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Workshop zu Doping-Kontrollen
Neue Konzepte für den Kampf gegen Doping

Nach den jüngsten Doping-Skandalen um einen Erfurter Arzt stellt sich erneut die Frage, wie solche Fälle verhindert werden können. Sollen Doping-Kontrollen auf Ärzte und Betreuer ausgeweitet, oder das Testsystem umgekehrt werden? Diese und ähnliche Ideen wurden auf einem Workshop in Berlin diskutiert.

Von Daniela Siebert | 07.04.2019
Ein Dopingkontrolleur der NADA (Nationale Anti-Doping-Agentur) bestellt einen Spieler zur Dopingprobe.
Wie kann der Kampf gegen Doping verbessert werden? (imago - Sven Simon)
Das gegenwärtige deutsche Doping-Kontrollsystem verlangt den Athleten einiges ab, vor allem Einschnitte in die Privat- und Intimsphäre: Sie müssen ständig ihren Aufenthaltsort angeben, zwischen 6 und 23 Uhr immer erreichbar sein, Kontrolleure ins Haus lassen, Blut- und Urinproben abgeben und unangemeldete Trainingskontrollen dulden.
Das ist alles unangenehm, aber nach Einschätzung von Amelie Ebert, Mitgründerin der unabhängigen Interessenvertretung "Athleten Deutschland", dennoch nötig:
"Sowohl Urin- als auch Blutkontrollen werden ja regelmäßig durchgeführt, da muss man sich nackt ausziehen, die Kontrolleure – fremde Menschen – gucken dabei zu. Bei den Blutkontrollen ist es Körperverletzung, der man freiwillig zustimmt. Man muss sich einfach bewusst machen, dass es diese Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre gibt und die Sportler das alles auf sich nehmen. Man muss aber trotzdem dazu sagen, dass ein Sportler das Gefühl hat, dass er so seine Sauberkeit beweist und das ist eigentlich auch das Ziel daran."
Auch Funktionäre, Ärzte und Betreuer kontrollieren
Amelie Ebert, ehemalige Synchronschwimmerin, und ihr Mitstreiter, der Ruderer Jonathan Koch, identifizieren rund eine handvoll Faktoren, die Doping begünstigen. Dazu gehört der immense Leistungsdruck im System, etwa die Forderung des Bundesinnenministeriums nach 30 Prozent Medaillenausbeute bei Wettkämpfen, eine Sportförderung, die nur bis zu einer Platzierung auf Rang 8 greift, eine fehlende berufliche Perspektive jenseits des Sports bei vielen Athleten und die Aussicht auf viel Geld für die vorderen Ränge in manchen Sportarten.
"Es geht nicht darum, die Kontrollen abzuschaffen. Weil die auch irgendwie nötig sind, dass man selber das Bewusstsein hat, dass man es Betrügern auch schwierig macht. Wir glauben einfach, dass es ausgeweitet werden soll: Unsere Frage ist, ob man nicht auch Funktionäre, Ärzte und Betreuer mit kontrollieren kann, ohne dass vorher ein Verdachtsfall dargelegt werden musste. Und weiterführend geht es um die ganze Sportkultur. Also: Was für Werte wollen wir in einem Verband? Wie spricht man Unregelmässigkeiten an?"
Dazu müsste der Schutz von Whistleblowern verbessert werden und alle Sportler sollten wissen, wo sie was schon jetzt melden können, fordern Amelie Ebert und "Athleten Deutschland".
Der Doping-Fall von Seefeld und Erfurt

