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Afrika
Wie die EU Flüchtlinge in Niger stoppen will

Flüchtlinge aus verschiedenen afrikanischen Staaten durchqueren Niger, um nach Libyen und von dort vielleicht nach Europa zu kommen. Die EU versucht, das zu verhindern, mit viel Geld und einer sogenannten Migrationspartnerschaft. Flüchtlinge machen sich aber weiterhin auf den Weg - über neue und gefährlichere Routen.

Von Jens Borchers | 22.02.2017
    Migranten auf einem Truck: Von Agadez aus versuchen sie durch die Wüste Sahel nach Libyen oder Algerien zu gelangen; Aufnahme vom April 2015
    Migranten auf einem Truck: Von Agadez aus versuchen sie durch die Wüste Sahel nach Libyen oder Algerien zu gelangen; Aufnahme vom April 2015 (picture alliance / dpa)
    Milliarden gegen Migration - Themenschwerpunkt Afrika
    Ein gemeinsames Recherche-Projekt der ARD-Studios Afrika

    "Fluchtursachen bekämpfen heißt in Entwicklung investieren", sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, dessen Etat um hunderte Millionen aufgestockt wurde. Die Bundeskanzlerin reiste durch Afrika und versprach Geld. Und die EU-Regierungschefs hatten bereits auf dem Gipfeltreffen in Malta 2015 ein Milliarden-Paket geschnürt.

    Wir wollten wissen: Was passiert mit dem Geld? Werden wirklich Fluchtursachen bekämpft? Und wenn Ja: Wo funktioniert das gut und wo weniger? Unsere ARD-Korrespondenten haben für Sie in Äthiopien, Südsudan, im Senegal, in Südafrika und in Niger recherchiert.

    Sendungen im Deutschlandfunk:

    Hintergrund vom 08.03.2017: "Senegal und die Flüchtlinge: Von den Schwierigkeiten im eigenen Land" (Autor: Marc Dugge)

    Europa ist sich normalerweise selbst genug bei seinen Gipfeltreffen. Und dass der Präsident eines afrikanischen Landes in Brüssel mit großem Bahnhof empfangen und hofiert wird – das gehört nicht zur Routine der Europäischen Union. Aber neulich beim Besuch von Mahamadu Issoufou, Staatspräsident des westafrikanischen Staates Niger, da war das anders:
    "Man ist nicht nur einfach Partner mit ihnen, sondern wirklich wie Bruder und Schwester in der guten Zusammenarbeit."
    Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, adelte ihren Gast derart. Da stellt sich schon die Frage: Was macht den nigrischen Präsidenten plötzlich zum "Bruder" der Europäischen Union in außen- und sicherheitspolitischen Fragen? Federica Mogherini beschrieb es so:
    "Wir teilen mit dem Präsidenten die Notwendigkeit, die Leidenschaft und die moralische Aufgabe, Leben zu retten. Dafür zu sorgen, dass der tragische Verlust an Menschenleben in der Wüste und im Mittelmeer eingedämmt werden kann."
    Diese blumige Formulierung Mogherinis lässt sich nüchterner so ausdrücken: Das Thema Migration hat mit dafür gesorgt, dass das Land des "Bruders" Issoufou für die Europäische Union zum Schlüsselstaat geworden ist. Durch Niger führt eine der wichtigsten Migrationsrouten Afrikas. Migranten aus vielen verschiedenen afrikanischen Staaten nutzen diese Route durch Niger, um nach Libyen und von dort aus vielleicht weiter nach Europa zu kommen.
    Migrationspartnerschaft angeboten
    Das hat die nigrische Regierung lange nicht im Mindesten gestört. Bis die Europäische Union ihr klarmachte, dass es sie stören sollte. Und dem "Bruder" Issoufou eine Migrationspartnerschaft anbot.
