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Ältere sind "Gewinner am Arbeitsmarkt"

Es sind die Älteren, die unterm Strich zunehmend in Arbeit kommen, sagt Ursula von der Leyen. Und das sind aus ihrer Sicht nicht nur Billigjobs - gerade Ältere hätten noch ein großes Potenzial.

    Tobias Armbrüster: Die Diskussion um die Rente mit 67, sie reißt nicht ab. Angestoßen hat sie am Wochenende die SPD. Weite Teile der Partei, inklusive Parteichef Gabriel, wollen dieses Vorhaben offenbar rückgängig machen. Einiges deutet nämlich darauf hin, dass Rente mit 67 nicht nur bedeutet, dass alte Menschen künftig länger arbeiten müssen, sondern auch, dass sie im Alter wesentlich schlechter verdienen, wenn sie überhaupt als über 60-jährige noch mal einen Job finden. Ist die Rente mit 67 also der Einstieg in eine umfassende Rentenkürzung?
    Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit der Bundesarbeitsministerin. Schönen guten Morgen, Ursula von der Leyen.

    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Frau von der Leyen, haben Sie mit falschen Zahlen operiert?

    von der Leyen: Nein, die drei dargestellten Zahlen sind alle richtig. Aber das Entscheidende ist, dass man schaut: Wie ist eigentlich der Trend der letzten Jahre. Und in allen drei Statistiken, die eben genannt worden sind, ist der Trend ganz eindeutig so, dass gerade bei den Älteren deutlich zugelegt worden ist. Wenn ich die Zahl nehme, die ich selber gebracht habe, da hat sich in den letzten fünf Jahren die Zahl von 28 auf 40 Prozent erhöht. Auch das, was die SPD sagt, wenn man nur die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten anschaut, also alle Beamten herausnimmt, alle Selbstständigen herausnimmt, alle Minijobber herausnimmt, dann hat sich auch diese Zahl fast mehr als verdoppelt in den letzten zehn Jahren, nämlich von zehn auf 21,5 Prozent. Also der Trend ist entscheidend, und wenn ich das einfach zusammenfassen darf: Unterm Strich sieht man, die Gewinner am Arbeitsmarkt, wenn man die Zunahme an Arbeit sieht, das sind die Älteren.

    Armbrüster: Aber können wir das vielleicht noch mal kurz festhalten? Die korrekten Zahlen für den jetzigen Stand 2010 sind 21,5 Prozent?

    von der Leyen: Wenn man nur die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten nimmt. Damit haben sie zum Beispiel sämtliche Beamte draußen gelassen, sie haben sämtliche Selbstständige draußen gelassen.

    Armbrüster: Das macht ja durchaus Sinn, wenn man über Rentner spricht.

    von der Leyen: Aber diese Menschen zeigen ja auch, welche Chancen es am Arbeitsmarkt für Ältere gibt. Wir können ja nicht einfach einen ganzen Teil der Älteren, die arbeiten, am Arbeitsmarkt auch Möglichkeiten finden, ausschließen. Egal, welche Zahl man nimmt, sie sehen auch in allen anderen Arbeitsgruppen der jüngeren Bevölkerung: die Zahl der Sozialversicherungspflichtigen ist immer die kleine Zahl, weil das sind diejenigen, die Gruppe, die am wenigsten repräsentativ ist für alle diejenigen am Arbeitsmarkt, die Arbeit haben. Der Trend ist entscheidend, dass wir sehen: Die Älteren, das sind diejenigen, die in den letzten Jahren wie gesagt am meisten profitiert haben. Das hat übrigens auch seine Gründe, denn in den letzten Jahren hat auch ein Umdenken stattgefunden in der Wirtschaft, aber auch in der Gesellschaft. Dieses Land hat weniger junge Menschen, wir werden weniger Erwerbstätige in den nächsten Jahren haben, und deshalb sind zum Beispiel Anreize, Ältere früher aus dem Arbeitsmarkt zu nehmen, also die Frühverrentungsprogramme, abgebaut worden. Jetzt fängt die Wirtschaft an, zum ersten Mal anders zu ticken, nämlich zu sagen, wie können wir eigentlich die Kompetenzen der Älteren halten, was muss man tun in der Gesundheitsvorsorge, was muss man tun in den Weiterbildungsprogrammen. Und plötzlich sehen sie, dass die Kompetenzen des Alters entdeckt werden und dass der Trend dahin geht zu sagen, Moment mal, da ist ja ein ganz hohes Maß an Lebenserfahrung, das müssen wir halten. Das zeigen jetzt eben auch die wachsenden Zahlen der Älteren am Arbeitsmarkt.

