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Grundstein vor 70 Jahren gelegt
Die Berliner Stalinallee - Boulevard zwischen Pracht und Panzern

1951 beschloss die DDR-Führung, Berlins Frankfurter Allee - nun auf Stalinallee umgetauft - in einen Prachtboulevard nach sowjetischem Vorbild zu verwandeln. Am 3. Februar 1952 wurde der Grundstein gelegt. Die Straße schrieb nicht nur Architekturgeschichte.

Von Doris Liebermann | 03.02.2022
Die einstige Stalinallee in Berlin-Friedrichshain heißt heute Karl-Marx-Allee. Im Vordergrund die Kopfbauten des Architekten Hermann Henselmann am U-Bahnhof Frankfurter Tor
Die einstige Stalinallee in Berlin-Friedrichshain heißt heute Karl-Marx-Allee. Im Vordergrund die Kopfbauten des Architekten Hermann Henselmann (picture-alliance / Herve Champollion / akg-images)
Sie war ein Produkt des Kalten Krieges: die Stalinallee. Bevor sie so hieß, konnte die Straße schon auf eine jahrhundertealte Geschichte zurückblicken. Hier soll im 16. Jahrhundert Hans Kohlhaase, das historische Vorbild von Heinrich v. Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“, hingerichtet worden sein. Entlang der Straße, heute die Karl-Marx-Allee, befinden sich Informationstafeln, die von den historischen Ereignissen berichten: Am 3. Februar 1952 wurde der Grundstein für den Neubau des Straßenzuges nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt.
Das Datum hatte die SED bewusst gewählt: genau sieben Jahre zuvor hatte ein schwerer alliierter Bombenangriff Berlin zerstört. Die Bauarbeiten an der Stalinallee waren schon im Gange, als DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl mit drei Hammerschlägen symbolisch den Grundstein für den Block E-Süd legte:
„Der erste Hammerschlag für die Freundschaft des friedliebenden deutschen Volkes mit den Völkern der Sowjetunion!“
Grotewohls zweiter Hammerschlag galt dem Aufbau Berlins, der dritte der Einheit Deutschlands „in Freiheit und Frieden". In der Stalinallee entstanden Wohnhäuser im Stil sowjetischer Monumentalbauten, versetzt mit Elementen des deutschen Klassizismus. Ein Baustil, der einmalig ist in der Stadt.

„Diese Allee steht schon zu Recht unter einem Denkmalschutz, weil die Architekten etwas verwirklichen wollten, was vielleicht politisch dann nützlich schien, aber was schon in der Summe eine Art der Moderne ist, die man als Ost-Moderne auch bezeichnen kann."
Sagt der Schriftsteller Lutz Rathenow. Er wohnt heute in einem der damals gebauten Häuser. Die Wohnung ist hell und großzügig geschnitten – undenkbar, dass er sie als kritischer Autor zu DDR-Zeiten bekommen hätte.
„Das war natürlich schon eine bevorzugte Gegend für Leute, die man heute als etwas privilegiert bezeichnen würde. Aber: es waren auch Arbeiter, so ein paar Vorzeige-Arbeiterfamilien, die Aufbaustunden hier abgerissen haben, Architekten selbst, einige Künstler auch. Das war ein sehr beliebter Ort.“
Zu Kriegsende marschierte hier die Rote Armee in die Stadt ein, über die Frankfurter Allee, wie die Straße damals hieß. Im Dezember 1949 - nach Gründung der DDR - wurde sie zu Stalins 70. Geburtstag in „Stalinallee“ umbenannt, ein Stalin-Denkmal wurde aufgestellt.

Bauten des Stararchitekten Hermann Henselmann als Schlussakkord

Im November 1951 verabschiedete die SED das „Nationale Aufbauprogramm Berlin“.  Prestigeobjekt war die Stalinallee: hier sollte ein Prachtboulevard nach sowjetischem Vorbild entstehen. Der 2,3 Kilometer lange Straßenzug wurde in einzelne Bauabschnitte gegliedert, die von sechs Architektengruppen entworfen wurden: aufeinander bezogene, sieben- bis neungeschossige Wohnhäuser mit dorischen und ionischen Säulen an den Eingängen und mit Kacheln als Schmuck. Als Höhepunkte gelten die von dem Architekten Hermann Henselmann entworfenen Hochhäuser am Strausberger Platz und am Frankfurter Tor.

Zehntausende sollen freiwillig mitgearbeitet haben

Die Stalinallee wurde zur größten Baustelle der DDR. Zehntausende Menschen leisteten freiwillige Aufbaustunden, tausende Bauarbeiter arbeiteten unter enormem Zeitdruck und stellten die Häuser fertig In einem Bericht des DDR-Rundfunks aus den 50er-Jahren: heißt es:
 
„Hier, liebe Hörer, scheidet sich das alte vom neuen Berlin. Hier endet das Bild der freudlosen alten Fassaden, der düsteren Hinterhöfe, der lichtlosen Fenster." –"Hier beginnt die Helle, hier beginnt die Lichtfülle selbst an trüben Tagen, hier werden die heute nebelumsponnenen Silhouetten gewaltiger Bauten sichtbar, hier beginnt die Straße, die seinen Namen trägt: die Stalin-Allee.“

Am 17. Juni 1953 rollten hier sowjetische Panzer

Ein schwerer Schlag für die Parteiführung war, dass nach staatlich verordneten Normen-Erhöhungen ausgerechnet die Bauarbeiter der Stalinallee in Streik traten: Auftakt für den landesweiten Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der mit Hilfe sowjetischer Panzer niedergeschlagen wurde. Im November 1961 wurde in einer Nacht- und Nebelaktion die Stalinallee teils in Karl-Marx-Allee um-, teils in Frankfurter Allee rückbenannt und das Stalin-Denkmal in kleine Stücke geschlagen. Die Sowjetunion rechnete schon seit fünf Jahren öffentlich mit Stalins Verbrechen ab.
Kurz vor Ende der DDR wurde der Straßenzug unter Denkmalschutz gestellt. Heute ist er ein Anziehungspunkt für Architekten und Stadtplaner aus der ganzen Welt.