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"Wir müssen den Mittelstand entlasten"

Im Aufschwung sparen, aber auch über die "längst überfälligen Steuervereinfachungen" entscheiden, das will Georg Fahrenschon, Finanzminister in Bayern. Er hält das deutsche Steuerrecht in weiten Teilen für "leistungsfeindlich, demotivierend und auch intransparent".

Georg Fahrenschon im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Auch gute Nachrichten können für Verwirrung, für Zank und für Streit sorgen. Bei der neuen Steuerschätzung ist das sogar sehr wahrscheinlich. Streit wieder einmal in der Koalition über die Finanzpolitik. Ganz praktisch steht nämlich die Frage im Raum, wohin mit den 62 Milliarden Euro, die der Staat mit großer Wahrscheinlichkeit mehr einnehmen wird, als noch vor einigen Monaten erwartet. 62 Milliarden mehr als ausgerechnet, das ist offenbar die Prognose der Steuerschätzung, die heute Mittag offiziell vorgelegt wird. Die FDP fordert als Konsequenz runter mit den Steuern. Die Kanzlerin sagt, mit mir nicht, wir müssen konsolidieren. Am Telefon ist nun der bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU). Guten Morgen!

    Georg Fahrenschon: Grüß Gott und guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Fahrenschon, sind Sie denn wenigstens ein Steuersenker?

    Fahrenschon: Also ich glaube, man kann einfach feststellen: Die Wirtschaft erholt sich, die erneuten Prognosen sind überraschend gut, und ich glaube einfach, dass es angesichts dieser Entwicklung keine steuerpolitische Blockade geben kann. Ich halte es auch für falsch, wenn man das Zusammenspiel zwischen Steuer- und Finanzpolitik und Wirtschaftsentwicklung nur eindimensional ansieht. Steuerpolitik ist ein zentraler Hebel, über Steuerpolitik kann man Wachstum mobilisieren und insbesondere weitere Leistungskräfte entfesseln. Deshalb ist das eine wichtige Debatte. Ich würde nicht von Streit reden wie in Ihrem Vorbericht, aber ein Ringen, glaube ich, ist hier schon angebracht.

    Müller: Dann reden wir über das Ringen. Das heißt, Sie sind auf Seiten der FDP?

    Fahrenschon: Ich halte es für ganz klar, dass wir im Aufschwung sparen und konsolidieren müssen, aber gleichzeitig halte ich es auch für dringend notwendig, über längst überfällige Steuervereinfachungen zu entscheiden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das deutsche Steuerrecht in weiten Teilen leistungsfeindlich, demotivierend und auch intransparent ist. Und deshalb stehe ich für die CSU auf dem Standpunkt, dass wir jetzt über Steuerentlastungen reden müssen, und zwar auf dem Wege von Steuervereinfachung. Höhere Pauschalen für Arbeitnehmer, für Familien mit Kindern entlasten die Steuerzahler von lästiger Zettelwirtschaft und ich glaube, dass wir diese Diskussion zu führen haben.

    Müller: Herr Fahrenschon, von Vereinfachung reden ja viele. Für Sie ist Vereinfachung auch klipp und klar eine Senkung?

    Fahrenschon: Ja, selbstverständlich! Wir können doch jetzt nicht Vereinfachungen im System vorschlagen, die wir an anderer Stelle wieder einkassieren. Es muss uns doch einfach beschäftigen, dass angesichts dieser zunehmender wirtschaftlichen Erholung jetzt wir einen weiteren Schritt nach vorne machen müssen. Denn wir können doch nicht zulassen, dass Gehaltssteigerungen bei den Arbeitnehmern von der Steuer wieder aufgefressen werden. Insoweit halte ich es für dringend notwendig, dass wir die Einkommenssteuerzahler an einigen entscheidenden Stellen dadurch entlasten, dass wir unser Steuerrecht vereinfachen.

    Müller: Warum hat der Schuldenabbau, die Haushaltskonsolidierung für Sie keine Priorität?

    Fahrenschon: Ich glaube, dass man an der Stelle einfach deutlich machen muss, dass wir mit der Steuer- und Haushaltspolitik nicht nur in einer 0:1-Entscheidung stehen. Für uns steht fest - und da müssen sich die Bayern auch nichts vorhalten lassen -, den Haushalt konsolidieren, in die Zukunft investieren und gleichzeitig aber Bürger und Mittelstand entlasten. Das scheint der Dreiklang zu sein, der in den letzten zwei Jahren im Kampf gegen die Krise eine ganz wichtige, eine zentrale Rolle gespielt hat.

    Deshalb geht es uns doch jetzt darum, dass wir auch in der Zukunft genau an diesen drei Punkten auf die öffentlichen Kassen Acht geben, uns darüber im klaren sind, dass wir trotzdem eine Vorwärtsbewegung brauchen, in unterschiedliche Zukunftsfelder investieren müssen und gleichzeitig eben Leistungskräfte entfesseln müssen. Und das heißt, wir müssen Bürger und Mittelstand entlasten.