    Armbrüster: Aber viele der künftigen Rentner, Frau von der Leyen, müssen sich wahrscheinlich darauf einstellen, dass sie in ihren letzten Berufsjahren wesentlich weniger verdienen werden als vorher.

    von der Leyen: Das ist eine Behauptung, die ich nicht nachvollziehen kann, denn wenn der Anteil derer steigt, die älter sind und die Chancen am Arbeitsmarkt haben – und das ist ein eindeutiger Trend der letzten Jahre -, dann muss man kein Prophet sein, um zu sehen, wenn wir jetzt über Fachkräftemangel zum Beispiel diskutieren, wenn wir feststellen, die Ausbildungsstellen mit jungen Leuten werden nicht mehr besetzt, das heißt Unternehmen fangen an, sehr genau hinzugucken, was gibt es für Potenziale, wer kann eigentlich was, und plötzlich wächst das Wissen darum, dass dieser sozusagen Silberschatz des Alters, also die Berufserfahrung, die Betriebserfahrung, die Lebenserfahrung, die Ältere haben, wenn man das klug kombiniert mit Weiterbildungsprogrammen, wenn man das übrigens klug kombiniert auch in den altersgemischten Teams, dann kann das ein großer Vorteil für die Unternehmen, für die Wirtschaft sein. Dieser Erkenntnisprozess, der setzt im Augenblick ein. Das sehen sie eben daran, wie die Nachfrage steigt. Den sollten wir nutzen meines Erachtens, denn sie können auch von der anderen Seite her rechnen. Wenn sie schauen, wer soll eigentlich die Renten in den nächsten Jahren verdienen, also die Rente mit 67, wenn wir im Jahr 2029 sind, dann ist das eine kleinere Gruppe von Erwerbstätigen, die da sind, und dann müssen wir von allen erwarten, dass eben ihre Kompetenzen, ihre Potenziale, ihre Talente auch wirklich genutzt werden.

    Armbrüster: Aber wir können doch nicht erwarten, dass da tatsächlich nur Jobs frei werden für Ingenieure und gut ausgebildete Facharbeiter, sondern gerade, wenn wir uns die Situation in anderen Ländern auch mal ansehen, dann sehen wir ja häufig, dass solche Leute über 60 gerne in Billigjobs landen, als kleine Verkäufer oder im Baumarkt. Ist das nicht eine Entwicklung, der wir in Deutschland einfach ganz offen in die Augen blicken sollten?

    von der Leyen: Das ist jetzt aber eine Behauptung, die im Raume steht, denn es gibt natürlich unterschiedliche Qualifikationen in jedem Jahrgang, ganz egal ob sie bei den 20-Jährigen gucken, den 30-Jährigen oder den 50-Jährigen. Da gibt es die hoch qualifizierten und die gering qualifizierten und die breite Mitte. Das Entscheidende ist in dem mittleren Lebensalter. Wir haben bisher wenig Weiterbildung eigentlich konzentriert darauf, was ist eigentlich in den letzten zehn, 15 Jahren der Erwerbstätigkeit entscheidend, dass man dazulernt. Inzwischen hat die moderne Hirnforschung zum Beispiel längst nachgewiesen, dass gerade in den älteren Lebensjahren ein hohes Potenzial an Lernfähigkeit, an Weiterbildung, an Entwicklungsmöglichkeiten da ist, wenn man das klug macht, wenn man die richtige Motivation hat, wenn man die richtigen Lernprogramme hat. Da ist die Hirnforschung sehr weitgeschritten. Ich habe noch im Studium gelernt, als junge Ärztin vor 20, 25 Jahren, dass eigentlich ab Mitte des Lebens man nur noch abbaut. Das ist alles Humbug. Da wissen wir heute, dass gerade die Weiterbildungsprozesse, wenn sie klug angelegt sind, enorm viel Potenzial auslösen können, und das sind die Dinge, die wir inzwischen in der Wirtschaft auch fordern, dass wir sagen, schaut hin, wer da ist in der Mitte des Lebens, nicht nur auf die ganz Jungen, sondern schaut hin in der Mitte des Lebens, da müsst ihr einsetzen mit den Weiterbildungsprogrammen. Bisher ist relativ viel Geld bei den 35- bis 45jährigen investiert worden in die Weiterbildung, das ist auch sinnvoll, aber danach ist es schlagartig abgebrochen, weil indirekt so die Haltung war, na ja, die sind sowieso bald nicht mehr da. Das war der Trend mit den Frühverrentungsprogrammen. Das hat sich (übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in allen hoch industrialisierten Ländern) in den letzten Jahren verändert, dass nämlich erkannt worden ist, ohne das Wissen der Älteren, ohne die Einsatzbereitschaft der Älteren, die übrigens häufig auch gerne wollen, also die nicht abgestellt werden wollen, sondern gerne auch mit der Breite ihrer Erfahrung ernst genommen werden wollen, wird es nicht gehen.