Im Januar enthüllte der Skilangläufer Johannes Dürr in einer ARD-Dokumentation Blutdoping in seinem Sport. Daraufhin leitete die Doping-Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft München Ermittlungen ein. Mehrere Personen wurden bei der Ski-WM in Seefeld festgenommen, einer davon wurde inflagranti erwischt. Außerdem geriet ein Erfurter Arzt in den Fokus der Ermittlungen. Der Sportausschuss des Bundestags hat sich kürzlich für eine Kronzeugenregelung ausgesprochen, um besser an Informationen aus dem Kreis der Sportler zu kommen.
Auch Martin Heger, Strafrechtsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin setzt auf verstärkte Umfeld-Kontrollen. Die jetzigen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Sportler bringen aus seiner Sicht zu wenige Erfolge in Form von überführten Dopern. Die Aufdeckungsquote liege bei etwa zwei von mutmaßlich zehn bis 40 Prozent - je nach Studie und nach Sportart.
Zum Umfeld zählt er Funktionäre, Betreuer, Trainer, Masseure, Ärzte, auch Eltern von Jugendlichen - sie alle sollten Teil von Dopingkontrollen werden, findet Heger, also zum Beispiel Einblick in ihre Taschen oder Hotelzimmer geben müssen.
"Also man kann feststellen, ob die zum Beispiel Blanko-Rezepte bei sich führen, so soll es ja beim Team Gerolsteiner gewesen sein. Da konnte der Sportler wohl ausfüllen, was er sich gerade nimmt. Oder ob die in großen Mengen Medizin bei sich führen, die typischerweise Dopingmittel sind. Man kann es im Einzelfall mit einer Telefonüberwachung mal versuchen: Was tauschen die denn am Telefon so miteinander aus?"
Gebauer: Umkehrung der Beweislast
Einen radikaleren Ansatz propagiert Elk Franke. Der emeritierte Professor für Sportphilosophie und Sportpädagogik stört sich daran, dass derzeit die Sportorganisationen selbst Teil des Sport-Überwachungssystems sind. Sein Vorschlag sieht eine neue Institution vor, die für Dopingkontrollen zuständig sein soll:
"Ich plädiere dafür, dass zwei bis drei Prozent von Lotto-Geldern bis Sponsorengeldern, die in den Sport gehen, automatisch in einen Fonds eingezahlt werden. Dieser Fonds ist dann jeweils unter völlig Unabhängigkeits-Gesichtspunkten zu besetzen, von Medizinern und Juristen, die sicher stellen, dass die dort eingegebenen Informationen, dann auch zugunsten der Athleten und des Sports verwendet werden."
Grundlegend neu gestalten möchte auch Gunter Gebauer die Doping-Kontrollen in Deutschland. Der Professor für Sportsoziologie an der Freien Universität Berlin hat ein Modell entworfen, in dem die Fäden in den Händen der Athleten sind:
"Der Grundgedanke ist: Umkehrung der Beweislast. Man denkt sich ein Lizenzierungsverfahren aus, das dazu führt, dass bei großen Veranstaltungen – nehmen wir mal die Olympischen Spiele – ein Athlet, eine Athletin sich bewirbt, dass er oder sie teilnehmen kann. Um teilnehmen zu können muss man eine bestimmte Lizenz erwerben, das heißt, man muss von sich aus beweisen, dass man nicht gedopt ist."
Die Lizenzen könnten von den Sportverbänden wie dem IOC oder einer neuen Sportbehörde vergeben werden, so Gebauer. Blut- und Urin-Untersuchungen sollen bleiben, aber selbstbestimmter von den Sportlern gewählt. Auch Ärzte und Trainer eines Sportlers sollten als Team mit in die Verantwortung geholt werden und bei Verfehlungen gemeinsam mit dem Sportler gesperrt werden.
Viele Ideen, aber noch kein ausgereiftes Konzept
Amelie Ebert findet Gebauers Vorschlag grundsätzlich gut, hat aber Zweifel an der Realisierung:
"Also generell, wenn man vom idealistischen Gedanken ran geht, ist es eigentlich eine total tolle Möglichkeit, dass man sagt: Ich beweise jetzt allen, dass ich sauber bin. Hier sind meine ganzen Daten, und damit glaubt mir jeder, dass ich ein sauberer Athlet bin und fair kämpfe. Erstens Mal ist es ja so, dass das wenn überhaupt alle machen müssten, auch international. Und sobald ein Sportler von diesen lizensierten Sportlern positiv auffällt, hat das Ganze an Glaubwürdigkeit komplett verloren. Zusätzlich muss man ganz genau gucken, wie man das umsetzen könnte, um dann nicht die Chancen für Betrüger zu erhöhen und die Situation für Athleten insgesamt zu verschlechtern."
Erschwerend hinzu kommt, dass es Experten wie der Bielefelder Jura-Professor Wolfgang Schild für unmöglich halten, zu beweisen, dass man nicht gedopt hat. Auch sind raffiniertere Kontroll-Methoden zusätzlich zu den heutigen denkbar: Gerhard Treutlein, Sportpädagoge aus Heidelberg, schlägt beispielsweise vor, sich auffällige Veränderungen bei Schuhgrößen anzuschauen, die könnten Indizien liefern für die Einnahme von Wachstumshormonen.
Fazit: Auf der Suche nach einem besseren Kontroll-System gab es auf dem Workshop viele Ideen, aber noch kein ausgereiftes Konzept, das sich sofort umsetzen ließe.