    Müller: Sie werden ja, Herr Fahrenschon, bei dieser Position auf eine eiserne Kanzlerin treffen, wenn wir das richtig bislang jedenfalls verstanden haben. Was wollen Sie dann machen?

    Fahrenschon: Ich stelle fest, dass Angela Merkel sich sehr intensiv auch mit diesen Themen immer auseinandergesetzt hat. Ich gebe zu, dass wir jetzt in diesem Jahr, in den letzten Monaten im Jahr 2010, wenig über die Vorschläge des Bundesfinanzministers hinaus erreichen werden können, aber das Jahr 2011 wird das Jahr sein, in dem wir darüber uns zu unterhalten haben, wie wir für das Steuerrecht 2012 weitere Schritte umsetzen können. Und ich kann nur noch mal sagen: An der Stelle muss man jetzt nicht über Tarifsenkungen auf breiter Front reden, die werden wir nicht finanzieren können, das ist unstrittig.

    Aber es gibt verschiedene Schwierigkeiten im deutschen Steuerrecht, von der Arbeitnehmerveranlagung über die Verrechnung von Kinderbetreuungskosten, das Zusammenspiel von Angeboten zum Abzug von Handwerkerrechnungen und haushaltsnahen Dienstleistungen, das funktioniert alles nicht und an der Stelle, glaube ich, ist es wert, dass wir über Entlastung, über Vereinfachung zu einer Entlastung kommen. Diesen Zusammenhang, den, glaube ich, werden wir in den nächsten Monaten intensiv ausleuchten müssen.

    Müller: Also das heißt, die Kanzlerin muss das, was Sie gerade gesagt haben, alles noch begreifen?

    Fahrenschon: Nein. Sie hat sehr wohl schon die ersten Signale gegeben. An der Stelle ist unstrittig, dass wir über Veränderungen zum Jahr 2012 reden, und ich glaube, es ist auch immer vernünftig, wenn CDU und CSU deutlich machen, dass sie Steuerpolitik aus Sicht der Menschen, der Steuerzahler und nicht der Steuerbürokratie begreifen. Da sehe ich auch keinen Dissens.

    Müller: Und das ist ja auch besser, wenn man das kurz vor den nächsten Wahlen macht?

    Fahrenschon: Nein! Es ist an der Stelle einfach der nächste logische Schritt. Wir haben in den letzten zwei Jahren die Einkommenssteuer gesenkt. Wir haben uns jetzt vorgenommen, dass es im Wesentlichen darum geht, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im unteren und im mittleren Einkommensbereich zu entlasten, weil die nicht bestraft werden dürfen. Da ist das Stichwort der Technik ja die Kalte Progression, die im Grunde Lohnerhöhungen wieder wegfrisst. Das können wir nicht zulassen. Und dieser nächste Schritt muss gepaart sein, noch einmal, mit einem Ausmisten im deutschen Steuerrecht. Ich plädiere dafür, dass wir Pauschalen hochsetzen. Das entlastet die Menschen von wirklich lästiger Zettelwirtschaft und am Ende ist es auch immer ein Vorteil für die Steuerverwaltung, weil wir dann die Prüfer an die Stellen schicken können, wo wirklich was zu holen ist.

    Müller: Herr Fahrenschon, jetzt muss ich Sie noch einmal pieken. Weil wir jetzt so viel Geld einnehmen, wie wir es zumindest ja nicht erwartet haben, kommen Sie um den wunden Punkt herum, die Hotelsteuer noch einmal raufzusetzen?

    Fahrenschon: Das steht überhaupt nicht zur Diskussion. Wir haben an der Stelle, ich glaube, in weiten Teilen der Branche wirklich positivste Erfahrungen. Die Hoteliers im gesamten süddeutschen Raum und auch in Norddeutschland, auch diejenigen, die in den großen Städten im Wettbewerb mit Paris, mit Rom, mit London stehen, investieren.

    Wir merken einfach, dass die Tourismusbranche für Deutschland auch eine wichtige Wachstumsbranche ist, und deshalb haben wir da eine gute Lösung gefunden, die gleich in den ersten 100 Tagen der neuen Bundesregierung auch verwirklicht wurde. Deshalb ist es für mich eher der Ansatz zu sagen, es ist offensichtlich, unser Mehrwertsteuerrecht hat in den letzten 40 Jahren an verschiedenen Ecken Staub angesetzt, da auch frischen Wind reinzubringen. Kein Mensch kann erklären, wie das mit den Babywindeln einerseits und dem Tierfutter andererseits ist. Das ist eine wichtige zusätzliche Aufgabe. Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, unser Steuerrecht auszumisten, über Vereinfachungen zu Entlastungen zu kommen.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Fahrenschon: Gerne! Auf Wiederhören!