    Armbrüster: Frau von der Leyen, noch ein anderes Thema. Ihr Ministerium hat gestern Zahlen veröffentlicht, wonach ein großer Teil der Hartz-IV-Hilfe dazu dient, Niedriglöhne aufzustocken. Jeder dritte Hartz-IV-Euro wird dafür inzwischen ausgegeben. Können wir sagen, dass die Bundesregierung dem Niedriglohnsektor in Deutschland so unter die Arme greift?

    von der Leyen: Man muss die sogenannten Aufstocker, also wenn zu dem, was verdient wird, auch dann noch das Arbeitslosengeld II gezahlt wird, man muss genau hinschauen, für welche Gruppen ist das. Und wenn man dann sieht, was ist eigentlich der Grund, warum das Einkommen, das die Menschen selber verdienen, nicht reicht, warum muss der Staat dazuzahlen, dann sehen wir, dass der Hauptgrund ist, dass diese Aufstocker nicht Vollzeit arbeiten. Viele sind in 400-Euro-Jobs oder darunter, also die Hälfte allein, und jeder weiß, von 400 Euro oder einem 100-Euro-Job im Monat kann man nicht leben. Das hat übrigens oft auch seine Gründe. Das sind Menschen, zum Beispiel Alleinerziehende, die keine Ganztagskinderbetreuung finden und dann nur kurzzeitig arbeiten können, oder es sind gesundheitliche Gründe, die eine Rolle spielen. Also muss man genau hinschauen. Aber die große Gruppe der Aufstocker arbeitet eben nicht Vollzeit. Ein Viertel nur arbeitet Vollzeit und das zeigt schon, wenn die Aufstocker Vollzeit arbeiten würden, zu den Löhnen, zu denen sie heute arbeiten, dann wären viele raus aus der staatlichen Hilfe, raus aus dem Arbeitslosengeld II, das aufstockend gezahlt wird.

    Armbrüster: Brauchen wir denn einen Mindestlohn in Deutschland?

    von der Leyen: Ich glaube, wir haben in Deutschland einen sehr guten Weg gewählt. Wir haben nämlich auch gesehen im Ausland, dass der Mindestlohn weder eine Katastrophe, noch ein Allheilmittel ist, sondern dass entscheidend ist, wie er gefunden wird, ob der richtige Mindestlohn gefunden wird. Wir sehen in Frankreich, da ist es ein politischer Mindestlohn; da ist er so hoch, dass er eine hohe Jugendarbeitslosigkeit auslöst. Die haben über 20 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Wir liegen bei 7 Prozent, 7,1 Prozent. Wir sehen in England, da ist es eine staatliche Kommission; da ist das sehr viel geschickter. In Deutschland haben wir eine gute Tradition der Tarifpartner, der Tarifautonomie, nämlich dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer, also die Gewerkschaften, zusammen die Tarife aushandeln. Das hat uns übrigens sehr geholfen in der Krise, dass die so eng zusammengestanden haben. Diese Tradition, die sehr deutsch ist, die sagt uns hier, lasst doch die Experten in der Branche vor Ort, nämlich die Arbeitgeber und die Arbeitnehmervertreter, gemeinsam darüber diskutieren und aushandeln, was ist eigentlich der richtige Mindestlohn, wenn eine Branche ihn braucht. Der darf nicht zu hoch sein, sonst zerstört er Arbeitsplätze; er darf nicht zu niedrig sein, sonst wirkt er überhaupt nicht. Das ist der Weg, den wir gehen, und wenn sich die Branche geeinigt hat – und das sind manchmal langwierige Auseinandersetzungen und intensive Diskussionen, die da geführt werden müssen -, dann kommt die Politik ins Spiel, nämlich wenn dann der Antrag gestellt wird, dass für eine Branche ein Mindestlohn erstreckt wird.

    Armbrüster: So weit Ursula von der Leyen, die Bundesarbeitsministerin, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank, Frau von der Leyen!

    von der Leyen: Ich danke Ihnen!