagen, dass nun, 100 Jahre nach dem Sinken der Unsinkbaren, alle Geheimnisse dieses Schiffes und der Katastrophe gelüftet sind.

    von Neuhoff: Ich glaube, wir werden immer wieder Geheimnisse generieren, weil wir sie auch suchen. Also weil der Mensch natürlich immer danach trachtet: Was gibt es da noch zu entdecken? Und faktisch ist für mich eigentlich, was das Technische angeht, ist alles gelüftet worden. Was das Literarische, was das Emotionale angeht, werden wir noch sehr, sehr lange uns mit dem Wrack beschäftigen.

    Reith: Der Ausstellungsmacher Holger von Neuhoff war in den 1990er-Jahren bei einer Expedition zum Wrack der Titanic dabei, die an diesem Wochenende vor 100 Jahren gesunken ist. Er hat außerdem die große Titanic-Ausstellung im Internationalen Maritimen Museum in Hamburg konzipiert, die heute Abend eröffnet wird.

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