    Das ist es aber nicht allein: Der Terrorismus ist der zweite Grund für die Aufmerksamkeit, die Niger aus Europa zuteilwird. Präsident Issoufou beschrieb die Situation seines Landes so:
    "Niger ist umgeben von Staaten, die unter dem Einfluss von Terroristen stehen. Das gilt für Libyen. Das gilt für Mali. Und das gilt für die Staaten des Tschadsee-Beckens, wo wir gegen Boko Haram kämpfen. Das ist eine sehr, sehr schwierige Lage."
    Al Kaida im islamischen Maghreb operiert von Mali aus. Aus Libyen kommen Waffenlieferungen. Von Nigeria aus dringt Boko Haram immer wieder in den Süden von Niger vor. All das führt auch in der Europäischen Union zu der Sorge, die gesamte Sahelzone könnte, noch stärker als bisher schon, durch Extremisten destabilisiert werden.
    Migration und Terrorismusbekämpfung - das sind also die beiden Hauptmotive für die Europäische Union, viel Geld in Niger zu investieren. Und das gilt auch für Deutschland. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Oktober erst Mali und dann Niger besuchte, sagte sie:
    "Das beste Rezept gegen Flucht und Terror-Gefahr ist aber eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung."
    Eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung ist aber nicht so einfach in Gang zu bringen. Und Niger ist ein besonders schwieriger Fall: Das Land hat etwa 20 Millionen Einwohner und ist fast vollständig von Wüste bedeckt. Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt.
    Viele Menschen haben nicht genug Geld, um selbst in Nachbarländer oder gar nach Europa auszuwandern. Niger ist ein Transitland der Migration. Und der Knotenpunkt dieses Migrationsstroms durch Niger, das ist die Wüstenstadt Agadez.
    Ein Tag im Januar, irgendwo in der Teneré-Wüste zwischen Agadez und Dirkou: Mehrere Pick-up-Transporter halten in diesem Niemandsland. Ein Reifen muss gewechselt werden. Und einer der Fahrer, die dieses Video mit dem Mobiltelefon aufnehmen, sagt:
    "Man hat uns gesagt, dass weiter vorne auf der Route Soldaten sind", sagt der Fahrer, "in einer halben Stunde können wir weiter fahren."
    Ein Video der Tagesschau: Unterwegs mit Schleppern im Niger. Die Aufnahmen wurden dem Korrespondenten zugespielt.
    Den Soldaten der nigrischen Armee wollen diese Männer lieber aus dem Weg gehen. Denn auf den Ladeflächen ihrer Pritschenwagen sitzen, dicht aneinander gedrängt, Migranten. Jeder von ihnen hat etwa 300 Euro bezahlt. Dafür fahren die Schleuser sie aus der Wüstenstadt Agadez quer durch die Teneré-Wüste nach Sebha in Libyen.
    Afagagh ist einer dieser Schleuser. Er transportiert Migranten von Agadez nach Libyen. Damit hat er sehr viel Geld verdient in einer Region, in der die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Jetzt aber hat die Regierung von Niger den "irregulären Migranten-Transport" verboten. Weil die Europäische Union darauf gedrängt hat. Sogenannte Chauffeure und Schleuser wie Afagagh - sie laufen nun Gefahr, im Gefängnis zu landen. Ende 2016 gab es Verhaftungen in Agadez: Mehr als 100 Schlepper und Schleuser sitzen im Gefängnis seither. Allerdings: Verurteilt wurde noch keiner. Afagagh meint, man habe sich sowieso nur die unteren Chargen des Migranten-Transportes gegriffen:
    "Die Chauffeure. Diejenigen, die die Migranten anwerben. Die, die sie bis zum Transport verstecken und die Schleuser – also die kleinen Fische. Nicht die Bosse. Die schlafen ruhig in Niamey und geben ihre Anweisungen."
