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Wohnungsnot
Amsterdam will kein "Reservat für Reiche" werden

Amsterdam hat einen hohen Anteil an Sozialwohnungen. Das Angebot für Wohnungssuchende mit mittlerem Einkommen wird dagegen immer knapper. Diesen Trend will die Stadt stoppen. Es soll mehr gebaut werden und mehr Auflagen für Investoren geben.

Von Kerstin Schweighöfer | 20.09.2018
Alltag in Amsterdam: Die Stadt ist rund 800 Jahre alt, viele Gebäudefassaden stammen aus dem 17. Jahrhundert.
Als Gegenmaßnahme zur Wohnungsnot in Amsterdam sollen 7.500 neue Wohnungen pro Jahr gebaut werden (picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch)
Als Chris Slutter hörte, dass Amsterdam der neue Standort der europäischen Arzneimittelbehörde EMA wird, konnte er nur den Kopf schütteln.
Der Amsterdamer Wohnungsmarkt stehe schon genug unter Druck, klagt der dreifache Familienvater. Wie solle die Stadt da auch noch die 900 EMA-Mitarbeiter verkraften und ihre 500 Familienmitglieder, die sich nun in Amsterdam niederlassen?
"Einerseits finde ich es schön, dass das kleine Amsterdam mit seinen 860.000 Einwohnern in Europa mitzählt", sagt Chris Slutter. Andererseits sei die Wohnungsnot viel zu hoch, um sich mit solchen Prestige-Instituten zu schmücken. "Es wird zwar viel gebaut", weiss Chris Slutter. "Aber bei weitem nicht genug, um den Druck zu verringern."
Unfreiwillig an den Stadtrand
Der 46jährige Designer weiss, wovon er spricht: Er musste Amsterdam schweren Herzens mit seiner Familie verlassen und gegen ein Dorf zehn Kilometer weiter nördlich eintauschen:
"Wir hatten in Amsterdam eine Erdgeschosswohnung mit Gärtchen, wunderschön, aber nur 55 Quadratmeter groß - nach der Geburt unseres dritten Kindes ging das wirklich nicht mehr. Aber wir konnten nichts Größeres finden, das wir uns hätten leisten können. Bei einer Wohnungsbesichtigung war die Schlange so lang, dass ein Hotdogverkäufer vor dem Haus seinen Stand aufgebaut hatte."
Bislang war Amsterdam eine gemischte Stadt - für jung und alt, reich und arm, Alleinstehende und Familien. "Het geheim van Amsterdam" wurde das auch genannt: das Geheimnis von Amsterdam.
Hoher Anteil an Sozialwohnungen
Der Anteil der Sozialwohnungen ist immer noch außergewöhnlich hoch: Er liegt bei 50 Prozent. Doch einst waren es 65 Prozent. Die Zahl der Luxus-Eigentumswohnungen und der allerteuersten Mietwohnungen hingegen ist aufgrund privater Investoren und Spekulanten inzwischen auf fast 30 Prozent gestiegen.
Das geht vor allem auf Kosten von Menschen mit mittleren Einkommen wie die Familie Slutter: Wohnungen mit einer Miete bis 1.100 Euro und erschwingliche Eigentumswohnungen waren schon immer knapp. In den letzten Jahren jedoch ist ihr Anteil weiter gesunken und macht jetzt nur noch 15,5 Prozent aller Wohnungen aus.
Direkte Folge: Überall in der Stadt fehlt es an Lehrern, Polizisten und Krankenschwestern. Sie kommen nicht, weil sie keine Wohnung finden - während viele Familien gehen.
7.500 neue Wohnungen pro Jahr
Als Gegenmaßnahme sollen nun 7.500 neue Wohnungen pro Jahr gebaut werden - insgesamt 50.000 bis 2025. Ist das realistisch? Geht das überhaupt? Die Skepsis ist groß - auch beim Lokal-TV-Sender AT5. Aber, so versichert Laurens Ivens, Dezernent für Wohnen von der sozialistischen Partei SP:
"Wir werden bauen, bauen, bauen. Es ist ein ehrgeiziges Ziel, aber ein realistisches. Amsterdam muss eine gemischte Stadt bleiben."
40 Prozent der geplanten neuen Wohnungen sollen Sozialwohnungen werden und 40 weitere Prozent Mietwohnungen für die mittleren Einkommen mit einer Miete bis maximal 1.000 Euro. Nur 20 Prozent sind für Reiche und Besserverdienende reserviert.
Strenge Regeln für Investoren
Dabei sollen Investoren und Wohnungsbaugesellschaften verpflichtet werden, die Miete für eine Dauer von 25 Jahren nicht zu erhöhen. Bislang sind es 15 Jahre.
Um Spekulanten einen Strich durch die Rechnung zu machen, wurde für Neubauten die so genannte "Wohnpflicht" eingeführt: Wer eine Eigentumswohnung erwirbt, muss mindestens fünf Jahre selbst darin wohnen, bevor er sie wieder verkaufen darf.
Amsterdam dürfe kein zweites London werden, kein Reservat für Reiche, so Dezernent Laurens Ivens: "Das werden wir niemals, niemals akzeptieren."