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"Wir werden in jedem Falle schuldig"

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat eine Debatte um den möglichen Abschuss entführter Passagierflugzeug entfacht. Aus Sicht von General a.D. Manfred Eisele ist die Frage nicht allein juristisch zu klären.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Die Aussage von Verteidigungsminister Jung, auch ohne klare Rechtsgrundlage den Abschussbefehl auf ein Passagierflugzeug zu geben, hat außer den Empörungsrufen in der politischen Arena auch eine Diskussion unter den Betroffenen ausgelöst. Der Bundeswehrverband riet den Soldaten, einen solchen Befehl zu verweigern, weil es sich um Totschlag handeln würde. Dagegen sagte der Inspekteur der Luftwaffe, Klaus-Peter Stieglitz, der Deutschen Presse-Agentur, da gibt es gar keine Diskussion. Offiziere haben ihre Befehle zu erfüllen.

    Was gilt nun, Befehl oder Gewissen? Zu dieser Frage begrüße ich den Generalmajor a.D. Manfred Eisele, der auch beigeordneter UNO-Generalsekretär war. Guten Morgen Herr Eisele.

    Manfred Eisele: Grüß Gott Herr Liminski!

    Liminski: Herr General, der Bundeswehrverband empfiehlt den Soldaten und Piloten, den Gehorsam zu verweigern. Ist der Soldat seinem Gewissen stärker verpflichtet als einer Kommandostruktur?

    Eisele: Das kann man so einfach sicher nicht beantworten. Für Christen stellt sich in kritischen Situationen sicher die grundsätzliche Frage und die Antwort darauf lautet, man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Insofern ist die Frage nach dem Gewissen nur ganz persönlich zu beantworten. Für die Soldaten aber ist der Sachverhalt relativ eindeutig geklärt im Soldatengesetz, das seit 1956 in Kraft ist. Da gibt es einen ausdrücklich auf den Gehorsam bezogenen Paragrarf 11. In dessen erstem Satz steht, der Soldat muss seinen Vorgesetzten gehorchen. Im zweiten Absatz heißt es, ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Nun könnte man sagen, damit ist eigentlich alles eindeutig geklärt.

    Aber man muss auch sehen, dass sich insbesondere im Hinblick auf Auslandseinsätze der Bundeswehr die Sachlage etwas verändert hat, denn mit dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, dem Statut von Rom, wird die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen, vom Gefreiten bis zum Staatspräsidenten, für sein Tun eindeutig herausgestellt und man kann sich also nicht, wie das im Zweiten Weltkrieg durchaus regelmäßig der Fall gewesen ist, darauf berufen, dass man auf Befehl gehandelt habe.

    Jürgen Liminski: Haben Sie denn selber schon mal die Erfahrung gemacht, dass Offiziere Ihren Befehl verweigert haben, also nicht blind gehorchen?

    Manfred Eisele: Ja, das könnte man so sagen. Zunächst muss man eindeutig feststellen: Das Gesetz macht keinen Unterschied hinsichtlich der Gehorsamspflicht zwischen den einzelnen Dienstgradsgruppen. Das heißt der Gefreite und der General unterliegen dem gleichen Gesetz. Der Fall, auf den Sie anspielen, geschah bei einer großen Heeresübung, bei der meine Brigade als Feind "rot" den Auftrag hatte, über die Elbe hinweg die "blauen" Verteidiger anzugreifen. In dieser Situation haben sich die Vertrauensmänner von 27 der 29 Kompanien dieser Brigade individuell bei ihrem Brigadekommandeur gemeldet und haben gesagt, sie hielten die Teilnahme an diesem Angriff für grundgesetzwidrig, weil Artikel 26 des Grundgesetzes die Teilnahme an einem Angriffskrieg verbiete. Also dürften wir das auch in der Übung nicht machen. Das zeigt zumindest ein feines Gespür und Rechtsbewusstsein auf Seiten der Soldaten, das in diesem Falle natürlich leicht im Laufe einer Diskussion geklärt werden konnte, weil die Teilnahme an einer Übung eben keine Vorbereitung eines Angriffskrieges war. Aber es zeigt zugleich auch, wie erfolgreich staatsbürgerliche Bildung bei den Soldaten der Bundeswehr ist, insbesondere im Hinblick auf die Auslandseinsätze, bei denen ja auch das internationale Recht, das Völkerrecht durchaus greift und von den Soldaten beachtet werden muss. Dementsprechend ist es heute selbstverständlich, dass die Kommandeure der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen auch von Juristen, zumeist Juristen in Uniform, begleitet werden.

    Liminski: Nun haben wir den konkreten Fall, dass der Bundeswehrverband den Soldaten empfiehlt, den Befehl zu verweigern. Würden Sie einem Soldaten oder Offizier, der schon theoretisch den Befehl verweigert, empfehlen, die Bundeswehr zu verlassen?

    Eisele: Nein. Das wäre glaube ich zu radikal, denn hier müsste man ja auch die Umstände des Einzelfalles sehen, und ich meine wir befinden uns, wir, Deutschland befindet sich ja nach dem 11. September 2001 und nach dem gescheiterten Versuch, die Rechtslage im Hinblick auf die Abwehr terroristischer Angriffe durch ein Luftsicherheitsgesetz zu sichern und damit zu klären, in der Situation einer griechischen Tragödie. Wir werden in jedem Falle schuldig. Wenn es zu einer Situation wie der des 11. September 2001 am Himmel über Deutschland kommen sollte, dann wird man schuldig, wenn man etwas tut, aber gleichermaßen wenn man wissend, dass man etwas tun könnte, nichts tut. In dieser Situation befindet sich eben der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt nach Artikel 65a des Grundgesetzes als Individuum. Hier kann man vielleicht verstehen, dass es den derzeitigen Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt einfach umtreibt, weil er als Individuum diese Entscheidung treffen soll und sie nicht an irgendjemand anders delegieren kann.

    Liminski: Sie haben jetzt schon ein-, zweimal die Auslandseinsätze und auch das internationale Recht angesprochen. Sie sind auch stellvertretender Generalsekretär der UNO gewesen. Wie wird diese Problematik in einem internationalen Verband denn gehandhabt?

    Eisele: Sie ist in so zugespitzter Form selten aufgetreten, aber beispielsweise kanadischen Soldaten wurde mitten während eines Einsatzes – in diesem Falle in Haiti – deutlich, dass das innerkanadische Recht den Einsatz tödlicher Gewalt, das heißt den Einsatz ihrer Waffe, nur noch in seltenen Ausnahmefällen genehmigte. Dementsprechend war es für die Vereinten Nationen notwendig, die Kanadier durch ein Kontingent aus einem anderen UN-Mitgliedsstaat zu ersetzen, die nicht die gleichen innerstaatlichen rechtlichen Einschränkungen beachten mussten. Es ist also eine kritische Situation, die auch bei internationalen und multinationalen Einsätzen, in diesem Falle unter dem Kommando und mit der Autorisierung des Sicherheitsrates, durchaus auftreten kann.

    Liminski: Zwischen Gewissen und Befehl. Das war General a.D. Manfred Eisele. Besten Dank für das Gespräch, Herr Eisele!

    Eisele: Gerne, Herr Liminski.