    Ein Schleuser sagt, die Preise für die Migranten hätten sich mehr als verdoppelt
    Das Verbot der nigrischen Regierung für diese Transporte, behauptet Afagagh, habe Folgen: Die Preise für die Migranten hätten sich mehr als verdoppelt. Das Risiko aufgegriffen, festgenommen und zurückgeschickt zu werden, das sei auch gestiegen. Und die Schleuser suchten sich jetzt andere Routen durch die Wüste. Längere und risikoreichere. Darüber beschweren sich Afagagh und andere Schleuser in Agadez.
    Was sie beklagen, wollte Federica Mogherini, die Hohe Beauftragte der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, in Brüssel als Erfolg verkaufen. Sie wollte zeigen, dass die riesigen Millionenbeträge für die neue Migrationspolitik der Europäischen Union schnelle, konkrete Resultate bringen:
    "Die Zahl der Migranten, die durch Niger kommen, liegt jetzt bei 1.500", sagte Mogherini im Dezember 2016 in die Mikrofone. Und sie fuhr fort, wörtlich, einige Monate vorher, "bevor unsere Operation in Niger intensiver wurde", da seien es noch 70.000 Migranten gewesen.
    Pro Monat, versteht sich. Guiseppe Loprete kennt diese Zahlen. Er ist Missionschef der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Niger. Die Angabe von "nur" 1.500 Migranten im November war allerdings falsch. Ein technischer Fehler sei die Ursache gewesen – das stellte die IOM auch rasch richtig. Tatsächlich waren es allein im November 11.500 Migranten, die durch die Region Agadez reisten. Im Winter, das weiß man bei der IOM aus langjähriger Erfahrung, sinken die Migranten-Zahlen immer. Also kein dramatischer Rückgang der Transporte. Die Europäische Union brauchte allerdings Wochen, um den Fehler in ihren Darstellungen zu korrigieren.
    Guiseppe Loprete von der IOM vermutet ohnehin, dass die Schleuser sich andere Routen suchen, um die Kontrollen des Militärs zu umgehen:
    "Wegen der Maßnahmen der nigrischen Regierung versuchen sie, bestimmte Orte zu vermeiden. Sie umfahren sie. Ein paar Kilometer können schon reichen – es ist ja Wüste, es gibt keine festen Straßen."
    Das Geschäft läuft also weiter. Wie geschmiert – und zwar im Wortsinn. Übereinstimmend schildern Migranten und Schleuser, dass Polizei und Militärs weiterhin viele Migranten-Transporte durchwinken - gegen saftige Bestechungsgelder.
    Dabei geben Bundesregierung und Europäische Union allein in diesem Jahr mehr als 26 Millionen Euro aus, um die Sicherheitskräfte in Niger zu schulen. Kirssi Henriksson leitet die entsprechende Mission der Europäischen Union in Niger. Und die Stadt Agadez ist ein Schwerpunkt für diese Schulungen:
    "In unseren Trainings in Agadez konzentrieren wir uns vor allem auf falsche Papiere. Wir beraten außerdem den Generalstaatsanwalt. Er ist derjenige, der die Fälle verhafteter Schmuggler vor Gericht bringen muss. Und da gibt es teilweise die Herausforderung, dass das Personal am Gericht die Gesetze gegen illegale Migration nicht kennt."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Bundesregierung und EU geben Millionen aus, um die Sicherheitskräfte in Niger zu schulen. Die Stadt Agadez ist ein Schwerpunkt für diese Schulungen. (Katrin Gänsler)
    Um solche Fragen kümmern sich momentan 80 internationale Experten in ganz Niger – Tendenz: steigend. Aber: Korruption ist dabei offiziell kein Thema. Nein, sagt Kirssi Henriksson, die Schulungen richteten sich nach dem, was die nigrische Regierung als Bedarf formuliert. Aber Henriksson sagt auch:
    "Was Korruption betrifft – man muss sich nur mal die Gehälter anschauen. Beispielsweise bei den Sicherheitskräften – wie viel bekommen die? Und dann rechnet man zusammen. Ich glaube, in der Region ist Korruption normal, die Leute sind daran gewöhnt, Geld zu bekommen."
