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Vor 90 Jahren
Preußens "Zwickelerlaß" für Badebekleidung belustigt die Weimarer Republik

Moderne Freizügigkeit und wilhelminische Prüderie kollidierten in der Weimarer Republik. 1932 versuchte Preußens Innenminister, Bademode polizeilich  zu regeln - sein sogenannter Zwickelerlaß wurde Synonym für lächerliches Obrigkeitsdenken.

Von Beatrix Novy | 28.09.2022
Grober Verstoß gegen die "Zwickelpflicht" - Strandleben um das Jahr 1925 in Ahlbeck auf Usedom
Auf derlei zielte die preußische "Zwickelpflicht" - Strandleben auf Usedom, um das Jahr 1925 (picture alliance / arkivi)
Deutschland im September 1932. Die Republik wankt ihrem Untergang entgegen. Jazzmusik, nächtliche Exzesse, Lesben- und Schwulenbars, Frauen mit verstörend kurzen Haaren und Röcken, Unzucht, wo man hinschaut - es wird Zeit, für Sitte und Ordnung zu sorgen. Am besten mit Paragraphen: „Männer dürfen öffentlich nur baden, falls sie wenigstens eine Badehose tragen, die mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist.“

Zentimetergenau geregelt

„Ich hab das Fräul'n Helen baden sehn, das war schön /
Da kann man Waden sehn, rund und schön im Wasser stehn …“
Heißt es in Fred Raymonds Schlager von 1926 . Diesmal wankte die Republik unter dem Gelächter des Publikums. Eine vom preußischen Innenministerium am 28. September 1932 herausgegebene polizeiliche Verordnung definierte auf den Zentimeter, mit wie viel Stoff der Körper von Badegästen zu bedecken war. Für Frauen galt neben der Zwickelpflicht: „Der Rückenausschnitt des Badeanzugs darf nicht über das untere Ende der Schulterblätter hinausgehen.“

Ein Komplott der Bademode-Industrie?

Vermutungen, dass die Bekleidungsbranche hinter der behördlichen Forderung nach stoffreichen Bademodellen stehen musste, wurden geäußert. Fünf Jahre später, 1938, sollte ein scheinbar unpolitischer UFA-Film mit dem heiteren Titel "Die Umwege des schönen Karl" die Geschichte nutzen, um die Weimarer Republik als den korrupten Schlamasselstaat zu diffamieren, den die Nazis in ihm gesehen hatten.
„Also der Antrag unserer Fraktion geht dahin, die frühere Form verbieten zu lassen, so eine Art Badeerlass. Wobei dann automatisch die Einführung des neuen Zwickelmodells unerhörte Absatzgebiete für die Textilindustrie verspricht.“

Dringendere Sorgen der Weimarer Republik

„Man fühlt erst dann sich recht als Mann,
wenn man beim Baden gehn Waden sehen kann.“

Textete Fritz Grünbaum. Die Republik wankte allerdings weniger unter ihrer Sittenlosigkeit als unter den Marschtritten rechter und linker Kampfverbände; Arbeitslosenzahlen, politische Morde, schamlose Gerichtsurteile waren der Tagespresse täglich Brot.
Fassungslos rief der sozialdemokratische Abgeordnete Alexander Möller im Reichstag: „Naive Leute haben im Sommer dieses Jahres geglaubt, Reichsregierung und Reichskommissare würden sich den Kopf darüber zerbrechen, wie in diesem Winter sieben Millionen Arbeitslose ernährt und bekleidet werden sollen.“

Die Kabarett-Szene war begeistert

Stattdessen ging es nun um das viereckige Stückchen Stoff, das, im Schritt einer Badehose eingenäht, der Einsicht ins Intime Grenzen setzt. Deutschlands bissige Kabarettszene war begeistert, man bedankte sich sogar artig bei Franz Bracht, dem preußischen Innenminister und Initiator der Verordnung.
Die Zeitschrift "Weltbühne" - lange würde es die nicht mehr geben - notierte im Oktober 1932 eine wahre Begebenheit: „Eine Versammlung der Frauenzeitschrift 'Der Weg der Frau' mit dem Thema 'Der Zwickel im Wandel der Zeiten' wurde aufgelöst, weil die Besucherinnen angeblich ein politisches Lied gesungen hätten.“

Aufkommende Freikörperkultur

Bodenlos rückständig erschien die Verordnung, die eigentlich in erster Linie gegen das beliebte Nacktbaden vorgegangen war - eine bereits ehrwürdige Praxis der Lebensreformbewegung, die ihre Anhänger quer über die politischen Lager fand, von sozialistisch bis völkisch. Schon 1907 hatte eine Kampfschrift namens "Nacktheit und Kultur" den verderblichen Kleidungszwang mit kühnen Worten gegeißelt: „Deshalb fort mit der Badehose, damit die männliche Schönheit voll zu Geltung komme!“
Für den Spott nicht zu sorgen brauchte das ungeliebte Preußen. Franz Brachts "Zwickelerlass" war ausgesprochen imageschädigend. Der "Frankfurter General-Anzeiger" höhnte: "Wer in Bädern anderer Länder mit einem Zwickel getroffen wird, ist als Bracht'scher Untertan hinreichend gekennzeichnet: Ich bin ein Preuße, kennst Du meinen Zwickel?"
Dabei hatte seine aufgeklärte Toleranz zu den lichten Seiten des "Vernunftsstaates" Preußen gezählt. Aber er war mit der Reichsgründung 1871 mehr und mehr im Deutschen Reich aufgegangen, das vor allem seinen Militarismus feierte. Und just im Sommer 1932 war der Freistaat Preußen per Notverordnung entmachtet worden. Regiert wurde nun vom Reich aus, das bald das "Dritte" genannt werden sollte.