    EU unterstützt Niger mit knapp 750 Millionen Euro
    Bei der Europäischen Union weiß man um diese Problematik. Und vertraut darauf, dass Nigers Regierung sie bekämpft.
    Die EU unterstützt Niger mit knapp 750 Millionen Euro. Sie will damit sehr viele unterschiedliche Projekte fördern: Bildung, Nahrungsmittelsicherheit, ländliche Entwicklung, Infrastruktur, gute Regierungsführung, Grenzsicherung, Kampf gegen den Menschenhandel sowie alternative Jobs für diejenigen, die Migranten durch die Wüste transportieren.
    Raul Mateus Paula ist seit sechs Jahren Botschafter der Europäischen Union in Niger. Er unterscheidet zwischen "klassischer Entwicklungszusammenarbeit" und den Projekten, die jetzt mit besonderer Dringlichkeit für die Region Agadez entwickelt worden seien:
    "Die sind für die nächsten 18 Monate, also mit ganz schneller Wirkung!", sagt Paula.
    Von der schnellen Wirkung ist allerdings in Agadez selbst bisher nichts zu sehen. Dort haben viele Menschen zwar davon gehört, dass die EU mit Geld und Projekten kommen will. Aber umgesetzt ist bisher kaum etwas. EU-Botschafter Paula sagt dazu:
    "Das ist normal, dass die Leute jetzt noch nichts sehen, weil wir erst jetzt damit beginnen, die Projekte aus dem Sonderfonds für Afrika umzusetzen."
    Das gilt auch für Vorhaben der Bundesregierung. Sie will in Agadez in diesem Jahr zwei Millionen Euro aufwenden, um möglichst viele Menschen in Lohn und Arbeit zu bringen. Sie will weitere 1,5 Millionen Euro investieren, um Müll-Sortierung und Abfallentsorgung zu verbessern. Und sie will zwei Millionen Euro für Ernährungssicherung ausgeben. Das sind nur einige Beispiele aus einem Gesamtpaket von 60 Millionen Euro, das Deutschland in den nächsten drei Jahren für Niger bilateral bereitstellt.
    Mitarbeiter der Delegation der Europäischen Union, die Angestellten anderer internationaler Organisation und Spezialisten der Entwicklungszusammenarbeit – sie alle arbeiten auf Hochtouren in Niger: Projekte planen, Projekte umsetzen, neue Projekte entwickeln. Viele von ihnen antworten auf die Frage nach der Effizienz all dieser Mittel erst, wenn Mikrofon und Aufnahmegerät ausgeschaltet sind.
    Flüchtlinge fahren von Agadez in Niger Richtung  Libyen, um von dort nach Europa zu gelangen.
    Raul Mateus Paula, der Botschafter der Europäischen Union in Niger sagt, im Zuge des Migranten-Handels würden auch Waffen und Drogen transportiert. (AFP / Issouf Sanogo)
    Dann reden sie über das Korruptionsrisiko, über die Gefahr mangelnder Projektqualität, weil alles schnell-schnell gehen muss. Die Frage, ob die Schleuser wirklich andere Job-Angebote akzeptieren würden. Schleuser wie Afagagh laden 25 Migranten auf einen Pick-up-Transporter nach Libyen. Sie verdienen damit bis zu 5.000 Euro. Solch ein Einkommen können ihnen deutsche oder europäische Projekte zur Arbeitsplatzbeschaffung definitiv nicht bieten.
    An diesem Punkt kommt der zweite Aspekt ins Spiel, der Deutschland und die Europäische Union besorgt: die Terrorismusgefahr. Raul Mateus Paula, der Botschafter der Europäischen Union in Niger, zieht die Verbindung zum Thema Migranten-Transport:
    "Der Migranten-Handel ist nur die Spitze des Eisbergs. Diese Leute bringen Menschen in Lebensgefahr. Aber obendrein transportieren sie auch Waffen und Drogen. Sie gefährden damit die Sicherheit des Staates Niger. Das ist die Aussage der Regierung von Niger. Aber wir stimmen damit überein."
    Diese Risikoanalyse der nigrischen Regierung übernimmt die Europäische Union also. In Agadez sind allerdings auch andere Stimmen zu hören. Beispielsweise die von Mohammed Anako. Er ist Präsident der Regionalversammlung von Agadez. Seine Antwort auf die Frage, ob der Migranten-Transport mit dem Drogen- und Waffenhandel durch die Wüste verflochten ist, fällt so aus:
    "Nein. Nein, nein: Waffen- und Drogenhandel – das ist immer in der Sahara gelaufen. Außerdem: Die Regierung kennt die Waffen- und Drogenhändler. In Bamako, in Nouakschot, in Niamey – jeder kennt die Händler. Wenn man die verhaften will, dann kann man sie dort verhaften."
    Mohamed Anako, der Präsident der Regionalversammlung von Agadez, hat das auch Vertretern der Europäischen Union gesagt. Auch Federica Mogherini, der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik. Mogherini war bereits in Agadez:
    "Wir haben das alles der EU gesagt. Wir haben es ihnen gesagt. Unsere Regierung sagt etwas Anderes. Man versteht ja, dass unsere Regierung Geld bekommen will."
    Angst vor Fehlern in der Zusammenarbeit der EU mit der nigrischen Zentralregierung
    Leute wie Mohamed Anako fürchten, dass in der engen Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der nigrischen Zentralregierung entscheidende Fehler gemacht werden könnten. Erstens: Weil die kleinen Migranten-Schleuser von Agadez pauschal mit Drogen- und Waffenhändlern in einen Topf geworfen und bekämpft werden sollen. Zweitens, weil er fürchtet, dass in Niger die alt bekannten Fehler der Terrorismus-Bekämpfung fortgesetzt werden. Die USA bauen in Agadez gerade eine Basis für Aufklärungsdrohnen. Kostenpunkt: etwa 100 Millionen US-Dollar. Die Franzosen sind seit Jahren mit der Anti-Terror-Einheit Operation Barkhane in Niger und anderen Sahel-Staaten präsent. Deutschland baut gerade eine Art Stützpunkt auf dem Flughafen der Hauptstadt Niamey. Damit soll der Transport eventuell verwundeter Bundeswehrsoldaten aus dem Nachbarland Mali nach Deutschland sichergestellt werden.
    Drohnen, Anti-Terror-Einheiten, Militär-Stützpunkte in Niger. Mohamed Anako, Präsident der Regionalversammlung von Agadez, warnt:
    "Was sie vergessen ist Folgendes: Wenn die Bevölkerung der betroffenen Region nicht eingebunden wird, kann man nicht gegen den Terrorismus kämpfen. Auch nicht mit Drohnen und was weiß ich. Die lokale Bevölkerung muss mit im Boot sein. Egal ob es die Stützpunkte der Amerikaner, der Franzosen oder von sonst wem sind – wenn die Einheimischen nicht eingebunden sind, hat das keine Wirkung."
    Unter dem Strich zeichnen Anako und andere Gesprächspartner in der Region Agadez folgendes Bild:
    Erstens haben sie nichts gegen das Verbot des Migranten-Handels. Vorausgesetzt, Deutschland, Europa und die Zentralregierung in Niamey sorgen wirklich und effektiv dafür, dass sich die Region wirtschaftlich entwickeln kann.
    Zweitens sollen sie aufhören, Migranten-Schleuser pauschal mit den wesentlich besser organisierten Drogen- und Waffenhändlern gleichzusetzen, die ebenfalls in der Wüste unterwegs sind.
    In Agadez zweifeln allerdings viele daran, dass die wirtschaftlichen Wohltaten und ein Ende der unterschiedslosen Kriminalisierung tatsächlich kommen werden. Und Mohamed Anako fürchtet die Folgen:
    "Wenn man die jungen Leute sich selbst überlässt, wenn man ihnen Angst macht – dann werden sie abdriften. Ich bin sicher, dass sie dann rekrutiert werden. Sie sind dann hoffnungslos und werden rekrutiert - von den Islamisten, von Drogenhändlern, von den Waffenhändlern."
    Politiker wie Anako, die in der Region arbeiten, die die Menschen dort kennen und über Jahre hinweg Erfahrung mit großen Ankündigungen der Entwicklungszusammenarbeit gesammelt haben, solche Politiker sind skeptisch.
    In Nigers Hauptstadt Niamey sind stellenweise noch viel radikalere Positionen zu hören. Beispielsweise von Moussa Tchangari. Er ist Generalsekretär der heimischen Nicht-Regierungsorganisation "Alternative – Espace Citoyens". Und Tchangari findet die Behauptung, die Europäische Union und die Regierung von Niger bekämpften gemeinsam Kriminelle in der Wüste von Agadez, geradezu lachhaft. Aus seiner Sicht verlegt die Europäische Union erfolgreich ihre Außengrenze nach Niger. Und die Regierung seines Landes lasse sich dafür bezahlen.
    "Regierungen wie die von Niger – die sagen, sie würden gegen die Kriminalität kämpfen: Da muss ich lachen. Da kann ich nur lachen. Die verhalten sich doch teilweise selbst wie Kriminelle. Schauen sie sich unseren Gesundheitssektor an: Da sterben Frauen und Kinder in den Krankenhäusern. Ist das nicht kriminell? Die Politik der Regierung verursacht zum Teil mehr Tote als diese organisierte Kriminalität. Man sagt, die Leute sterben in der Wüste. Ja, aber in den Krankenhäusern sterben sie, weil sie keine Behandlung bekommen. Und andere schaffen es gar nicht ins Krankenhaus. Die verhungern!"
    Verbot des Migranten-Transportes sorgt für kontroverse Diskussionen in Niger
    Bei Oppositionellen wie Moussa Tchangari ist das Misstrauen gegenüber Europäern und der eigenen Regierung hoch. Brüssel und Niamey, so argumentiert Tchangari, arbeiten zusammen, um jeweils die eigenen Interessen durchzusetzen. Für die rasant wachsende Bevölkerung von Niger sei dabei bisher wenig herausgekommen. Weil der Großteil des Geldes aus Europa in den Taschen der nigrischen Macht-Elite lande.
    Soweit geht Mohamed Anako, der Präsident der Regionalversammlung von Agadez, nicht. Er ist skeptisch, hofft aber noch. Nur auf das Risiko will er klar und deutlich hinweisen:
    "Sollte sich aber herausstellen, dass all die Gelder, die für Agadez bereitgestellt werden, keine Wirkung zeigen, dann wird man seine Glaubwürdigkeit verlieren: Und zwar wir, die Regionalverwaltungen - und die Zentralregierung und die Entwicklungspartner."
    Bisher haben das Verbot des Migranten-Transportes, die Festnahmen und die Kontrollen in Agadez vor allem für kontroverse Diskussionen in Niger gesorgt. Viele in der Bevölkerung fragen: "Wovon sollen wir dann leben?"
    Projekte, die genau diese Frage beantworten sollen, sind geplant, aber noch nicht umgesetzt. In der Wüstenstadt Agadez wartet man darauf, ob die versprochenen Hilfen aus Deutschland und Europa wirklich ankommen und ob sie die Migrations-Wirtschaft überhaupt ersetzen können.
    Der Migranten-Transport läuft derweil weiter – auf neuen Routen. Versteckter, teurer für die Migranten und auch gefährlicher.